Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter
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immer perfekt frisiert, nie aus<br />
der Rolle fallend, das derbe<br />
„Aufeinanderherumhacken“<br />
im politischen Alltagsgeschäft<br />
liegt ihr ganz und gar nicht.<br />
Sie kämpft mit Florett, nicht<br />
mit Säbel.<br />
Sie streitet in einem von ihr<br />
mitgetragenen Volksbegehren<br />
„Rundfunkfreiheit in Bayern“<br />
für das „partei- und staatsfreie“<br />
Radio, setzt durch,<br />
dass Buben und Mädchen in<br />
gemeinsamen Schulklassen<br />
erzogen werden, stürzt sich<br />
in Wahlkämpfe gegen Franz<br />
Josef Strauß. Er schimpft<br />
sie „Krampfhenne“. Sie führt<br />
Wahl- und Polit-Kampagnen<br />
schon in den sechziger Jahren<br />
„bürgernah“ auf dem Fahrrad,<br />
im Stadtviertel, mit Hausparties<br />
und Infoständen.<br />
Für mehr Bildung und<br />
lebenslanges Lernen<br />
Sie bereist die pädagogischen<br />
Provinzen im In- und Ausland<br />
und wird zur Prophetin<br />
der „Bildungskatastrophe“ in<br />
Deutschland. Sie fördert die<br />
Entrümpelung der veralteten<br />
Schulbücher, kämpft gegen<br />
konservative Lehrmeinungen<br />
an den Hochschulen und<br />
bringt die Gesamtschulversuche<br />
auf den Weg. Ihr bildungspolitisches<br />
lebenslanges<br />
Credo: „<strong>Die</strong> Schule der Demokratie<br />
ist die Schule“.<br />
Dr. Hildegard Hamm-Brücher<br />
startet als eine der ersten<br />
Bildungspolitiker Informationsreisen<br />
durch die damals<br />
noch existierende Sowjet-<br />
union und durchs kommunistische<br />
China, denn auch für<br />
sich selbst formuliert sie den<br />
Anspruch auf „lebenslanges<br />
Lernen“.<br />
<strong>Die</strong> drohende Bildungskatas-<br />
trophe hat sie früh erkannt,<br />
aber die politischen Mittel<br />
1967<br />
Schwerpunk t > Demokr atie<br />
und Partner fehlten ihr, um<br />
tiefgreifende Veränderungen<br />
auf den Weg zu bringen, merkt<br />
sie selbstkritisch an.<br />
Auf unzähligen Reisen als<br />
stellvertretende Außenministerin<br />
prägt sie die auswärtige<br />
Kulturpolitik, erhöht Kulturtats,<br />
fördert das Goetheinstitut<br />
und konferiert mit den<br />
Großen dieser Welt: Jimmy<br />
Carter, Ronald Reagan, Indira<br />
Ghandi, Golda Meir,<br />
Michail Gorbatschow, Václav<br />
Havel und Papst Johannes<br />
Paul II.<br />
Nur mit ihr konnte es mir<br />
1978 gelingen, zum ersten und<br />
einzigen Male die Verfassungsorgane<br />
der Bundesrepublik, damals<br />
Bundespräsident Walter<br />
Scheel, Bundestagspräsident<br />
Karl Carstens, Bundeskanzler<br />
Helmut Schmidt und Bundesverfassungsgerichtspräsident<br />
Ernst Benda<br />
an einen Tisch<br />
zu holen, um<br />
sie mit dem<br />
S o u v e r ä n ,<br />
dem Volk,<br />
drei Tage über<br />
die Zukunft<br />
der Demokratiediskutieren<br />
zu lassen.<br />
Erstmalig und<br />
einmalig in<br />
der Geschichte<br />
der Bundesrepublik.<br />
Von ARD und<br />
ZDF in Sondersendungen<br />
über t ragen.<br />
Das Neue, das<br />
Überraschende, das Unvorhergesehene,<br />
das reizt sie.<br />
In der Zeit, als ich ihr<br />
persönlicher Assistent war,<br />
sollten wir sie zur Außenministerkonferenz<br />
auf den<br />
Bonner Petersberg begleiten.<br />
Es stand kein anderes Fahr-<br />
Bei einer Münchner Demonstration für bessere Bildungspolitik.<br />
zeug zur Verfügung als eine<br />
kleine rote Citröen-„Ente“. Sie<br />
stieg, ohne eine Sekunde zu<br />
zögern, in den Blechkasten<br />
ein und wir fuhren zwischen<br />
schwarzen, chromblitzenden<br />
Luxus-Staatskarossen im<br />
„Studenten-Mercedes“ ohne<br />
Stander vor.<br />
Als ein Arzt sie vor einiger<br />
Zeit rücksichtslos mit dem<br />
Mountainbike an der Ampel<br />
über den Haufen fährt, verzichtet<br />
sie auf eine Anzeige<br />
und beweist für den Raser Verständnis.<br />
Als werdender Vater<br />
unterwegs in die Geburtsklinik<br />
hatte der den <strong>Sinn</strong> für Tempolimits<br />
völlig verloren. Verständnis<br />
für andere, Bescheidenheit<br />
und ihre sprichwörtliche<br />
Sparsamkeit zeichnen sie aus:<br />
Luxus oder Effekthascherei<br />
oder gar Imponiergehabe sind<br />
nicht ihre Welt.<br />
1982<br />
Bei ihrer Rede zum Bonner Regierungswechsel im Bundestag.<br />
<strong>Die</strong> Politikerin, die stets Farbe<br />
bekennt, mag am liebsten<br />
die schlichten weißen Töne<br />
in ihrer Eigentumswohnung,<br />
in der sie gastfreundlich im<br />
ruhigen Prominentenviertel<br />
Harlaching in München lebt.<br />
Dort serviert sie Gästen gerne<br />
höchstpersönlich Weißwurstfrühstück<br />
oder lädt sie in<br />
den benachbarten Münchner<br />
Biergarten zum „Haxn-Essen“<br />
ein. Dabei ist ihr der urigbayerische<br />
Lebensstil immer<br />
fremd geblieben, der Preußin<br />
mit Haltung. „Das Hinterfotzige<br />
fehlt mir“, das Lederhosen-Bayern<br />
war nie ihr Ding,<br />
eher schon der Laptop. Im<br />
hohen Alter buchte sie Computerkurse<br />
und ließ sich das<br />
Surfen im Internet und das<br />
Mailen beibringen. War nicht<br />
sie es, die schon immer das<br />
lebenslange Lernen forderte?<br />
Sie ist identisch mit dem,<br />
was sie fordert, und löst es<br />
selbst ein.<br />
1994<br />
Ihre Beziehung zur FDP ist<br />
„keine Liebesgeschichte“, sondern<br />
eine „starke Beziehung“.<br />
Als der FDP unter Möllemann<br />
ein Rechtsruck droht und<br />
die „Spaßgesellschaft“<br />
um<br />
sich greift, tritt<br />
sie aus Protest<br />
aus der liberalen<br />
Partei<br />
aus: „Ich lebe<br />
angstfrei und<br />
in politischer<br />
und geistiger<br />
Freiheit. Das<br />
erlebe ich immer<br />
wieder als<br />
ein kostbares<br />
Geschenk.“<br />
Als politischer„Querkopf“<br />
stößt sie<br />
auch andere<br />
vor den Kopf,<br />
aber nie aus<br />
persönlichen Gründen, es geht<br />
ihr immer um den Inhalt und<br />
die Sache an sich, für die sie<br />
kämpft: zum Beispiel für die<br />
Demokratie, die Gewissensfreiheit<br />
des Abgeordneten und<br />
gegen den Rechtsradikalismus.<br />
Mancher Politkollege nennt sie<br />
Dezember 2008 1<br />
Mit Richard von weizsäcker und helmut Schmidt in Stuttgart.<br />
eine „Nervensäge“; weil sie eben<br />
sehr beharrlich sein kann.<br />
Ihre Kraft für Politik bezieht<br />
sie aus der ihr eigenen Robustheit,<br />
wirklicher Lebensfreude<br />
und praktizierter Menschenliebe.<br />
Eine ehrliche und glaubwürdige<br />
Politkerin, die sich<br />
nicht durch den politischen<br />
Betrieb hat verbiegen lassen.<br />
Über ihren<br />
politischen<br />
Freund und<br />
kollegen<br />
helmut<br />
Schmidt sagt sie bewundernd:<br />
„Er konnte sehr gut<br />
zuhören, und ausgesessen<br />
hat er Probleme nie.“<br />
Und immer noch sucht sie nach<br />
den kleinen Utopien: „Willst<br />
du ein glückliches Leben, verbinde<br />
es mit einem Ziel.“<br />
Zwei Ziele hat sie nicht<br />
erreicht, als Kind wäre sie<br />
gerne Karussellbesitzerin<br />
oder Schwimmweltmeisterin<br />
geworden.<br />
Man erreicht eben nicht<br />
alle Ziele im Leben und in der<br />
Politik genausowenig.<br />
gEgEN DIE „SpASSgESELLSCHAFT“<br />
a1948 wird die 1921 in terium und als Staatsmi-<br />
Essen geborene Hildegard nisterin im Auswärtigen<br />
Hamm-Brücher jüngste Amt. 1994 kandidiert sie<br />
Abgeordnete im Münch- als erste Frau für das Amt<br />
ner Stadtrat. 22 Jahre des Bundespräsidenten.<br />
ist die FDP-Politikerin 2002 tritt sie als Stellver-<br />
Mitglied des Bayerischen tretendeBundesvorsitzen- Landtages – davon sechs de der Liberalen wegen<br />
Jahre als erste weibliche Möllemanns und Wester-<br />
Fraktionsvorsitzende. 14 welles„Spaßgesellschafts- Jahre ist sie Mitglied im politik“ aus der FDP aus.<br />
Deutschen Bundestag. Sie <strong>Die</strong> streitbare Liberale<br />
arbeitet unter anderem kämpfte beharrlich für die<br />
als Staatssekretärin im Parlamentsreform und die<br />
hessischen Kultusminis- Rechte der Abgeordneten.