Mitteilungen 80 - Geschichte in Schleswig-Holstein
Mitteilungen 80 - Geschichte in Schleswig-Holstein
Mitteilungen 80 - Geschichte in Schleswig-Holstein
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
und Politikgeschichte, nur selten auch Sozial- oder Kulturgeschichte. Aspekte<br />
von Gendergeschichte – gerade bei e<strong>in</strong>er solchen Männergesellschaft<br />
wie der Mar<strong>in</strong>e – von höchster Aktualität, kommen nicht vor. Vor allem<br />
aber: <strong>Geschichte</strong> ist e<strong>in</strong>deutig <strong>in</strong>terpretierbar: Die <strong>Geschichte</strong> der deutschen<br />
Mar<strong>in</strong>e war so wie sie dargestellt wird e<strong>in</strong>deutig – und sie war gut so, trotz<br />
e<strong>in</strong>iger leichter negativer Abweichungen. Sie muss daher pr<strong>in</strong>zipiell auch<br />
nicht kontrovers diskutiert werden.<br />
Dem entspricht die „Meistererzählung“. Es gibt e<strong>in</strong>en „roten Faden“, der<br />
sich durch die <strong>Geschichte</strong> zieht: Vom „Tirpitz Plan“, bei dessen Darstellung<br />
die sozialgeschichtlichen Aspekte kaum gestreift werden, über die „schlimme<br />
Revolution“ von 1918/19, die leider <strong>in</strong> der Mar<strong>in</strong>e ihren Ursprung nahm,<br />
über den Kapp-Putsch, <strong>in</strong> den die Mar<strong>in</strong>e leider ebenfalls „verstrickt“ war,<br />
über ihre Führer im nationalsozialistischen System, die zwar Nazis waren,<br />
aber eigentlich immer „das Schlimmste“ verh<strong>in</strong>dern wollten, zur Traditionspflege,<br />
die immer national, wenn nicht zeitweise sogar nationalistisch<br />
angelegt war, bis h<strong>in</strong> zur Gegenwart, <strong>in</strong> der die Bundesmar<strong>in</strong>e undiskutiert<br />
berechtigte „deutsche See<strong>in</strong>teressen“ vertritt, als hätte es nie politische Diskussionen<br />
darüber gegeben.<br />
Wie wäre es, dieses konstruierte Bild mit e<strong>in</strong>er Gegennarration zu kontrastieren?<br />
Damit würde der Besucher zum diskutieren gezwungen und<br />
könnte sich nach eigenem Überlegen für e<strong>in</strong>e Variante (oder auch ke<strong>in</strong>e?)<br />
entscheiden. In e<strong>in</strong>er solchen Narration könnte man die Revolution von<br />
1918 als e<strong>in</strong>e großartige Leistung hervorheben, die den Weg für die erste<br />
deutsche Republik eröffnete – und an deren Spitze die Mar<strong>in</strong>e stand.<br />
Man könnte die Ambivalenz der Mar<strong>in</strong>e zwischen Volksmar<strong>in</strong>edivision und<br />
Beteiligung am Kapp-Putsch als paradigmatisch für die Rolle des Militärs<br />
<strong>in</strong> der Weimarer Republik herausarbeiten. Man könnte (hier zugleich mit<br />
dem Stilmittel der Personifizierung) die Spannung zwischen Pazifismus<br />
und „militärischem Heldentum“ am Beispiel des Pfarrers und U-Bootkommandanten<br />
Mart<strong>in</strong> Niemöller skizzieren und damit die Darstellung über<br />
die Mar<strong>in</strong>e im ns-System erheblich erweitern. Dies könnte nicht zuletzt<br />
auch über die Bedeutung von Deserteuren geschehen. Auch die Rolle der<br />
Zwangsarbeit beim Bau von militärischen E<strong>in</strong>richtungen könnte vertieft<br />
werden und nicht zuletzt könnte man die Verweigerung der Nachkriegsmar<strong>in</strong>e<br />
problematisieren, sich – im Gegensatz zur Volksmar<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der DDR<br />
- von ihrer Vergangenheit loszusagen.<br />
Dazu aber bedürfte es e<strong>in</strong>es anderen Verständnisses von <strong>Geschichte</strong> und<br />
e<strong>in</strong>er anderen Ausstellung.<br />
Prof. Dr. Karl He<strong>in</strong>rich Pohl, Historisches Sem<strong>in</strong>ar der<br />
Christian-Albrechts-Universität, Olshausenstr. 40, 24098 Kiel<br />
18.04.<strong>Mitteilungen</strong>_<strong>80</strong>_ Innenseiten.<strong>in</strong>dd 79 20.04.11 12:06<br />
79