vorhang zu - Kulturmagazin
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LECHTS UND RINKS<br />
Die sache mit dem milchbüchlein<br />
Von Christoph Fellmann<br />
es gibt nichts Trockeneres als ein budget.<br />
Jedes Jahr veröffentlichen Kantone und<br />
Gemeinden diese dicken bücher mit endlosen<br />
zahlenkolonnen, die keiner liest ausser<br />
die armen Teufel in den Finanzkommissionen<br />
der parlamente. Dachte man.<br />
Denn jetzt sieht es so aus, als habe die politik<br />
das budget neu entdeckt. im Kanton<br />
luzern, in der Stadt luzern und in der Gemeinde<br />
Kriens ist der Voranschlag für 2012<br />
über die Jahreswende <strong>zu</strong>m Spielball der<br />
parteien geworden. mit dem ergebnis, dass<br />
Stadt und Kanton luzern immer noch ohne<br />
gültiges budget für das laufende Jahr<br />
dastehen; nur in Kriens konnte man sich<br />
im parlament noch im Januar <strong>zu</strong> einem<br />
Kompromiss durchringen, nachdem die<br />
Stimmbevölkerung das budget im Dezember<br />
abgelehnt hatte.<br />
Ganz neu ist es natürlich nicht, dass mit<br />
dem budget politisiert wird. Die Regierungen,<br />
welche die zahlen ja auch kennen und<br />
<strong>zu</strong>sammenstellen, sind lange geübt darin.<br />
Die jährlich wiederkehrenden, in düsteren<br />
Farben gemalten prognosen, mit denen die<br />
parlamente <strong>zu</strong>r Sparsamkeit angehalten<br />
wurden, sind der älteste Treppenwitz der<br />
lokalpolitik – mit der immer gleichen<br />
pointe, dass der Finanzdirektor <strong>zu</strong>m Jah-<br />
resende «völlig überraschend» mit viel besseren<br />
zahlen auftrumpfen kann. Vorsichtiges<br />
budgetieren nennt man das, aber man<br />
könnte es auch Sparpolitik nennen. nun<br />
denn, die zeiten haben sich offensichtlich<br />
geändert, und die parlamentarier greifen<br />
nach der budgethoheit.<br />
im Kanton luzern sorgte eine bürgerliche<br />
Koalition von cVp, FDp und Grünliberalen<br />
dafür, dass das budget im Kantonsrat<br />
abstürzte; die nachgebesserte Variante folgt<br />
im märz, und es ist unsicher, ob das parlament<br />
diesmal Ja sagt. in Kriens war es die<br />
FDp, die gegen den Voranschlag kämpfte<br />
und beim Stimmvolk reüssierte, und in der<br />
Stadt luzern hat die SVp soeben die nötigen<br />
unterschriften für eine Volksabstimmung<br />
gesammelt. es ist das gute demokratische<br />
Recht jeder partei und jedes Stimmberechtigten,<br />
das budget <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>weisen;<br />
und es müsste in einem Rechtsstaat möglich<br />
sein, darüber <strong>zu</strong> diskutieren, ohne<br />
dass das Gemeinwesen über monate hinweg<br />
handlungsunfähig wird. also nichts<br />
gegen eine politik, die ein budget nicht<br />
einfach durchwinkt.<br />
beunruhigend ist dabei höchstens, dass<br />
sich der politische Streit nicht mehr um<br />
einzelne ausgaben dreht, sondern um das<br />
budget an sich, das gleich als Ganzes refüsiert<br />
wird. und noch beunruhigender ist,<br />
dass es dabei immer um das Gleiche geht –<br />
um die Verhinderung einer Steuererhöhung.<br />
Der Kanton luzern und die Gemeinde<br />
Kriens wollten die Steuern schon 2012<br />
erhöhen, die Stadt luzern hat diesen<br />
Schritt für 2013 angekündigt und damit<br />
die Sparsekte schon jetzt auf den plan gerufen.<br />
mit anderen Worten, es geht in den<br />
aktuellen budgetdiskussionen um eine<br />
22<br />
ganz zentrale Frage: Soll es nach Jahren<br />
und Jahrzehnten regelmässiger Steuersenkungen<br />
auch wieder einmal erlaubt sein,<br />
den Satz nach oben <strong>zu</strong> korrigieren, wenn<br />
es die finanzpolitische Situation erfordert?<br />
Für die bürgerliche Rechte scheint der<br />
Fall mehr oder weniger klar: nein. also arbeitet<br />
sie daran, Grundsatzentscheide <strong>zu</strong><br />
erwirken, die künftig jeden Finanzdirektoren<br />
daran hindern werden, an eine Steuererhöhung<br />
auch nur schon <strong>zu</strong> denken.<br />
Das darf nicht verwundern, müssten sich<br />
FDp und SVp sonst doch eingestehen, dass<br />
sich ihr eigener Sermon über die Segnungen<br />
des Steuerwettbewerbs als irrlehre erwiesen<br />
hat. Dass Steuersenkungen – wie es<br />
der name sagt – die einnahmen nicht vergrössern,<br />
sondern verkleinern (vor allem,<br />
wenn die Steuern überall sinken). lieber<br />
antworten die Rechten mit dem Sparhammer,<br />
sprich: mit leistungsabbau. Der Kanton,<br />
die Stadt, die Gemeinde dürfte halt<br />
nicht mehr ausgeben, als sie einnimmt, sagen<br />
sie – so, als wären sie keine politiker,<br />
sondern die hausfrauen, die sie bei dieser<br />
Gelegenheit <strong>zu</strong> zitieren pflegen.<br />
es ist die aufgabe der politik <strong>zu</strong> entscheiden,<br />
wofür der Staat sein Geld ausgeben<br />
soll – und folglich, wie viel Geld er<br />
eintreiben muss. es kann also nicht sein,<br />
«Die Zeiten haben sich geändert,<br />
und die Parlamentarier greifen<br />
nach der Budgethoheit.»<br />
dass Steuersätze nicht oder nur nach unten<br />
verhandelbar sind. Die aufgabe der Finanzdirektoren<br />
wäre es in den aktuellen<br />
budgetdebatten folglich, der bevölkerung<br />
klar <strong>zu</strong> sagen, welche leistungen <strong>zu</strong> welchem<br />
preis <strong>zu</strong> haben sind. es würde dann<br />
klar, dass niedrige Steuern nicht so abstrakte<br />
Folgen haben wie «weniger bürokratie»<br />
oder «weniger Staatsmacht». Sondern<br />
ganz konkrete: grössere Schulklassen,<br />
schlechtere pflegeleistungen, weniger polizeipatrouillen,<br />
und natürlich auch höhere<br />
eintrittspreise in die Kulturhäuser.<br />
illustration: mart meyer