13.01.2013 Aufrufe

DER NEUE MEYER MODE - Bagso

DER NEUE MEYER MODE - Bagso

DER NEUE MEYER MODE - Bagso

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Foto: Raab<br />

36<br />

Porträt<br />

Pilgerreise als Lebensschau<br />

Der Fellbacher Arno Krauß wandert auf dem Jakobsweg<br />

nach Santiago de Compostela und kehrt als<br />

gläubiger Mensch zurück<br />

Ich bin viel barmherziger als früher“,<br />

sagt Arno Krauß stolz. Der 71-jährige<br />

Ingenieur aus Fellbach-Schmiden sitzt<br />

an seinem Wohnzimmertisch, ringsherum<br />

Vitrinen, Sekretäre und Kommoden,<br />

alle im Jugendstil. Von den Pyrenäen<br />

aus, erzählt Krauß, sei er über 750 Kilometer<br />

auf dem Jakobsweg nach Santiago<br />

de Compostela im Nordwesten Spaniens<br />

gewandert. Selbstverständlich habe er<br />

sich vor sieben Jahren auf dem Pilgerweg<br />

gefragt: „Warum tue ich mir das an?“ Der<br />

mittelalterliche Weg, Camino Francés<br />

genannt, ist ja beschwerlich und in den<br />

Herbergen gibt es keinen Komfort. Stattdessen<br />

warten Mehr-Bett-Zimmer, karge<br />

Mahlzeiten und schlechte hygienische<br />

Zustände auf den Pilger.<br />

Arno Krauß kennt jetzt die Antwort.<br />

Er habe die Wanderung gebraucht, um<br />

auf sein Berufsleben zurückzublicken.<br />

Um Abstand davon zu gewinnen, so<br />

kurz vor seiner Pensionierung. Über<br />

sechs Wochen ist er unterwegs. Jeden Tag<br />

schreibt er seiner daheim gebliebenen<br />

Ehefrau eine Postkarte, so dass er nun auf<br />

einen Stapel von 45 Postkarten blicken<br />

kann. Quasi sein eigenes Tagebuch, wie<br />

er meint. Ähnlich „Homo Faber“, Max<br />

Frischs bekannter Romanfi gur, wendet<br />

sich Krauß, 64-jährig, den mitreisenden<br />

Pilgern zu. Persönliche Gespräche auf der<br />

Wanderschaft begleiten seinen Weg zum<br />

Jakobsgrab nach Santiago de Compostela,<br />

umgeben von einer Landschaft , die ihn in<br />

seinen Bann zieht: „Riesige Felder, dichte<br />

Wälder, Weinberge und Blumenwiesen,<br />

Vögel fl ogen in großen Bögen und oft<br />

hörte ich den Kuckucksruf in der Ferne.“<br />

Gelassenheit und ein Gefühl von Freiheit<br />

machen sich breit, zum ersten Mal in seinem<br />

Leben.<br />

Der Vater von zwei Kindern kannte<br />

zuvor nur die Arbeit. Beim TÜV, dem<br />

Technischen Überwachungsverein, reiste<br />

er als Ingenieur zuletzt über 40.000 Kilometer<br />

jährlich. Die Ausbildung der Mitarbeiter<br />

und Fachvorträge waren seine<br />

vornehmlichen Aufgaben. Dabei hat sich<br />

Arno Krauß von ganz unten nach oben<br />

empor gearbeitet. Vermutlich hat er sich<br />

auf der berufl ichen Karriereleiter eine dicke<br />

Haut und Ellenbogen zugelegt. Das<br />

hinterlässt Spuren, sowohl im Job als auch<br />

in der Familie. „In der Vergangenheit war<br />

ich sehr streng. Gegenüber meinen Kollegen<br />

und meiner Ehefrau“, bedauert er<br />

heute aufrichtig. Auf dem Jakobsweg stößt<br />

Arno Krauß jedoch an seine Grenzen:<br />

„Ich war fertig. Da habe ich mir gesagt,<br />

ich mache jetzt Schluss.“ Plötzlich kommt<br />

ein Pilger auf ihn zu, nimmt ihn in den<br />

Arm, streichelt seine Schulter – eine neue<br />

Erfahrung von Mitmenschlichkeit. „Auf<br />

dem Weg hat sich mein Leben gewendet“,<br />

sagt er jetzt mit Tränen in den Augen, und<br />

er sieht dabei ganz glückselig aus.<br />

Zunächst ging es ihm darum, sich<br />

selbst zu beweisen, dass er einer solchen<br />

kräft ezehrenden Wanderung gewachsen<br />

ist. „Die Pilger aus dem Mittelalter waren<br />

meine Vorbilder.“ Wie sie marschierte er<br />

von St. Jean-Pied-Port in den Pyrenäen<br />

bis zum Jakobsgrab. Über 750 Kilometer:<br />

„Mir war es wichtig, das zu schaff en.“ Dafür<br />

trainierte er vorab in seiner häuslichen<br />

Umgebung, indem er jeden Tag zwölf bis<br />

15 Kilometer wanderte. Weil sich der ambitionierte<br />

Wanderer jeden Streckenabschnitt<br />

auf dem Camino bei den Herbergen<br />

bestätigen lassen will, besorgte er sich<br />

noch schnell ein Empfehlungsschreiben<br />

eines katholischen Priesters. Hierin zeigt<br />

sich wohl jener Ehrgeiz, der ihn berufl ich<br />

so erfolgreich hat werden lassen. Arno<br />

Krauß legt großen Wert auf die Feststellung,<br />

dass kein Herbergsstempel in seinen<br />

beiden Wanderpässen fehlt. Stolz zeigt er<br />

seine „Compostella“, eine Urkunde, die<br />

jeder Pilger – vorausgesetzt, er absolviert<br />

zumindest die letzten 100 Kilometer des<br />

Camino per Fuß, Rad oder Pferd –, im<br />

Büro des Erzbischofs in Santiago de Compostela<br />

erhalten kann.<br />

Was ist noch auf dieser Wanderung<br />

geschehen? Viele, die zum Grab des heiligen<br />

Jakob pilgern, kommen mit Gott in<br />

Berührung. So auch der Fellbacher. Auf<br />

seiner Wanderung durchlebt er Gefühle,<br />

die ihm bisher fremd waren: „Sie merken,<br />

dass etwas mit Ihnen geschieht“, umschreibt<br />

Arno Krauß sein damaliges Erleben.<br />

Als er vor Schmerzen keinen Schritt<br />

mehr vor den anderen setzen kann, trifft<br />

er einen Arzt aus Brasilien, der ihn durch<br />

Hand aufl egen heilt. Heute schwärmt er<br />

von seiner Ankunft in Santiago de Compostela,<br />

die mit einer Umarmung der Jakobsstatue<br />

und einem Gottesdienst in der<br />

Kathedrale mit vielen anderen Pilgern<br />

zusammen endet. „Nach der Messe haben<br />

uns die Gläubigen von Santiago de Compostela<br />

begrüßt und umarmt. Es entstand<br />

eine sehr herzliche Atmosphäre.“<br />

Aber, so betont Arno Krauß, erst das<br />

Ende der Wanderschaft habe seinen Weg<br />

nach Innen so richtig beginnen lassen.<br />

„Der Weg beginnt nach Santiago.“ Seitdem<br />

schöpft er Kraft durch seinen Glauben.<br />

Barmherzigkeit und Gelassenheit<br />

sind in sein Leben eingekehrt. �<br />

Dr. Stefan Raab<br />

BAGSO Nachrichten • 3/2007

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!