vorhang zu - Kulturmagazin
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nicht vergleichbar: Der Klassiker von Kurt<br />
Früh (1970) mit Walo lüönd (oben), «Dällebach<br />
Kari» Jahrgang 2012 mit nils althaus.<br />
ein «freak» im behäbigen Bern<br />
Vergleichen soll man die beiden Filme geflissentlich nicht. Xavier<br />
Koller, der gebürtige Schwyzer oscar-preisträger («Reise der hoffnung»),<br />
orientiert sich anders bei seinem neuen Film. nämlich<br />
am Theaterstück von livia anne Richard (2007). erratisch ragt da<br />
nämlich der Film von Kurt Früh in der Schweizer Kinogeschichte:<br />
immer noch, nicht nur weil er Klassiker ist, zeigt Frühs<br />
Schwarz-Weiss-Streifen mit Walo lüönd als Dällebach Kari in der<br />
(Titel-)Rolle seines lebens seine unzerstörbaren Stärken. Der<br />
Film von 1970 fokussiert auf den späten Dällebach; während Koller<br />
den jungen wie den alten berner coiffeur auf die leinwand<br />
bringt. hier haben wir das leben des berner Stadtoriginals Dällebach<br />
Kari (1877–1931) in Farbe.<br />
es ist beim «Dällebach Kari» 2012 nicht ein biografisches<br />
nachzeichnen eines tragischen lebens in chronologischer abfolge.<br />
Was den frühen Kari angeht, so wird es in Rückblenden erzählt,<br />
vom alten Kari (hanspeter müller-Drossaart), der, krebskrank<br />
in Todesnähe, seine lebensstationen an seinem letzten Tag<br />
Revue passieren lässt. es fängt bei der Geburt an. Wenn es nach<br />
dem arzt gegangen wäre, der <strong>zu</strong> Tellenbachs per Kutsche <strong>zu</strong>m<br />
emmentaler bauernhof eilt, gäbe es Kari gar nicht. er empfiehlt<br />
angesichts des mit einem sogenannten Wolfsrachen (auch: hasenscharte)<br />
auf die Welt gekommenen babys, es am besten gleich im<br />
brunnentrog <strong>zu</strong> ertränken. Die mutterliebe ist freilich stärker.<br />
auch wenn es die Familie nicht leicht hat in ihrer ökonomischen<br />
not. Die Geschwister werden als Verdingkinder fortgegeben, Kari<br />
bleibt in der fürsorglichen obhut seiner mutter.<br />
Der Knabe Kari will coiffeur werden. Das weiss er schon ganz<br />
früh, wenn er der mutter den haarzopf flicht. er wird bekannt-<br />
33<br />
KiNO<br />
lich auch einer, mit eigenem Salon in der berner altstadt. Das<br />
psychologische muster des aussenseiters: ein gehänselter ob seiner<br />
entstelltheit findet <strong>zu</strong> abwehr- und überlebensstrategien. es<br />
ist der Witz, das originelle Frechsein. Das Saufen ist in der Version<br />
2012 kein Thema mehr. und es geschieht, dass beim Schwingerfest<br />
die liebliche annemarie Geiser (carla Juri) mit dem scheuen<br />
Kari (nils althaus) in Kontakt kommt. es funkt und wird wahre<br />
liebe.<br />
aber achtung: annemarie ist Textilfabrikantentochter, also<br />
aus gutem haus und von besserem Stand. Kann das gut gehen?,<br />
heisst die bange Frage – «The beauty and the beast» auf berndeutsch.<br />
Kari begegnet allergrösstem Widerstand in Gestalt eines<br />
übel chargierenden bruno cathomas: er spielt den schnöselighochnäsigen<br />
patrizier-Vater der braut, die im Fall Kari keine sein<br />
darf. Kari verpatzt es nicht nur, weil er völlig durchnässt <strong>zu</strong>m<br />
Sonntagsmittagsmahl bei Geisers angeradelt kommt und im geliehenen<br />
pyjama am Tisch sitzen muss, laut die Suppe schlürfend.<br />
Die Standesunterschiede sind ausschlaggebend für das «es darf<br />
nicht sein».<br />
es ist alles in diesem nostalgisch anmutenden bilderbogen etwas<br />
bernerisch behäbig geraten. Die Tragik des berner «Freaks»<br />
erhält wenig profil, der Witz ist weitgehend weg. Schade und leider.<br />
Urs Hangartner<br />
eine wen iig, dr Dällebach kari; regie: xavier koller.<br />
Bourbaki ab 1. märz