vorhang zu - Kulturmagazin
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Die Aeronauten – Too Big to Fail<br />
(Rookie Records/Irascible).<br />
Konzert: DO 29. März, 20.30 Uhr, Schüür Luzern<br />
aLLes BeGriFFeN, NiCHts<br />
GeLerNt<br />
gad. bei der musikindustrie – und erst recht<br />
bei bands – von Systemrelevanz <strong>zu</strong> sprechen, ist<br />
zweifelsohne verfehlt. eine der wenigen Schweizer<br />
Gruppen, die aber getrost als institution bezeichnet<br />
werden und sich selbst das attribut<br />
«Too big to Fail» verpassen darf, sind die aeronauten.<br />
Seit 20 Jahren ist die band aus Schaffhausen<br />
und zürich eine feste Grösse in der einheimischen<br />
musikszene. Dieses Jubiläum feiert<br />
sie nun mit ihrem ersten Doppelalbum, das besagten<br />
Titel trägt. Das darin proklamierte Selbstbewusstsein<br />
schwingt in der musik mit. «nach<br />
20 Jahren kann einen nicht mehr viel erschüttern.<br />
und wir haben schon mehrmals bewiesen,<br />
dass wir unser handwerk verstehen. Wir können<br />
nur kein Geld damit verdienen. aber das<br />
bringt uns auch nicht <strong>zu</strong> Fall», sagt Sänger olifr<br />
m. Guz im interview da<strong>zu</strong>.<br />
Der erste Teil des neuen Werks bietet nicht<br />
viel neues, sondern die gewohnt gute aeronauten-Kost.<br />
Stücke wie das reisserische «Das ende<br />
ist nah» mit vielen Gästen, «enten» mit der botschaft<br />
«älter geworden, alles begriffen, nichts<br />
gelernt», wie Guz sagt, oder die finale «Dröhnung»<br />
fügen ihrer bandgeschichte weitere höhepunkte<br />
hin<strong>zu</strong>. Was bleibt, ist der abgründige<br />
humor und die salzige ironie, die sich wie ein<br />
roter Faden durch die Geschichte der Gruppe<br />
zieht. Die zweite platte bildet hingegen ein novum:<br />
erstmals haben die aeronauten ein fast<br />
ausschliesslich instrumentales album aufgenommen,<br />
auf dem sie die Grenzen ihrer musik<br />
so weit ausloten wie noch nie.<br />
in all den Jahren haben sie sich von einer<br />
Rumpelpunk-band <strong>zu</strong> einer souveränen Gruppe<br />
gewandelt, die stilistisch sehr breit ist – der punk<br />
als Wurzel ist nur noch eine ahnung, hier wird<br />
pop von Funk und Saxofon flankiert, Soul und<br />
Swing mischen sich ein. und doch ist es tröstlich,<br />
dass bei dieser grossartigen band nach so<br />
langer zeit das motto der anfangstage – der Titel<br />
ihrer 1992 veröffentlichten ersten Kassette –<br />
auch heute noch gilt: «alles wird gut».<br />
CD-weChsler<br />
Andreas Knecht: Fourty<br />
(www.andreasknecht.ch)<br />
aM JaZZPiaNO<br />
cf. Seit vielen Jahren ist er als pianist unterwegs<br />
– in lokalen Rhythm-’n’-blues-bands, mit<br />
Jazzcombos oder auch schon mal am Solopiano<br />
in der hotelbar. Jetzt ist der luzerner andreas<br />
Knecht vierzig Jahre alt geworden und hat sich<br />
das album «Fourty» gegönnt: befreundete musiker<br />
und Weggefährten haben ihm je eine<br />
Komposition geschenkt, und Knecht hat ein<br />
paar eigene Stücke geschrieben. entstanden ist<br />
ein feines, abwechslungsreiches pianoalbum<br />
zwischen Jazzballade und knackigem bigband-<br />
Jazz mit patrik Jonsson am mikrofon.<br />
Giovanni Simone Mayr: Medea in Corinto<br />
(Bayrisches Staatsorchester, Bolton; Michael, Vargas;<br />
Regie: Hans Neuenfels). Label: Arthaus Musik<br />
aLter MYtHOs aLs MOderNes<br />
sKaNdaLON<br />
peb. er hiess mayr und war ein bayr, der es in<br />
italien <strong>zu</strong> Ruhm brachte und die epoche des<br />
«belcanto» mitbegründete. Verdi nannte ihn<br />
«nostro padre». «medea» ist bekanntlich eine<br />
äusserst grausame Kindsmordgeschichte, der<br />
mayr mit seiner musik zwischen mozart und<br />
Rossini, zwischen psychologie und Virtuosität<br />
<strong>zu</strong> vollster Dramatik verhilft. Kompositorisch<br />
wie interpretatorisch ragen die Szenen der wilden<br />
Furie medea (nadja michael) heraus. Regisseur<br />
neuenfels findet szenische einfälle von<br />
<strong>zu</strong>m Teil erschreckender brutalität. hier ist eine<br />
scheinbar hochkultivierte Spiessergesellschaft<br />
<strong>zu</strong> jeder Schandtat fähig, wenn es gegen Fremde,<br />
Fremdartige, untergebene und minderheiten<br />
geht. Die inszenierung bewahrt den grausigen<br />
Skandal des alten mythos.<br />
37<br />
URS NäF EMPFIEHLT<br />
scharf. schärfer. afrobeat.<br />
Unwiderstehlich groovend, elektrisierend, virtuos<br />
– der Auftritt von Seun Kuti & Egypt<br />
80 im November in Zürich war für mich das<br />
Konzert des Jahres 2011. Mit enormer Power<br />
und Präsenz treibt Fela Kutis jüngster Sohn<br />
seine ausgewachsene Band an, die nichts mit<br />
Baströckchen und weitverbreiteten Afrikaklischees<br />
<strong>zu</strong> tun hat. Ihr zeitgenössischer Afrobeat<br />
kommt selbstbewusst, emanzipiert und urban<br />
daher – verschachtelte Rhythmen, jazzig-scharfes<br />
Gebläse und kantige Aussagen. Zu hören<br />
auch auf dem von Brian Eno produzierten Album<br />
«From Africa with Fury: Rise», das Ohrenfelle<br />
und Beine wunderbar ins Rotieren<br />
bringt.<br />
Treibenden Afrobeat entdeckte ich überraschenderweise<br />
auch in Luzern. Letztes Jahr<br />
etablierte sich in der Gewerbehalle Mitspiel,<br />
eine offene Bühne, die mehrheitlich von Jazzschul-Absolventen<br />
getragen wurde. Hier erlebte<br />
ich unerwartete Highlights, vor allem, wenn<br />
der Abend durch die Hauscombo Journey to<br />
Ouagadougou der Organisatoren Alessio Cazzetta<br />
(g), Bodo Maier (t) und Lino Blöchlinger<br />
(as) auf erhöhte Betriebstemperatur gebracht<br />
wurde. Zusammen mit Nat Bosshard (ts), Mario<br />
Hänni (dr), Manu Siebs (perc), Thomas<br />
Tavano (b) und dem Senegalesen Mory Samb<br />
(perc & voc) haben sie nun im Dezember mit<br />
hörbarem Spass ihr Debütalbum «Legi Legi»<br />
(Wolof «bis später») eingespielt. Wie ihre Konzerte<br />
hat auch die CD den Charakter einer Reise,<br />
auf der die Bläser auf dem vibrierenden<br />
Perkussionsteppich hinwegpulsen und solieren.<br />
Gitarre und Bass treiben das pochende Gebräu<br />
mit ihren kitzelnden, elastischen Riffs <strong>zu</strong>sätzlich<br />
an – um im nächsten Song wieder eine fast<br />
meditative Gelassenheit <strong>zu</strong> verströmen. Die<br />
Stücke garen und dampfen, sie brodeln und<br />
mäandern minutenlang. Auf dem lustvollen<br />
Trip nach Ouagadougou begegnen sich Funk<br />
und Afrobeat, Jazz und Improvisation. Hoffentlich<br />
auch weiterhin live und regelmässig!<br />
Seun Kuti & Egypt 80: From Africa with Fury:<br />
Rise (Knitting Factory Records/Because Music);<br />
Journey to Ouagadougou: Legi Legi<br />
(Direktvertrieb, erhältlich über basilino@bluemail.ch)