Vision
Vision
Vision
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
gards Kritik an einer allzu strengen Askese. In einem ursprünglich dem Briefwechsel mit Elisabeth von<br />
Schönau (1129 – 1164) 13 zugeschriebenen Brief schreibt Hildegard:<br />
[…] lerne Maßhaltung! Sie ist für Himmlisches und Irdisches die Mutter aller Tugenden. […] Der<br />
Mensch, der mit Seufzern der Reue seine Sünden bedenkt […] umfange die Mutter Diskretion<br />
und bekehre sich […] Wie durch unangebrachte Sturzregen die Frucht der Erde Schaden leidet<br />
und wie in ungepflügter Erde nicht gute Frucht, sondern unnütze Kräuter aufspießen, so wird<br />
auch der Mensch, der sich mehr Mühsal auferlegt, als sein Körper aushalten kann – da in ihm das<br />
Wirken der heiligen Diskretion geschwächt ist -, durch maßlos auferlegte Mühsal und Enthaltsamkeit<br />
seiner Seele keinen Nutzen bringen. 14<br />
In dieses ganzheitliche Gesamtbild von Mensch und Kosmos gehört auch das musikalische Werk Hildegards,<br />
die ihre Lieder symphonia harmoniae coelestium revelationum (Symphonie der Harmonie<br />
himmlischer Offenbarung 15 ) nennt.<br />
Als dem Kloster Rupertsberg infolge eines Interdikts [Hildegard hatte 1178 einen exkommunizierten<br />
Edelmann auf ihrem Friedhof begraben lassen] der Gesang und die Kommunion verwehrt wurden,<br />
erinnert Hildegard in einem Brief an die Mainzer Prälaten an die Analogie zwischen irdischem und<br />
himmlischem Gesang:<br />
Bedenkt also: Wie der Leib Jesu Christi vom Heiligen Geist aus der unversehrten Jungfrau Maria<br />
geboren wurde, so hat auch in der Kirche das Singen des Gotteslobes als Widerhall der himmlischen<br />
Harmonie seine Wurzeln vom Heilige Geist. Der Leib aber ist das Gewand der Seele, die der<br />
Stimme Leben gibt. Darum muss der Leib seine Stimme im Einklang mit der Seele zum Gotteslob<br />
erheben. 16<br />
Die Musikwissenschaft entdeckt in ihren Liedern eine deutliche Abgrenzung zur mittelalterlichen Gregorianik.<br />
Der Begriff der Grünkraft findet auch in die Beschreibung ihrer Lieder Eingang und die lateinische<br />
Wurzelsilbe „vir“ findet sich als Losungswort sowohl im Marienbezug (virgo) dieser Lieder wieder<br />
wie in der Beschreibung der Tugenden (virtutes) der Menschen, für die Hildegard ein eigenes<br />
geistliches Singspiel komponiert hat, von dem in Kap. 8 noch die Rede sein wird.<br />
(Kap. 5) 22:28 - 34:39 – Hildegards <strong>Vision</strong>en<br />
Im Gartenhaus, im Kreis der Schwestern, wird eine <strong>Vision</strong> Hildegards angedeutet: Im Licht des Himmel<br />
bilden die Wolken ein symbolisches leuchtendes Auge. Hildegard spricht Worte aus dem Psalm 70:<br />
Eile mein Gott mich zu erretten. Herr, mir zu helfen.<br />
Im Garten erzählt Hildegard dem Mönch Volmar von ihren <strong>Vision</strong>serlebnissen. In dem folgenden Gespräch<br />
wird die seelsorgerliche und beratende Funktion, die Volmar in Zukunft einnehmen wird, deutlich.<br />
13 http://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_von_Schönau<br />
14 Dt. Übersetzung des Briefwechsels in: Von Bingen, Hildegard (1997): „Nun höre und lerne, damit du errötest…“ Briefwechsel<br />
– nach den ältesten Schriften übersetzt und nach Quellen erläutert. Freiburg – Basel – Wien: Herder, S. 199.<br />
15 Hörbeispiele zur Musik Hildegards finden sich unter<br />
http://www.youtube.com/results?search_query=hildegard+von+bingen+musik&search_type=&aq=2&oq=<br />
Hildegard+von+Bingen.<br />
16 Von Bingen, Hildegard: Briefwechsel, a.a.O., S. 239f.<br />
11