Download - Kultur macht Schule
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6_ Vor- und GruSSworte<br />
eInFührunG<br />
<strong>Kultur</strong>elle BIldunG – allheIlmIttel mIt rISIKen und neBenwIrKunGen<br />
anja Krüger<br />
Landesvereinigung <strong>Kultur</strong>elle Jugendbildung<br />
Niedersachsen e. V. (LKJ),<br />
Koordinationsbüro „<strong>Kultur</strong> <strong>macht</strong> <strong>Schule</strong>“,<br />
Hannover<br />
„Heranwachsende brauchen eine Welt, in der es – wie bei sportlichen<br />
Wettkämpfen – interaktiv zugeht. Sie müssen möglichst<br />
viele Herausforderungen meistern, damit die wichtigen Vernetzungen<br />
in ihrem Hirn entstehen können.“<br />
(Alexandra Rigos, Journalistin)<br />
Mit der kulturellen Jugendbildung ist es so wie mit Heranwachsenden.<br />
Sie braucht eine interaktive Welt mit möglichst vielen<br />
Anregungen, um überhaupt Fuß fassen zu können, wichtige<br />
Vernetzungen entstehen zu lassen und Herausforderungen<br />
zu meistern. Nur dann kann kulturelle Jugendbildung sich fließend<br />
gestalten. „Panta rhei!“ – „Alles fließt!“ – auf Griechisch<br />
mit Heraklit gesprochen. Alles ist in Bewegung, alles entwickelt<br />
sich und nichts bleibt so, wie es einmal war. Menschen<br />
sind in Bewegung und gestalten.<br />
Im Jahr 2010 feierte die Landesvereinigung <strong>Kultur</strong>elle Jugendbildung<br />
Niedersachsen e. V. (LKJ) ihr 30-jähriges Jubiläum,<br />
eine vergleichsweise junge Erscheinung, blickt man auf die<br />
lange Entwicklung von Kunst und <strong>Kultur</strong> zurück. Was treibt<br />
den Menschen dazu, vermeintlich nutzlose Dinge zu tun, wie<br />
ein Bild zu malen, eine Skulptur zu gestalten, eine Figur theatralisch<br />
auf die Bühne zu bringen oder einem Gefühl einen Tanz<br />
zu widmen? Forscher/innen können keine eindeutige Antwort<br />
geben, warum vor 40 000 Jahren die Venus vom Hohlen Fels<br />
kreiert wurde. Sie ist eine der ersten figürlichen Skulpturen,<br />
die zugleich Fortpflanzung und Geburt darstellt. Wie auch immer<br />
die Antwort zu diesem Rätsel ausfallen mag, der Paläoanthropologe<br />
Nicholas Conrad ordnet diese Figur der Kunst zu,<br />
weil sie nicht eindeutig, sondern mehrdeutig gestaltet ist.<br />
Kann auch <strong>Kultur</strong>elle Bildung mehrdeutig sein?<br />
was heißt das für <strong>Kultur</strong>elle Bildung und welche Bedeutung<br />
hat es für uns?<br />
Jugendliche werden künstlerisch und kreativ auf mehreren<br />
Ebenen angesprochen. Sie gewinnen den Freiraum der Gestaltung<br />
zurück und entwickeln, angeregt durch kreative Prozesse,<br />
Schlüsselkompetenzen, wie z. B. Selbstbewusstsein, Teamfähigkeit<br />
und Experimentierfreude. Kurzum, sie sind nicht nur<br />
kreativ, sondern bilden ganz nebenbei Schlüsselkompetenzen.<br />
Nicht nur die künstlerischen Ergebnisse entsprechen der<br />
Definition des Paläoanthropologen, auch die Beschäftigung<br />
der Jugendlichen an und für sich, ausgelöst durch kulturelle<br />
Vermittlungsmethoden, findet mehrgleisig statt.<br />
worin stecken nun die herausforderungen für <strong>Kultur</strong>elle<br />
Bildung, wenn sie bildungswirksam für Jugendliche sein soll?<br />
Eines der höchsten Ziele ist die Forderung nach „<strong>Kultur</strong> für alle<br />
und möglichst von Anfang an“. Wo kann <strong>Kultur</strong>elle Bildung alle<br />
Jugendlichen erreichen? In der <strong>Schule</strong>. Zwei unterschiedliche<br />
Systeme treffen aufeinander und versuchen, sich anzunähern.<br />
Hierin steckt die erste Herausforderung für alle Beteiligten einer<br />
Kooperation. Die Maximen lauten: „Arbeiten auf Augenhöhe“<br />
oder „Entwickeln eines gemeinsamen Bildungsverständnisses“,<br />
das ist einfacher geschrieben, als in der Praxis umgesetzt.<br />
Das Kooperationsverständnis bleibt bei den meisten<br />
Projekten diffus und daraus entstehen Unzufriedenheit und<br />
Konflikte.<br />
Angebote <strong>Kultur</strong>eller Bildung im schulischen Alltag sind leider<br />
oft Anhängsel am Nachmittag. Auf den ersten Blick ist zu sehen,<br />
dass sich in Niedersachsen 1300 <strong>Schule</strong>n dem Ganztagsschulprinzip<br />
angeschlossen haben. Diese Tatsache gibt Hoffnung,<br />
impliziert sie doch die Möglichkeit eines Unterrichts, der<br />
nicht zwischen Vor- und Nachmittag unterscheidet, sondern<br />
den Tag als ein Gesamtes betrachtet. Auf den zweiten Blick<br />
ist zu erkennen, dass ein Großteil dieser Ganztagsschulen<br />
offene Ganztagsschulen sind, was so viel bedeutet, dass der<br />
verpflichtende Unterrichtsanteil nur am Vormittag stattfindet.<br />
Dementsprechend ist das Nachmittagsangebot inhaltlich<br />
nicht mit dem Vormittag verzahnt, weil kein Gesamtkonzept<br />
für den ganzen Tag vorliegt. Solange niedersächsische Ganztagsschulen<br />
offene Ganztagsschulen sind, wird <strong>Kultur</strong>elle<br />
Bildung meist ein Anhängsel bleiben. Trotzdem hat <strong>Kultur</strong>elle<br />
Bildung auch in <strong>Schule</strong>n Hochkonjunktur, es soll ein Allheilmittel<br />
zur Bekämpfung des Virus „Pisa-Misere“ sein. Einige Risiken<br />
des Mittels wurden soeben beschrieben. Die Nebenwirkungen<br />
gestalten sich für Kinder und Jugendliche positiv. Es fördert<br />
quasi nebenbei ihre Kompetenzentwicklung, gibt ihnen Selbstvertrauen<br />
und setzt Impulse in ihrer Bildungsbiografie. Welche<br />
Formen das vermeintliche Allheilmittel in Niedersachsen entwickelt<br />
hat, ist exemplarisch in dieser Veröffentlichung zusammengetragen.<br />
Niedersachsen ist eine blühende Heilmittelapotheke. <strong>Kultur</strong>elle<br />
Bildung gestaltet sich immer bunter und vielfältiger. „<strong>Kultur</strong><br />
<strong>macht</strong> <strong>Schule</strong>“ ist eine relativ junge Arznei, welche ihr Entfaltungspotenzial<br />
noch entwickelt und besonders unerprobte<br />
Medizin braucht viel Aufmerksamkeit, um ihre volle Wirkung<br />
entfalten zu können.<br />
Die naturwissenschaftliche Forschung versucht, Wirkungsweisen<br />
von <strong>Kultur</strong>eller Bildung im Gehirn zu fixieren. Neurobiologisch<br />
betrachtet, setzt künstlerische Betätigung Impulse im Gehirn<br />
frei. Das bestätigt die Ausgangsthese, dass Heranwachsende<br />
und <strong>Kultur</strong>elle Bildung in ihrer Entwicklung auf Impulse angewiesen<br />
sind, um Vernetzungen entstehen lassen zu können.<br />
© Schäflein & Himmelreich