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Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter

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12 Dezember 2008<br />

hildegard hamm-Brücher hat die Bundesrepublik politisch maßgeblich mitgestaltet<br />

Von Norbert Schreiber<br />

Beharrlich hatte ich ein<br />

Jahr lang die „Lady der<br />

Liberalen“ mit meinem Interviewwunsch<br />

genervt: Gerade<br />

hatte Hildegard Hamm-<br />

Brücher Bonn verlassen,<br />

um in München 1970 den<br />

Fraktionsvorsitz der FDP im<br />

Bayerischen Landtag als ers-<br />

te Frau in einer solchen Position<br />

anzunehmen. Gerade<br />

war sie auch aus China von<br />

einer Bildungsreise zurückgekehrt.<br />

Genug Gründe also<br />

für eine Sendung im damaligen<br />

Popsender SWF 3. Eine<br />

„Mittwochsparty“ sollte ich<br />

mit ihr moderieren.<br />

Hildegard Hamm-Brücher<br />

war schon damals ein prominenter,<br />

gern gesehener Studiogast.<br />

Als die dreistündige<br />

Sendung zu Ende war, hatte<br />

ich einen neuen Job. Ich wurde<br />

ihr persönlicher Assistent<br />

und Wahlkampfleiter. Vom<br />

Fleck weg engagiert. Meine<br />

Beharrlichkeit hatte sie offenbar<br />

überzeugt. So ist sie eben:<br />

spontan, auf Menschen zugehend,<br />

ohne irgendwelche Vorurteile,<br />

immer charmant und<br />

sehr experimentierfreudig.<br />

Politische Freunde und enge<br />

Mitarbeiter wählen den<br />

Kürzel-Namen „HB“, wenn<br />

sie von Dr. Hildegard Hamm-<br />

Brücher reden.<br />

<strong>Die</strong> Schlüsselgeschichte<br />

ihres Lebens erzählt sie gerne<br />

selbst: Als achtjähriges Mädchen<br />

steht „HB“ im Berliner<br />

Familienschwimmbad „Krumme<br />

Lanke“ auf dem Zehnmeter-Brett<br />

vor den kritischen<br />

Schwerpunk t > Demokr atie<br />

Deutschlands „Grande Dame“<br />

Fotos: Picture alliance<br />

MORAL IN DER pOLITIK<br />

<strong>Die</strong> „Grande Dame der Politik“, hildegard hamm-Brücher 2007 bei einem Fernsehauftritt in Berlin.<br />

Augen ihres Vaters und zögert.<br />

Soll sie sich wirklich beherzt<br />

in die Tiefe des Schwimmbeckens<br />

stürzen? Nach einigen<br />

Zweifeln und der Angst, sich<br />

zu blamieren, wagt sie den<br />

mutigen Sprung: „Ich hielt mir<br />

nicht einmal die Nase zu.“<br />

Ehrgeiz, Zivilcourage und<br />

Mut, gepaart mit Bescheidenheit,<br />

Liebe zum politischen<br />

und gesellschaftlichen Engagement<br />

und einer gehörigen Portion<br />

an preußischen Tugenden,<br />

das ist der Eigenschaftskatalog,<br />

um die populäre Charak-<br />

aAls Helmut Kohl 1982 das finde, dass beide dies<br />

Misstrauensvotum gegen nicht verdient haben:<br />

die sozial-liberale Regie- Helmut Schmidt ohne<br />

rung Helmut Schmidt Wählervotum gestürzt zu<br />

wagt, stimmt Hildegard werden, und Sie, Helmut<br />

Hamm-Brücher aus<br />

Kohl, ohne Wählervo-<br />

grundsätzlich demokratum zur Kanzlerschaft<br />

tischen Motiven nicht zu. zu gelangen. Zweifellos<br />

Sie hält damals im Bun- sind die beiden sich bedestag,<br />

dem sie von 1976 dingenden Vorgänge ver-<br />

bis 1990 angehörte, eine fassungskonform. Aber<br />

aufsehenerregende Rede sie haben nach meinem<br />

über die Gewissensfrei- Empfinden doch das Odiheit<br />

der Abgeordneten. um des verletzten demo-<br />

Ihr Kernsatz lautete: „Ich kratischen Anstands.“<br />

terfigur der deutschen Politik<br />

näher zu beschreiben. Und vor<br />

allem anderen hat sie eben immer<br />

diese Unerschrockenheit<br />

zum Sprung ins Ungewisse<br />

bewiesen.<br />

Aus den Irrtümern<br />

der Nazizeit gelernt<br />

Spartanisch in der Zeit nach<br />

dem 1. Weltkrieg aufgewachsen<br />

(zur Abhärtung gab‘s<br />

feuchtkalte Tücher und Zitronensaft<br />

im Eierbecher),<br />

erlebt sie die Nazizeit („<strong>Der</strong><br />

Führerkult gefiel mir nicht“)<br />

und die Wirren nach dem<br />

2. Weltkrieg und den politischen<br />

Neubeginn nach den<br />

Traumata der Nazi-Diktatur.<br />

Im weiteren Kreis um die<br />

Geschwister Scholl hatte Dr.<br />

Hildegard Hamm-Brücher erleben<br />

müssen, wie der Kampf<br />

für die Freiheit im Widerstand<br />

gegen Hitler eben auf<br />

dem Schafott endete. Noch<br />

heute ist ihre feste Überzeugung:<br />

„Wir haben aus unseren<br />

Irrtümern gelernt. Aber<br />

noch nicht ausgelernt.“ <strong>Der</strong><br />

Opfertod der Widerständler<br />

prägte sie sehr stark für ihr<br />

künftiges politisches Leben.<br />

Er wurde geradezu zu einer<br />

Selbstverpflichtung für sie,<br />

zum Auftrag an eine junge<br />

Demokratin.<br />

Zu ihrer Konfirmation<br />

wünscht sich das hübsche, etwas<br />

scheue Mädchen ein Faltboot<br />

statt Schmuck, sie tauft es<br />

auf den Namen „Carpe diem“.<br />

Und sie bekommt als Geschenk<br />

eine neue Gefährtin mit dem<br />

Namen „Erika“. Auf ihr tippt<br />

sie künftig alles eigenhändig,<br />

was von „HB“ als Rede oder<br />

Buch erscheinen wird. Das<br />

Wasser und die Worte, das sind<br />

ihre Lebens-Elixiere und als<br />

passendes Motto dazu: Nutze<br />

den Tag.<br />

<strong>Die</strong> Brücher-Kinder verlieren<br />

beide Elternteile. Vater Paul<br />

starb an einer unentdeckten<br />

Blinddarmentzündung. Mutter<br />

Lilly elf Monate später an einem<br />

inoperablen Gehirntumor. Und<br />

so wachsen sie zunächst bei der<br />

Großmutter in Dresden auf. Ihren<br />

Lebensmut und Ratschläge<br />

bezieht sie von „Ömchen“, der<br />

Großmutter: „Du musst ein<br />

Ziel haben. Es nicht verstecken.<br />

Wenn nötig auch alleine<br />

dafür einstehen.“ Angesichts<br />

der drohenden KZ-Deportation<br />

nach Theresienstadt wählt<br />

sie den Freitod. <strong>Die</strong> Brücher-<br />

Geschwister kommen ins In-<br />

ternat nach Salem. Mit elf<br />

Jahren war Hildegard Hamm-<br />

Brücher also Vollwaise.<br />

Erich Kästner, der erfolgreiche<br />

Kinderbuchautor und<br />

Feuilletonchef der Neuen<br />

Zeitung in München, lehrt<br />

sie in der Nachkriegszeit<br />

zeitungsgerecht zu schreiben<br />

und erfindet als Freund<br />

liebevolle Spitznamen für die<br />

Kollegin Dr. Hildegard Hamm-<br />

Brücher: Hilde-„Gardinchen“<br />

oder Hilde-„Vorgärtchen“. Er<br />

lockt sie zur freien Mitarbeit<br />

in die „Neue Zeitung“. Sie<br />

wird Wissenschaftsreportagen<br />

schreiben und schließt<br />

dennoch ihr Chemiestudium<br />

als Heisenberg-Schülerin bei<br />

Prof. Heinrich Wieland ab.<br />

Nach einem Interview mit<br />

Theodor Heuss folgt sie seiner<br />

Aufforderung: “Mädle, Sie<br />

müsset in die Politik.“<br />

<strong>Die</strong> „Grande Dame“ der<br />

deutschen Demokratie tummelt<br />

sich zuerst im Münchner<br />

Stadtparlament als junge aufrechte<br />

Demokratin und engagierte<br />

Frauenrechtlerin. Sie<br />

Mit ihrem<br />

Parteifreund<br />

hans- <strong>Die</strong>trich<br />

Genscher, mit<br />

dem sie 1982<br />

wegen der wende zeitweise<br />

überkreuz lag, ist sie nach<br />

einer aussprache wieder im<br />

Reinen: „<strong>Der</strong> ist so geistesgegenwärtig,<br />

dass er an zehn<br />

Schachbrettern gleichzeitig<br />

spielen kann.“<br />

kämpft sich im Bayerischen<br />

Landtag und Bundestag mit<br />

Reden, Interviews, Initiativen<br />

und ihren zahllosen Publikationen<br />

in die erste Reihe<br />

deutscher Parlamentarier.<br />

„HB“ bringt Streitschriften<br />

und Reformen auf den Weg.<br />

Als Politikerin, Protestantin,<br />

Preußin ist das höchste Gut<br />

für sie: Moral in der Politik.<br />

Und sie liest den gegnerischen<br />

Parteien und den eigenen<br />

Liberalen heftig und gerne<br />

die Leviten, wenn Heuchelei,<br />

Parteigeklüngel oder Männer-Schau-Machtkämpfe<br />

die<br />

guten Polit-Sitten verderben.<br />

Sie ist eine fleißige Kirchgängerin<br />

mit großem Gottvertrauen,<br />

eine protestantische<br />

Rebellin im schicken Kostüm,

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