Vision
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Die Darstellung in dieser Sequenz spielt auf das Singspiel Ordo virtutum 27 an, in dem der für Hildegards<br />
Denken bezeichnende Ansatz der Grünkraft (viriditas) mit dem Tugendbegriff (virtutes) verbunden<br />
wird: Im Kampf um die Seele treten die Tugenden gegen den Teufel an und obsiegen schließlich.<br />
„Dieses Singspiel ist nach der Antike die erste neue und in sich geschlossene Theaterschöpfung und<br />
das erste von einer Frau geschaffene Bühnenwerk, das überliefert.“ 28 Es endet mit den Worten:<br />
„Also nun ihr Menschen alle, beugt eure Knie zu eurem Vater, sehnt euch ihm entgegen, dass er<br />
euch seine Hand entgegenstreckt.“ 29<br />
An diesem Singspiel zeigt sich noch einmal die harmonisch-kommunikative Funktion, die Hildegard<br />
der Musik im Kontext von Gott – Welt – Mensch zuweist. Gerade der Teufel ist der einzig „Unmusikalische“<br />
in diesem Stück, ihm wird die einzige Sprechrolle, die im Wesentlichen aus Schreien und Kreischen<br />
besteht, zugewiesen.<br />
Im Film wird die Auseinandersetzung zwischen Hildegard und Tenxwind an diesem Singspiel festgemacht.<br />
Tenxwinds Einspruch zielte aber darüber hinaus auf die besondere Form der Spiritualität des<br />
Rupertsberger Klosters insgesamt. Dazu gehörte auch, dass die Rupertsberger Nonnen sich beim<br />
Empfang der heiligen Kommunion an den hohen Festtagen nicht in der üblichen schlichten Tracht der<br />
Benediktinerinnen versammelten: „Geschmückt sind sie mit goldenen Fingerringen und bodenlangen<br />
leuchtendweißen Seidenschleiern, Sinnbild für die Anmut der Tugenden. Ihr Häupter krönen<br />
goldgewirkte Kränze, in die Kreuze und auf der Stirn ein Bild des Lamm Gottes eingeflochten sind. Die<br />
Bräute erwarten den Bräutigam und stellen damit jene himmlische Schau vorauslaufend dar, die Hildegard<br />
in der fünften <strong>Vision</strong> der Scivias beschreibt.“ 30 Tenxwind bemängelt:<br />
„Das rühmliche Gerücht vom Ruf Eurer Heiligkeit hat sich eilends verbreitet. Wunderbare und<br />
staunenswerte Dinge sind uns zu Ohren gekommen. (…) Auch etwas anderes Ungewöhnliches<br />
über Euren Brauch kam uns zu Ohren, nämlich, dass Eure Jungfrauen an Festtagen beim<br />
Psalmengesang mit losen Haaren in der Kirche stehen. Als Schmuck tragen sie glänzendweiße<br />
Seidenschleier, die so lang sind, dass sie den Boden berühren; auch haben sie golddurchwirkte<br />
Kränze auf dem Haupt, (…). Dazu sollen ihre Finger mit goldenen Ringen geschmückt sein, (…).<br />
Außerdem – das scheint uns nicht weniger wundersam als dies alles – würden nur Frauen aus<br />
angesehenem und adligem Geschlecht in Eure Gemeinschaft aufgenommen, den Nichtadligen<br />
verwehrt Ihr weiterhin die Aufnahme bei euch. Darüber sind wir sehr bestürzt und von der Ungewissheit<br />
großen<br />
Zweifels verunsichert, wenn wir schweigend im Geiste erwägen, dass der Herr in der Urkirche<br />
bescheidene und arme Fischer erwählt hat (…).“ 31<br />
Tenxwinds Kritik zielt damit über die spirituellen Formen auf die Praxis Hildegards, nur mehr adlige<br />
Frauen ins Kloster aufzunehmen. Hildegard entgegnet:<br />
27 Hörbeispiele aus dem Singspiel finden sich unter<br />
http://www.youtube.com/results?search_query=ordo+virtutum&search_type=&aq=0&oq=ordo+vir.<br />
Dabei handelt es sich aber auch um freie Interpretationen und moderne Adaptionen.<br />
28 Kerner, a.a.O., S. 100.<br />
29 Ebd., S. 101.<br />
30 Von Bingen, Hildegard, Scivias, a.a.O., S. 173.<br />
31 http://www.landderhildegard.de/?nav=78&PHPSESSID=92e2e8902049e37724dfdf85ac8f5e93<br />
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