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fleißigt, deshalb noch nicht da<strong>mit</strong> rechnen, vor <strong>dem</strong> Schicksal für ihn selbst ka-<br />
tastrophaler Positionseinnahmen bewahrt zu sein, die im göttlichen Heilsplan vor-<br />
gesehen sind. Es gilt eben beides zugleich: Auf der einen Seite ist der ständige<br />
irdische Mensch an die Befolgung der in den göttlichen Gesetzen <strong>dem</strong> Geiste nach<br />
festgelegten Bestimmungen von Gut und Böse endgültig gebunden. Das ist die Basis<br />
für die Rationalisierung der Lebensführung. Auf der anderen Seite kann er <strong>mit</strong><br />
dieser Lebensführung einen Anspruch auf Entgeltung durch Lebensglück nicht erhe-<br />
ben, denn über seiner Autonomie der Entscheidung für Gut und Böse steht immer<br />
noch die archaische Autonomie des strafenden Gottes.<br />
Es ist diese widersprüchliche Einheit von der Autonomie des strafenden Gottes<br />
einerseits und der Verpflichtung des irdischen Menschen zur autonomen Erkenntnis<br />
von Gut und Böse andererseits, von Unterwerfung unter den strafenden Gott einer-<br />
seits und Bindung auf die autonome Erkenntnis von Gut und Böse als deren ver-<br />
pflichtenden Inhalt andererseits, die das dynamische Rationalisierungspotential<br />
des antiken Judentums kennzeichnet. Es liegt auf der Hand, daß diese schwierige,<br />
nie still zu stellende Dynamik und Widersprüchlichkeit vom Einzelnen sich nur<br />
aushalten läßt unter der Bedingung des Bewußtseins von der Auserwähltheit seines<br />
Volkes aufgrund genau jener Religion und jener Gottständigkeit, die zugleich die<br />
Quelle dieser widersprüchlichen Dynamik sind. Beide Momente sind gleichursprüng-<br />
lich: Je gläubiger der Mensch dieser Religion ist, desto mehr verinnerlicht er<br />
diese unauflösliche Widersprüchlichkeit, desto mehr aber auch hat er das Bewußt-<br />
sein von der Zugehörigkeit zu seiner auserwählten Gemeinschaft verinnerlicht.<br />
Soziologisch-strukturanalytisch entspricht dieser subjektiven Binnenseite eines<br />
Bewußtseins von der Auserwähltheit die objektiv-universalgeschichtliche Außen-<br />
seite der für den weltgeschichtlichen Rationalisierungsprozeß führenden dynami-<br />
schen Funktion der Religion des antiken Judentums. 1)<br />
1)Delacroix muß im übrigen schon frühzeitig, obwohl er in einer <strong>dem</strong> Antise<strong>mit</strong>ismus<br />
nicht fremden Lebenswelt aufwuchs, von dieser Bedeutung des antiken Judentums,<br />
intuitiv sicher urteilend, fasziniert gewesen sein. Seine Briefe und Tagebucheintragungen<br />
aus der Zeit der Marokko-Reise enthalten zahlreiche Belege für<br />
diese Faszination von der jüdischen traditionellen Lebensweise, die er dort vorfand.