vorhang zu - Kulturmagazin
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wOrt<br />
Der irrsinn der normalität<br />
auf seine skurrilen erzählungen «alles wird wie niemand will»<br />
(2009) lässt Jens nielsen neuerdings drei längere Stücke folgen:<br />
«Das Ganze aber kürzer». oder sind es doch wieder erzählungen?<br />
Wie auch immer, Jens nielsen greift abermals <strong>zu</strong>m stilistischen<br />
mittel des lockeren Flattersatzes, bei dem die Texte nicht nur formal<br />
ausfransen, sondern gerne auch syntaktisch unvollendet bleiben.<br />
«Das sah sicher aus<br />
Das heisst<br />
Falls überhaupt jemand<br />
Ja so waren eigentlich die andern<br />
Die mit<br />
Ja<br />
Die mit uns so bürger»<br />
Diese Form verrät den Schauspieler und Rezitatoren nielsen.<br />
egal ob mit «Tragikomödie», «eine zeitlupe» oder «ein erzähltes<br />
manifest» untertitelt sind die drei neuen Texte im Kern rhythmisch<br />
organisierte monologe, die gut in den mund passen. Kurze<br />
und lang zeilen variierend stellt ein erzähler-ich monologisierend<br />
schräge beobachtungen an und erfindet absonderliche begebenheiten.<br />
beispielsweise im Text 1 «niagara». allein ist er ins paradies<br />
der brautpaare gereist, <strong>zu</strong> den niagara-Fällen. beengt von<br />
lauter hochzeitskitsch fühlt er sich allerdings unwohl, weshalb er<br />
«aus einer wie mit der blödheit gezeugten Freude» wilde abenteuer<br />
erfindet. Viel aufregender als der enttäuschende Wasserfall<br />
dünkt ihn der Gedanke an einen zoobesuch, beispielsweise, wo<br />
er, anstatt nur eintöniges Wasser <strong>zu</strong> sehen, in einem Gehege<br />
zwergbakterien suchen und nicht finden würde.<br />
Das klingt unsinnig, ist es auch – allein: es hat System. Jens<br />
nielsen bettet sein niagara-abenteuer in eine Folge von entzückenden<br />
einfällen, die oft in abstrus schöne Sätze münden.<br />
«Sie haben recht<br />
ich bin verrückt<br />
aber man merkt es kaum<br />
Weil ich mich um es <strong>zu</strong> verbergen vollkommen normal verhalte»<br />
30<br />
nur manchmal verrät (verrennt) sich diese eigene logik in<br />
kleinen Verschiebungen: «ich falle um und bin allmächtig». Darin<br />
besteht die essenz diese Texte. eine fortlaufende handlung<br />
geben sie nur widerstrebend preis – beispielsweise die nummer 2<br />
«Die uhr im bauch». Der erzähler besucht eine medizinische bibliothek<br />
und holt einen baby-Test nach, der in den Sechzigerjahren<br />
bei ihm vergessen ging, <strong>zu</strong>m erstaunen einer Studentin, die nebenbei<br />
bemerkt, dass er verletzt ist, von einem hund gebissen …<br />
aber Schwamm drüber: «und der Rest des Tages war anders / und<br />
an andern Tagen geschahen andere Dinge».<br />
«Das Ganze aber kürzer» zeichnet sich durch solche, <strong>zu</strong>weilen<br />
slapstickhafte Komik in kleinen ein- und überfällen aus. es liegt<br />
gewiss nicht falsch, wer hierbei an Daniil charms denkt. auch bei<br />
nielsen steckt im Komischen <strong>zu</strong>gleich eine Grimmigkeit, die <strong>zu</strong>weilen<br />
brutal durchschlägt – etwa in Text 3 «1 Tag lang alles falsch<br />
machen». ohne Rücksicht auf die Gesundheit unternimmt der<br />
erzähler mit langem anlauf den Versuch, tanzen <strong>zu</strong> dürfen. Dabei<br />
geht vieles schief, doch «schief strebe ich an». «Falsch als plan<br />
und absicht» – so ist alles im lot. Gewissheiten vermittelt nielsen<br />
nicht, wer danach sucht, sollte die hände von diesem buch lassen.<br />
liebhaber des tieferen blödsinns dagegen finden sich darin gut<br />
aufgehoben. laut <strong>zu</strong> lesen ist dabei nicht verboten, ganz im Gegenteil.<br />
Wer je Jens nielsen beim Vortrag <strong>zu</strong>hören konnte, wird<br />
sich genau dies hier wünschen. nun denn:<br />
«liebe esel<br />
erlaubt ist was nicht stört<br />
also Ruhe bitte<br />
ich möchte a cappella tanzen»<br />
Beat Mazenauer<br />
Jens Nielsen: Das Ganze aber kürzer.<br />
Erzählte Texte.<br />
Verlag Der gesunde Menschenversand,<br />
Luzern 2012. 192 Seiten. Ca. Fr. 23.–<br />
Mehr von Jens Nieslen: Seite 23<br />
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