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1525 das Domkapitel die beibehaltenen Neuerungen - Historicum.net

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288<br />

Winfried Schulze<br />

gewaltsamen Maßnahmen außer Verkehr zu setzen, <strong>die</strong> immer im Hintergrund<br />

für den Fall aller Fälle bereitgehalten wurden, konzentrierte sich<br />

<strong>das</strong> Bemühen der Landesfürsten stärker auf <strong>die</strong> Ausschöpfung gütlicher<br />

Mittel. Damit korrespon<strong>die</strong>rte auch <strong>die</strong> im 16. und 17. Jahrhundert steigende<br />

Tendenz der Möglichkeiten rechtlicher Beschwerden bei Untertanenklagen.<br />

Während <strong>die</strong>ses Zeitraums schufen alle Territorien <strong>die</strong> institutionellen<br />

Voraussetzungen für bäuerliche Klagen gegen ihre Obrigkeiten."<br />

Im Allgäu kam es in der Grafschaft Rotenfels sogar zur Einrichtung einer<br />

ständigen Schiedskommission, <strong>die</strong> im Konfliktfall zwischen Untertanen<br />

und Obrigkeit vermitteln sollte. 35 Auch <strong>das</strong> Auftauchen von Bauernprokuratoren<br />

und entsprechenden Gegenmaßnahmen in <strong>die</strong>ser Zeit deutet auf<br />

eine verstärkte Nutzung des Klagewesens hin. Exemplarisch soll hier auf<br />

<strong>das</strong> Beispiel des Appellationsgerichts in Dresden verwiesen werden, <strong>das</strong><br />

zweifellos erst nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten angerufen<br />

wurde. Immerhin sind zwischen 1556 und 1799 von 110 Bauern allein<br />

aus dem Gebiet des sächsischen Amtes Borna Prozesse vor <strong>die</strong>sem Gericht<br />

geführt worden." Ein Beispiel aus dem Bistum Paderborn soll <strong>die</strong> Intensität<br />

solcher Auseinandersetzungen vor Gericht belegen. Hier hatte <strong>die</strong><br />

(vgl. Anm. 24) stark akzentuierte Verhandlungsphase des Bauernkrieges ist hierbei<br />

zu bedenken, ebenso wie der Abschluß des Memminger Vertrags von 1526 (!),<br />

der <strong>die</strong> Rechtsstellung der Kemptener Bauern präzisierte. Zu den Kemptener<br />

Vorgängen vgl. <strong>die</strong> Bewertung bei P. Blickle, Personalgenossenschaften u. Territorialgenossenschaften<br />

im Allgäu, in: Standen en tanden 53. 1970, S. 216 ff. In<br />

<strong>die</strong>sem Zusammenhang scheint mir <strong>die</strong> Beobachtung W. Sellerts (Prozeßgrundsätze<br />

u. Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen<br />

des reichskammergerichtlichen Verfahrens, Aalen 1973, S. 194 ff.) wichtig,<br />

daß von den beiden höchsten Reichsgerichten vor allem dann Kommissionen zur<br />

Untersuchung der Streitigkeiten am Ort eingesetzt wurden, wenn der innere<br />

Frieden im Reich gefährdet erschien.<br />

34 Wichtig ist für <strong>die</strong>sen Vorgang der Speyerer Deputationsabschied von 1600<br />

(Neue Sammlung III, hier S. 474-76), durch den <strong>die</strong> Appellationssumme auf<br />

300 11. erhöht wurde, gleichzeitig aber <strong>die</strong> territorialen Obrigkeiten zur Annahme<br />

von Untertanenbeschwerden bzw. zur Einrichtung entsprechender Institutionen<br />

verpflichtet wurden. Vgl. zu <strong>die</strong>ser Entwicklung W. Hülle, Das Supplikenwesen<br />

in Rechtssachen, Anlageplan für eine Dissertation, in: ZRG GA 90. 1973, S.<br />

194-212, der (S. 202) davon spricht, daß <strong>die</strong> Supplikation sich im 17. Jahrhundert<br />

in Deutschland „zu einem echten Rechtsmittel geschriebenen Rechts"<br />

entwickelte. Vgl. auch Art. „Supplikation" in Ze<strong>die</strong>r, Universal-Lexikon, Bd. 41,<br />

1744, Sp. 365-69. Vgl. dazu auch <strong>die</strong> Ausführungen über <strong>die</strong> Armenrechtsbestimmungen<br />

an den beiden Reichsgerichten bei Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 126 ff.<br />

35 Nach Blickle, Personalgenossenschaften, S. 203.<br />

36 Nach Reißner, Bauer u. Advokat, S. 42. K. H. Blaschke (Das kursächsische Appellationsgericht<br />

1559-1835 u. sein Archiv, in: ZRG GA 84. 1967, S. 329--54,<br />

hier S. 352), spricht von „mehreren tausend" Prozeßakten in Auseinandersetzungen<br />

zwischen Grundobrigkeiten und Untertanen. Nach einem Bericht in der ZfG<br />

23. 1975, S. 434 ff. untersuchte H. Harnisch in den Stiftern Magdeburg und Halberstadt<br />

zwischen 1540 und 1630 25 Prozesse von Untertanen gegen ihre Obrigkeiten.<br />

Vgl. auch <strong>die</strong> Hinweise bei Stulz u. Opitz, S. 37.<br />

Die veränderte Bedeutung sozialer Konflikte 289<br />

Familie von Borch seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts Streit mit ihren<br />

Untertanen über <strong>das</strong> Ausmaß bestimmter Dienste. 1657 kommt es zu<br />

einem durch den Bischof vermittelten Vergleich. 1685 kommt es zu erneuten<br />

Meinungsverschiedenheiten, wobei <strong>die</strong> bäuerlichen Beschwerden<br />

drei Jahre später durch <strong>die</strong> Duisburger Fakultät abgewiesen werden. 1720<br />

werden erneut <strong>die</strong> Dienste verweigert. Trotz Strafbefehlen der Regierung<br />

reichen <strong>die</strong> Bauern 1747 erneut eine Klage bei der Regierung ein, <strong>die</strong><br />

wiederum abgewiesen wird. Erst in der Appellation an <strong>das</strong> Reichskammergericht<br />

erhalten <strong>die</strong> Untertanen 1804 ein Urteil, in dem <strong>die</strong> Dienste präzisiert<br />

werden.37<br />

Auch wenn es sich hierbei um einen besonders langwierigen Streit handelte,<br />

der jedoch kein Einzelfall war, 38 so belegen auch hier Gegenmaßnahmen<br />

am ehesten <strong>die</strong> Gültigkeit <strong>die</strong>ser Aussage. Dem Verbot von<br />

Winkeladvokaten in der Steiermark und in Sachsen etwa entspricht auf<br />

der Ebene des Reiches <strong>die</strong> Bestimmung, daß bei den Klagen sogenannter<br />

„armer Parteien" am Reichskammergericht jeweils der Anreger der Klage<br />

angegeben werden muß, um dem Mißbrauch des Klageweges vorzubeugen.<br />

Auch andere Bestimmungen über den Gang von Untertanenklagen an <strong>die</strong>sem<br />

Gericht bestätigen, daß der Klageweg offensichtlich so stark genutzt<br />

wurde, daß vom Kammergericht bestimmte Vorprüfungen von Untertanenklagen<br />

eingeführt wurden." Das ändert jedoch nichts daran, daß <strong>die</strong> Untertanenklage<br />

gegen ungerechte Behandlung durch <strong>die</strong> Grundobrigkeiten ihren<br />

bislang kaum beachteten Niederschlag auch in dem offiziösen Handbuch<br />

des Kammergerichtsprozesses von Andreas Gail fand, wo es hieß:<br />

„Wann ein Herr allzusehr gegen und wieder seine Untertanen tyrannisieret, wütet<br />

oder tobet und <strong>die</strong>selben über <strong>die</strong> Maßen beschweret und zu ungewöhnlichen Hof-<br />

37 Dieses Beispiel nach F. W. Henning, Herrschaft u. Bauernuntertänigkeit, Würzburg<br />

1964, S. 238. Über eine ähnliche Prozef3kette der Untertanen von Hohenzollern—Hechingen<br />

gegen ihren Landesherrn berichtet F. Hertz, Die Rechtssprechung<br />

der höchsten Reichsgerichte im römisch-deutschen Reich und ihre<br />

politische Bedeutung, in: MIÖG 69. 1961, S. 334 ff. Über Prozesse ähnlicher Länge<br />

gegen <strong>die</strong> Herren von Schönburg vgl. Stulz u. Opitz, S. 33 ff.<br />

38 Andere Beispiele bei E. Gothein, Die oberrheinischen Lande vor u. nach dem<br />

dreißigjährigem Kriege, in: ZGO 40. 1886, S. 3-38 und ders., Die Hofverfassung<br />

auf dem Schwarzwald dargestellt an der Geschichte des Gebiets von St. Peter,<br />

in: ebd., S. 257-316, S. 306. Zwischen 1583 und 1628 wehrten sich <strong>die</strong> Untertanen<br />

von St. Peter erfolgreich gegen <strong>die</strong> neue Gotteshausordnung, <strong>die</strong> ihre Rechte<br />

beschnitt. Im 17. und 18. Jahrhundert verweigerten <strong>die</strong> Untertanen <strong>die</strong>ses Klosters<br />

über Generationen hinweg <strong>die</strong> Leibeigenschaftsgefälle, bis <strong>die</strong>se 1735 durch eine<br />

Pauschalsumme von den Untertanen abgelöst werden konnte. Weitere Beispiele<br />

bei Franz, Bauernstand, S. 191, Anm. 13, S. 192, Anm. 15, S. 194. Vgl. auch K.<br />

Wernicke, Untersuchungen zu den niederen Formen des Klassenkampfes im Gebiet<br />

der Gutsherrschaft 1648-1789, Phil. Diss. Berlin 1962 und W. Recktenwald,<br />

Verbrechen gegen <strong>die</strong> öffentliche Ordnung in Kursachsen zur Zeit Benedicts Carpzovs,<br />

Jur. Diss. Bonn 1956, S. 103.<br />

39 S. Anm. 34 mit den Verweisen auf den Deputationsabschied vom Jahre 1600<br />

und <strong>die</strong> Ausführungen bei Sellert.

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