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Jakobs Kampf mit dem

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Zugleich verweist diese widersprüchliche Einheit auf die objektive strukturelle<br />

Ambivalenz der charismatischen Führerschaft und Prophetie, einem Handlungstyp, in<br />

<strong>dem</strong> die Lebenspraxis des individuierten Subjekts der Moderne schon vorgeprägt<br />

ist:<br />

In ihr liegen Gut und Böse eng beisammen in der unauflöslichen widersprüchlichen<br />

Gleichzeitigkeit von Verpflichtung auf die Reziprozität der Sozialität und des<br />

Generationsvertrages einerseits und der rationalen Durchsetzung von Interessen<br />

eines Volkes (oder später: eines Individuums) andererseits. Die charismatische<br />

Herrschaft und Prophetie kennzeichnet daher Lebenspraxis als eine Struktur, deren<br />

Schicksal es ist, zur Einhaltung der Unterscheidung von Gut und Böse verpflichtet<br />

zu sein und andererseits sich da<strong>mit</strong> abfinden zu müssen, daß diese Unterscheidung<br />

lebenspraktisch in reiner Form, d.h. in Gestalt einer moralischen Arithmetik oder<br />

anwendbaren ethischen Theorie, also wie eine ethische Rechenaufgabe, nicht lösbar<br />

ist.<br />

Es ist, im übrigen genau dieser Punkt, in <strong>dem</strong> die Sittlichkeit des künstlerischen<br />

Handelns <strong>mit</strong> der Struktur charismatischer Prophetie konvergiert. Diese Sittlich-<br />

keit besteht darin, daß der unvoreingenommene scharfe Blick des Künstlers in die<br />

Lebenswirklichkeit, ob innerlich oder äußerlich, das oberste Rechtfertigungsprin-<br />

zip sein muß und daher auch zur unerbittlichen Realisierung des Bösen und von<br />

Abgründigkeit, der grundlegenden Ambivalenz von Humanität also, verpflichtet.<br />

Ebenso wie in der Alltagspraxis die Pathologie sich immer noch gültig in den in-<br />

terpretierbaren Texten ihrer Lebensäußerungen zum Ausdruck bringt und darin zu-<br />

gleich ihr mögliches Anderssein zumindest im Begreifen dieser Gültigkeit schon<br />

als Heilung entworfen hat, genau so steht die künstlerisch gesteigerte Produktion<br />

von Sinn— und Bedeutungsstrukturen unter <strong>dem</strong> ihre Autonomie erst ausmachenden<br />

Zwang, vor <strong>dem</strong> Verborgensten nicht zurückzuschrecken und es zum gültigen Ausdruck<br />

zu bringen, auch dann, wenn es das normative Bild des Menschen von sich selbst im<br />

höchsten Maße erschüttert. Im Grunde ist dies das erweiterte Thema von „Jakob und<br />

der <strong>Kampf</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Engel“, aber es ist natürlich Delacroix‘s Thema als Romantiker<br />

von Anfang an gewesen.

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