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48_ loKale und Kommunale VernetzunGen Kristina Löpker vom Internetportal „OSCommunity“ zu ihren Erfahrungen mit „Kultur schnuppern“ befragt wurden: „Kultur ist eigentlich nicht so mein Ding“, gibt z. B. Hüseyin ganz offen zu. Und doch hat er zum ersten Mal für einen Workshop das Felix-Nussbaum-Haus betreten. „Dort haben wir Bilder des Künstlers nachgemalt, was wirklich Spaß gemacht hat“, sagt er. Özge hat durch das Projekt plötzlich Spaß am Theater gefunden. „Bei uns machen sie jetzt eine Theater-AG. Ich glaube, ich melde mich da jetzt einfach mal an“. „Richtig toll“ fanden Valerina, Özge und Hüseyin vor allem Stationen, in denen sie selbst aktiv werden durften: Graffiti- Sprayen in der Kunsthalle, Musizieren in der Kunst- und Musikschule oder auch der Besuch in der Bibliothek. „Mit Pausen und vielen Mitmach-Aktionen können wir das Projekt auf jeden Fall auch anderen Schulklassen empfehlen“, erklärten die drei abschließend. KontaKt und weItere InFormatIonen: www.osnabrueck.de/11656.asp 3.6 SchulzIrKuS und zIrKuSSchulen SIeh mal, waS Ich Kann! wolfgang Pruisken Lehrer der Zirkusklasse an der IGS Linden Hannover und 1. Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Zirkus Jedes Kind zeigt gern Kunststücke und daher lieben Kinder den Zirkus nicht nur als Zuschauer/in. Sie probieren gern selber aus und präsentieren ihre Kunst mit Leidenschaft. Kein Wunder, dass Zirkus in immer mehr Schulen seinen Platz findet, ob als Projekt oder dauerhafte Einrichtung. Kinder- und Jugendzirkus in niedersachsen und Bremen Zirkus als Teil der Kulturellen Bildung hat in Deutschland eine vergleichsweise junge Geschichte. Vor ca. 25 Jahren gründeten sich mehr und mehr Gruppen unter Anleitung von Pädagogen/ innen und Artisten/innen. Die Besonderheit in Niedersachsen: Klaus Hoyer, Fachmoderator für Sport/Freizeit an Gesamtschulen in Niedersachsen, der selbst an der IGS Garbsen eine Gruppe gegründet hatte, sorgte dafür, dass an fast jeder Gesamtschule auch ein Zirkusprojekt als Teil des Ganztagsangebots entstand. 1992 vertraten drei Schulgruppen das Land Niedersachsen bei der „Expo“ in Sevilla. Dies war der Startpunkt für die Gründung der LAG Zirkus, in der mittlerweile 40 Gruppen mit fast 3000 Mitgliedern vertreten sind. In der neu gegründeten Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Zirkuspädagogik organisieren sich Pädagogen/innen und Einrichtungen aus der ganzen Republik. Sie entwickeln Ausbildungsgänge und Standards für die zirkuspädagogische Arbeit. Eine eigene Arbeitsgruppe kümmert sich um die Kooperation mit Schulen. In Niedersachsen arbeiten alle Gruppen auch mit Schulen zusammen. Beispielhaft ist die Arbeit in Hannover. Dort entstand in Trägerschaft der LAG Zirkus und der Landeshauptstadt das Netzwerk „CircO“, das mittlerweile den Status eines „Kompetenzzentrum Zirkus“ hat. „CircO“ organisiert im Auftrag der Landeshauptstadt Hannover an mittlerweile 16 Schulen Angebote am Nachmittag. Im Stadtteil Sahlkamp kooperiert es sogar im Vormittagsbereich im Rahmen des Sportunterrichts mit wechselnden Schulen. zirkus wird von den Schulen stark nachgefragt Requisiten werden für bewegte Pausen angeschafft. Zirkus ist längst nicht mehr nur Thema für ein Fest. Mitarbeiter/innen aus Kindergärten und Horten bis hin zu gesamten Kollegien aus Einrichtungen der Jugendhilfe bilden sich fort und machen sich fit für Zirkus als Teil des Schulprogramms. Auch Förderschulen entdecken zunehmend seine „heilsame“ Wirkung. Die Länder Niedersachsen und Brandenburg stellen in den Kultusministerien eigens Fachberater/innen zur Verfügung, die Schulen bei der Suche nach Zirkusangeboten begleiten. ein Bereich für selbstbestimmtes lernen An den Schulen, die schon lange eigene Zirkusprojekte anbieten, höre ich von den Kindern, dass für sie der Zirkus auch eine Gegenwelt zur Schule ist: „Hier kann ich selbst entscheiden, hier lerne ich selber, hier redet mir der Lehrer nicht rein, hier sind meine Freunde“. Kinder und Jugendliche können im Zirkus einen Bereich finden, der Hartmut von Hentigs Forderung nach gutem pädagogischen Handeln erfüllt: Er meint, gute Pädagogen/innen, die jungen Menschen Werte vermitteln wollen, sollten ver- © Schäflein & Himmelreich (Bildrechte: LKJ Nds e.V.)
suchen, „den jungen Leuten durch spezielle Übungen auf die Beine zu helfen: Sie halten sie an, unter vielen Möglichkeiten frei und nach sorgfältiger Überlegung zu wählen; sie machen ihnen Mut, sich zu der einmal getroffenen Wahl zu bekennen, an ihr festzuhalten, mit ihr zufrieden zu sein; sie fordern sie auf, etwas mit dem Gewählten zu tun – und das wiederholt.“ (2001, S. 77f.) Aktivitäten wie Jonglieren und Artistik hat von Hentig bei dieser Beschreibung sicher nicht im Kopf gehabt. Verblüffend ist aber die Übertragbarkeit auf die Inhalte des Zirkus: Besonders auch, was das Ziel einer Aufführung angeht, die im Unterschied zu den sonstigen Aktivitäten Ernstfall ist und nicht vorgibt zu sein. So ist es nicht verwunderlich, wenn Schulen auf das Medium Zirkus aufmerksam werden. Das ist leider zu häufig noch zufällig und auch in der Frage der pädagogischen Wirksamkeit nicht immer klar. was gute Projekte auszeichnet Wenn Lehrer/innen sich für ein Zirkusangebot für ihre Schüler/ innen – ob in der Schule oder im Zirkuszelt – entscheiden, sollte maßgeblich sein, ihnen nicht nur ein einmaliges Erlebnis bieten zu wollen. Außerdem sollten sie prüfen, ob die Struktur des Angebots wirklich die versprochenen Wirkungen erzielen kann. Zirkuspädagogische Einrichtungen wie das TPZ in Lingen, der Zirkus Seifenblase in Oldenburg oder das „CircO“ in Hannover, die den Schulen von einwöchigen bis zu jahrelang laufenden Projekten Angebote machen können, und die auch bei der Finanzierung unterstützen, hat aber nicht jeder in der Nähe. Ob im Zelt oder in schulischen Räumen: Zirkus bietet als Besonderheit immer auch einen Ort, an dem Kinder verschiedenen Alters gleichberechtigt lernen können. Beispielhafte Projekte an Schulen sind so organisiert. Hier trainieren 18-Jährige neben 11-Jährigen, treten mit ihnen auf und übernehmen natürlich auch Anleitungsaufgaben. Lernen voneinander ist in idealer Weise möglich. Davon berichten auch Schulen, die nur eine Woche lang klassen- und jahrgangsübergreifende Projekte angeboten haben. Wo sonst Konkurrenz herrschte, trat Zusammenarbeit an ihre Stelle und vereinte die Schule auf besondere Weise. Ganztagsschulen könnten diese Chance besonders nutzen. und der Sportunterricht? Seit ca. 25 Jahren versucht die Traumfabrik in Regensburg, mit Modellen des „Kreativen Sports“ den Sportunterricht zu verändern. Tausende von Sportlehrern/innen und anderen Päda- gogen/innen haben seitdem Kurse gemacht in Tanz, Jonglieren, Bewegungskünsten und vielem mehr. Parallel entwickelte sich die Jonglier- und Akrobatikszene immer weiter und wurde zunehmend größer. Das konnte man alles nicht mehr übergehen. Die Sportlehrerausbildung mit der Aufnahme des Themas „Freizeitsport“ tat ein Übriges. So haben die Inhalte des Zirkus Einzug gehalten in die Inhalte des Sportunterrichts. In den „Rahmenrichtlinien Sport in Niedersachsen“ heißt z. B. der Bereich Turnen jetzt „Turnen und Bewegungskünste“. Es bewegt sich also etwas. Ich leite selbst seit Anfang der 1990er Jahre Fortbildungskurse für Lehrer/innen. Diese Kurse sind äußerst beliebt. Viele Lehrer/innen kommen mit eigenen Erfahrungen in der Leitung von AGs und den Versuchen, Zirkus in den Sportunterricht zu integrieren. Für andere ist der Inhalt neu und spannend. Sie lernen neue Bewegungsformen und haben dabei die Chance, die Seite zu wechseln, selber Lernende/r zu sein und damit die loKale und Kommunale VernetzunGen _49 Position des/r Schülers/in besser zu verstehen. Solche Seminare sind geprägt von der Reflexion der eigenen Lernerfahrung im Verhältnis zur Lehrerrolle. Die Möglichkeit, sich unter vielen Requisiten und Bewegungsangeboten eines auszusuchen, wird schnell als die besondere Chance des Themas erkannt. Wie aber das im Unterricht umsetzen? Ohne Requisiten geht doch nichts. Wer hat in seiner Turnhalle Einräder, Laufkugeln, ein Drahtseil oder mehr als ein Trapez? Jonglierbälle sind schnell beschafft, schwieriger wird es meist bei den kostspieligeren Geräten. Die Anschaffung durchzusetzen erfordert einen langen Atem, aber es gelingt immer häufiger. In Schulen, die bereits eine funktionierende AG haben, ist vieles einfacher. Da muss oft nicht einmal der Schuletat her, weil die Gruppen sich mit ihren Auftritten ihre Requisiten selbst verdienen. zirkus kann die Schule verändern Zirkus kann ein neuer Erfahrungsraum sein, wie ihn sich von Hentig für die Schule vorstellt: „Ich wünsche [...], dass junge Menschen erfahren, was eine Gemeinschaft ist, was sie gibt und fordert – eine größere als die Familie, in die sie hineingeboren sind, und eine weniger künstliche und zufällige als die Schulklasse, in die man sie hineinverwaltet hat; sie sollen eine Gelegenheit haben, als ganze Person die verfasste Gemeinschaft, in der und von der sie leben, wahrzunehmen: dieses Erlebnis sollte so sein, dass sie vieles von dem, was sie lernen, für die Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft einzusetzen bereit sind, ja dass sie es zu einem großen Teil um ihretwillen – um ihrer Fortsetzung und Vervollkommnung willen – lernen.“ (Ebd. 2006, S. 17). Zirkus kann diese Gemeinschaft bieten, Gemeinschaft ist ein Leitziel. In kleinen und großen Projekten ist das möglich. Zirkus bietet die Chance, dass an die Stelle an einer pädagogisch erdachten Gemeinsamkeit, „eine von der Sache vorgegebene tritt, an die Stelle von verordnetem Pensum eine möglichst frei zu wählende Lerngelegenheit, an die Stelle von kollektiver Belehrung eine persönliche Bewährung in einem Lebenszusammenhang, an die Stelle von Leistungsverpflichtung eine Selbstverpflichtung, an die Stelle des abstrakten Gehorsams ein konkreter Vertrag mit der Gemeinschaft.“ (Ebd., S. 11). „Wie von Hentig immer gesagt hat: Es geschieht keine Erziehung für die Kunst, sondern eine Erziehung an der Kunst. Dieser Sinn impliziert gewisse Umgangsformen in der Vermittlung: Einladen, lassen, herausfordern, stützen, Erfindungen anregen, Gemeinsamkeit stiften – individualisieren, üben – zeigen.“ (Funke Wieneke 2006, S. 2). KontaKt und weItere InFormatIonen: www.lag-zirkus.de und www.circo-hannover.de lIteratur: von hentig, hartmut (2001): Ach, die Werte. Über eine Erziehung für das 21. Jahrhundert. Weinheim. von hentig, hartmut (2006): Bewährung, Von der nützlichen Erfahrung nützlich zu sein. München. Funke wieneke, Jürgen (2006): Der Zirkus als Erzieher. Überlegungen zu einer pädagogischen Interpretation einer volkstümlichen Kunst, Vortrag in Gschwend. Nov. 2006. [www.bag-zirkus.de, 29.11.2011].
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