1525 das Domkapitel die beibehaltenen Neuerungen - Historicum.net
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296 Winfried Schulze Die veränderte Bedeutung sozialer Konflikte 297<br />
Verhältnisse — wurde ebenfalls in einer Vielzahl von Arbeiten untersucht,<br />
<strong>die</strong> hier nur als Gattung angesprochen werden können. 66 Aus <strong>die</strong>ser<br />
Perspektive einer drohenden Umwälzung der bestehenden politischen Verhältnisse<br />
ergab sich aber auch der direkte Anstoß aller hier angeführten<br />
Autoren. Folgen wir exemplarisch noch einmal Kaspar Klock, dem Finanzwissenschaftler,<br />
um <strong>die</strong> Intentionen <strong>die</strong>ser Schriften zu verdeutlichen.<br />
In der Vorrede zum zweiten Band seiner Konsiliensammlung diskutierte<br />
Klock 1649 <strong>die</strong> unterschiedlichen Auffassungen über <strong>die</strong> Veränderung<br />
und den Untergang von Staaten. Manchen <strong>die</strong>ne hierbei der Stand der<br />
Gestirne als Maßstab, <strong>die</strong> Theologen beriefen sich auf den unerforschlichen<br />
Ratschluß Gottes. Ohne <strong>die</strong>se Möglichkeiten schon definitiv auszuschließen,<br />
erscheine es ihm doch angebracht, auf <strong>die</strong> wirklichen Ursachen<br />
solcher Veränderungen selbst einzugehen, <strong>die</strong> bei den Menschen selber<br />
zu suchen seien. Als wirkliche Ursachen nennt er: Ungerechtigkeit, Zwietracht,<br />
Machtgier, Stolz, Luxus und Geiz. Die Uneinigkeit und Zwietracht,<br />
von der alle Welt spreche, komme also nicht von außen, sondern sei im<br />
Menschen selber begründet.<br />
Die unvermeidliche Folge solcher Schäden seien Aufstände, Haß zwischen<br />
Fürsten und Untertanen. Hier setzt Klock seine Arbeit als Jurist und Politikwissenschaftler<br />
an: „De remediis cogitandum erit, quibus curatio obtineri<br />
queat." Den Meinungen aber, <strong>die</strong> in Aufständen positive Entwicklungen<br />
sähen, könne er sich nicht anschließen. Seine Arbeit habe der unversehrten<br />
Erhaltung der „membra corporis rei publicae", bzw. der Wiederherstellung<br />
ihrer früheren Gesundheit zu <strong>die</strong>nen. 67 In den meisten Schriften wird<br />
der Vergleich mit der Funktion des Arztes gezogen und damit <strong>die</strong> praktische<br />
Aufgabe der Überlegungen betont." „Tractatur a politico haec<br />
materia non positive, sed remotive, non ut excitetur, sed ne excitetur in<br />
republica seditio. Eodem modo, quo a logicis fallaciae, ab ethicis vitia,<br />
a medicis morbi considerantur", formuliert Johannes Claussen 1663 in<br />
der Einleitung seiner Dissertation über <strong>die</strong> Gründe von Aufständen."<br />
Hier wird <strong>die</strong> Aufgabe <strong>die</strong>ser neuartigen Analyse gesellschaftlicher Krisenerscheinungen<br />
noch deutlicher, als wir <strong>das</strong> etwa in der Polizeiliteratur der<br />
gleichen Epoche kennengelernt haben. Vor dem politisch und sozial bewegten<br />
Hintergrund des 16. und 17. Jahrhunderts bildet sich eine neue<br />
Stufe der Erkenntnis sich anbahnender „mutationes, conversiones oder<br />
eversiones" aus, <strong>die</strong> als solche analysiert und bekämpft werden.<br />
Konsequenz solcher Untersuchungen war für Klock <strong>die</strong> Forderung nach<br />
einem neuen Verhältnis zwischen Untertanen und Obrigkeiten. Ange-<br />
66 Vgl. Anm. 45!<br />
67 K. Klock, Consiliorum tomus II., Nürnberg 1673, Epistola dedicatoria.<br />
68 Dieser Vergleich mit der Funktion des Mediziners schon bei Brunus (de seditionibus,<br />
epistola nuncupatoria), der damit <strong>die</strong> Behandlung des Aufstandsproblems<br />
erst rechtfertigt.<br />
69 So Claussen, De seditionum causis, S. A 1.<br />
sichts der Tatsache, daß „malitia" heute <strong>die</strong> vorzüglichste Eigenschaft der<br />
Bauern sei, <strong>die</strong> ganz allgemein als „schlau, listig und arrogant" bezeich<strong>net</strong><br />
werden, 7° mußte es jetzt darauf ankommen, auftauchende Konflikte durch<br />
strikte Beachtung der rechtlichen Normen beizulegen. 71 Jeder Eindruck<br />
ungerechter und tyrannischer Behandlung mußte jetzt vermieden werden.<br />
Klocks Steuerlehre, <strong>die</strong> er in einem stattlichen Folioband von fast 600<br />
Seiten 1676 vorlegte, ist deshalb unter unserem Blickwinkel ein Kompendium<br />
über <strong>die</strong> Möglichkeiten und Schwierigkeiten, <strong>die</strong> für den Betrieb des<br />
absolutistischen Territorialstaats erforderlichen Abgaben von der bäuerlich-bürgerlichen<br />
Bevölkerung ohne nennenswerte Reibungsverluste zu<br />
erhalten.<br />
War für Klock und alle anderen oben aufgeführten Schriftsteller ein Aufstand<br />
<strong>die</strong> schlimmste aller denkbaren Belastungen eines Staatswesens —<br />
weit schlimmer noch als Krieg —, so haben wir mit Johann Wilhelm Neumair<br />
von Ramsla einen Vertreter der Auffassung vor uns, <strong>die</strong> auch <strong>die</strong><br />
Möglichkeit positiver Entwicklungen in einer Aufstandsbewegung zumindest<br />
diskutierte. Der weitgereiste sächsische Adlige hat uns mit seinem<br />
„Sonderbaren Traktat vom Aufstand der Untern wider ihre Regenten<br />
und Obern" eine bemerkenswerte Arbeit hinterlassen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> bisherige<br />
rechts- oder politikhistorische Forschung — soweit ich <strong>das</strong> übersehen<br />
kann — nicht beachtet hat. 72 Dabei handelt es sich bei seinem Werk wohl<br />
um <strong>das</strong> ergiebigste der hier untersuchten Gruppe von Schriften über <strong>das</strong><br />
Aufstandsproblem, <strong>das</strong> am ehesten als ein Kompendium für <strong>das</strong> Verhalten<br />
der auf beiden Seiten an einem Aufstand beteiligten Personen und<br />
Gruppen zu bezeichnen ist.<br />
Die in <strong>die</strong>ser Literaturgattung vermutete neue Bewertung sozialer Konflikte<br />
findet in Neumairs Traktat ihren oft überraschenden Niederschlag.<br />
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist wie bei den meisten Schriften <strong>die</strong><br />
Klage über sich häufende Aufstände mit allen ihren negativen Konsequenzen.<br />
Unser Autor zieht jedoch nicht <strong>die</strong> klassische Konsequenz einer<br />
für Regenten und Obrigkeiten gedachten Handlungsanweisung zur Domestizierung<br />
der Untertanen und zur gewaltsamen Eindämmung solcher Kon-<br />
70 So Klock, Tractatus nomico-politicus de contributionibus in romano-germanico<br />
imperio et aliis regnis ut plurimum usitatis, Frankfurt 1676, S. 53, wo er <strong>die</strong> Bauern<br />
in ihrer „malitia" mit den Sklaven der antiken Welt vergleicht.<br />
71 Vgl. dazu <strong>das</strong> o. a. Zitat Gails. Bei Klock gilt <strong>das</strong> nicht nur für <strong>die</strong> Steuer, für <strong>die</strong><br />
er stets einen gerechten Grund fordert, sondern auch für <strong>die</strong> anderen bäuerlichen<br />
Dienste und Abgaben, wo er zur Bewahrung der hergebrachten Normen und zur<br />
Mäßigung rät, ebd., S. 51 ff.<br />
72 So ist Neumair z. B. nicht in der Althusius-Bibliographie, Bibliographie zur politischen<br />
Ideengeschichte und Staatslehre, zum Staatsrecht und zur Verfassungsgeschichte<br />
des 16. bis 18. Jahrhunderts, 2 Bde., Hg. Scupin-Scheuner, Berlin 1973,<br />
aufgeführt. E. Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre u.<br />
Praxis, Bd. 1, Freiburg 1957, S. 459f. verzeich<strong>net</strong> seinen „Traktat von Friedenshandlungen".