1. ForSchunG und <strong>Kultur</strong>elle BIldunG „<strong>Kultur</strong>elle Bildung in den Künsten und durch sie ist integraler Bestandteil der allgemeinen Bildung von Anfang an. Sie ermöglicht und befördert Selbstbildungsprozesse wie Wahrnehmung, Verhalten, Werthaltungen, Identität sowie Lebensgestaltung. Sie erweitert eine Vielzahl individueller und sozialer Kompetenzen und stärkt gesellschaftspolitische Verantwortungsfähigkeit. <strong>Kultur</strong>elle Bildung sensibilisiert für unterschiedliche kulturelle Bedeutungssysteme und stärkt kreativ-künstlerische Entwicklungsprozesse. [...] Einen besonderen Platz hat die kulturelle Bildung in der <strong>Schule</strong>. Hier ist sie Bildung in den Künsten, aber auch Bildung zur Orientierung in der Welt durch die Künste.“ (Stellungnahme des Deutschen <strong>Kultur</strong>rats, „<strong>Kultur</strong>elle Bildung in der <strong>Schule</strong>“, Berlin, 7. Januar 2009)
© Jonas Gonell ForSchunG und <strong>Kultur</strong>elle BIldunG _9 1.1 warum SInd dIe Sterne So unordentlIch VerteIlt? üBer dIe PotenzIale FrühKIndlIcher <strong>Kultur</strong>eller BIldunG Vanessa-Isabelle reinwand Prof. Dr., Juniorprofessorin für <strong>Kultur</strong>elle Bildung am Institut für <strong>Kultur</strong>politik der Universität Hildesheim Der Denkanstoß von Fischli/Weiss: „Warum sind die Sterne so unordentlich verteilt?“ in ihrem kreativen Büchlein „Findet mich das Glück?“ führt uns geradewegs hinein in das Thema der Forschung über die Umsetzung frühkindlicher <strong>Kultur</strong>eller Bildung. Damit ist im Folgenden <strong>Kultur</strong>elle Bildung für Kinder der Altersgruppe von 0 bis 10 Jahren, also im Kindergarten- und Grundschulalter gemeint. Man kann auf die ungewöhnliche Frage der beiden Autoren mindestens drei Impulse mit Blick auf das Feld der frühkindlichen <strong>Kultur</strong>ellen Bildung anführen. Potenziale frühkindlicher <strong>Kultur</strong>eller Bildung Der erste Denkimpuls widmet sich dem Verständnis von Bildung, wenn wir die oben genannte Frage als diejenige eines Kindes verstehen, das Welt begreifen möchte. In der in den letzten Jahren wieder neu aufgeworfenen Diskussion um frühkindliche (<strong>Kultur</strong>elle) Bildung geht man von der Grundannahme aus, dass Lern- und (Selbst-)Bildungsprozesse besonders in den ersten Jahren durch konkrete Lernanlässe (Personen, Gegenstände, Situationen...) der Lebenswelt motiviert sind. Die Aufgabe, insbesondere von <strong>Kultur</strong>eller Bildung, liegt darin, die kindliche Art und Weise Welt zu entdecken, sich neugierig Wissen anzueignen und Erfahrungen zu machen und zu unterstützen. Es gilt, eine Atmosphäre zu schaffen, in der immer wieder neue Fragen aufgeworfen, aber diese nicht sofort abschließend und erschöpfend durch einen Erwachsenen beantwortet bzw. gelenkt werden. Das geeignete Medium, durch das diese Form der Weltaneignung und Selbstbewusstwerdung geschehen kann, bilden die Künste wie Musik, Tanz, Theater, Bildende Kunst, Zirkus etc., die sinnliche Möglichkeitsräume darstellen ohne ein festes Curriculum vorzugeben. Es ist also, dem skizzierten Bildungsverständnis folgend, nicht die Intention von frühkindlicher <strong>Kultur</strong>eller Bildung, aus Kindern professionelle Künstler/innen zu machen oder sie grundsätzlich schon als solche anzusehen, sondern sinnliche Lern- und Bildungsprozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Kinder lernen in den ersten Jahren vor allem durch konkrete, dingliche Erfahrungen, welche künstlerisches Handeln zahlreich zur Verfügung stellt. Ästhetische Symbole nehmen dabei die Funktion von „Übergangsobjekten“ (Winnicott 1985) ein, wie Mollenhauer (1996, S. 260) feststellt, d. h. sie vermitteln zwischen der Innenwelt des Kindes und der äußeren sozialen Realität. So fördert z. B. eine qualitativ hochwertige musikalische Bildung Basisfähigkeiten wie Zuhören, Aufmerksamkeit und Sprachkompetenzen durch die Auseinandersetzung mit Tonhöhe, Rhythmus, Melodie oder auch das Einhalten von Pausen. Theater dagegen lebt von sinnlich erfahrbarem Textverständnis, kann soziales und kommunikatives Verhalten befördern (vgl. z. B.. Liebau/Klepacki/Zirfas 2009) und unterstützt die Erprobung verschiedener Wirklichkeiten und die Mentalisierung, d. h. die für sprachliche Prozesse wichtige Fähigkeit, andere als „geistige Akteure“ (Tomasello 2006, S. 228) zu verstehen. Im Tanz wiederum können motorische Fähigkeiten entwickelt werden, die Ausbildung eines Raum- und Körpergefühls (z. B. Westphal 2008) wird unterstützt und die Selbstwahrnehmung reflektiert. In der frühen Beschäftigung mit Bildender Kunst stehen wieder andere Potenziale im Mittelpunkt: Materialerfahrung, Veränderung von Perspektiven, aktive Gestaltung der Umwelt und dadurch verstärkte Beziehungserfahrungen (vgl. z. B. Peez 2005). Leicht ließe sich diese „Potenzial-Liste“ auf andere Kunstsparten und natürlich auch um zusätzliche Dimensionen erweitern. Wie die unterschiedlichen Künste tatsächlich rezeptiv und/oder produktiv auf Kinder wirken, hängt also stark von der Kunstsparte ab, jedoch auch vom jeweiligen Angebot, der Qualität und Professionalität der Durchführung und nicht zu- letzt von der Individualität jedes einzelnen Kindes, was die Transfer- und Wirkungsforschung der Kuturellen Bildung schwierig gestaltet. Zudem <strong>macht</strong> es wenig Sinn, (frühe) kulturelle Bildungsangebote isoliert von der Lebenswelt der Kinder zu untersuchen, was jedoch für eine eindeutige Kausalität zwischen Intervention und Entwicklung wissenschaftlich notwendig wäre. Dennoch attestieren – meist aufgrund von methodisch gestützten Beobachtungen – (Forschungs-)Projekte in Niedersachsen, Potenziale frühkindlicher <strong>Kultur</strong>eller Bildung (Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Bildung und Qualifizierung) oder positive Transfereffekte wie mit „Zeig mal – lass hören!“ (Universität Hildesheim). Bei einigen Projekten wie „Mit Musik geht manches besser!“ (Technische Universität Braunschweig) oder „Musik, Malen und die kindliche Entwicklung“ (Universitätsmedizin Göttingen) darf man auf die Ergebnisse gespannt sein. Das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) trägt dazu bei, dass auch in der Ästhetischen und <strong>Kultur</strong>ellen Bildung nach und nach aussagekräftige Ergebnisse entstehen. Und das Kompetenzzentrum Frühe Kindheit Niedersachsen an der Universität Hildesheim stärkt die interdisziplinäre Forschung in Bezug auf diese Altersgruppe und besitzt eine eigene Forschungseinheit zum Thema „Ästhetisch-<strong>Kultur</strong>elle Bildung“. Insgesamt sind die Künste in ihrer jeweiligen und individuellen Wirkungsweise jedoch noch ungenügend erforscht. Im Bereich der Effekte früher musikalischer Bildung und Bewegungsförderung existieren wohl derzeit die meisten Studien, andere Sparten sind noch weit weniger ergründet. Frühkindliche <strong>Kultur</strong>elle Bildung für alle in niedersachsen? „Warum sind die Sterne so unordentlich verteilt?“ In einer zweiten Lesart können wir diese Eingangsfrage als Anstoß nehmen, um über Chancengerechtigkeit in der frühen <strong>Kultur</strong>ellen Bildung und eine „<strong>Kultur</strong>politik für Kinder“ (Schneider 2009) nachzudenken. Das Recht aller Kinder auf Teilhabe am kultu-