30.01.2013 Aufrufe

Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter

Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter

Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

immer perfekt frisiert, nie aus<br />

der Rolle fallend, das derbe<br />

„Aufeinanderherumhacken“<br />

im politischen Alltagsgeschäft<br />

liegt ihr ganz und gar nicht.<br />

Sie kämpft mit Florett, nicht<br />

mit Säbel.<br />

Sie streitet in einem von ihr<br />

mitgetragenen Volksbegehren<br />

„Rundfunkfreiheit in Bayern“<br />

für das „partei- und staatsfreie“<br />

Radio, setzt durch,<br />

dass Buben und Mädchen in<br />

gemeinsamen Schulklassen<br />

erzogen werden, stürzt sich<br />

in Wahlkämpfe gegen Franz<br />

Josef Strauß. Er schimpft<br />

sie „Krampfhenne“. Sie führt<br />

Wahl- und Polit-Kampagnen<br />

schon in den sechziger Jahren<br />

„bürgernah“ auf dem Fahrrad,<br />

im Stadtviertel, mit Hausparties<br />

und Infoständen.<br />

Für mehr Bildung und<br />

lebenslanges Lernen<br />

Sie bereist die pädagogischen<br />

Provinzen im In- und Ausland<br />

und wird zur Prophetin<br />

der „Bildungskatastrophe“ in<br />

Deutschland. Sie fördert die<br />

Entrümpelung der veralteten<br />

Schulbücher, kämpft gegen<br />

konservative Lehrmeinungen<br />

an den Hochschulen und<br />

bringt die Gesamtschulversuche<br />

auf den Weg. Ihr bildungspolitisches<br />

lebenslanges<br />

Credo: „<strong>Die</strong> Schule der Demokratie<br />

ist die Schule“.<br />

Dr. Hildegard Hamm-Brücher<br />

startet als eine der ersten<br />

Bildungspolitiker Informationsreisen<br />

durch die damals<br />

noch existierende Sowjet-<br />

union und durchs kommunistische<br />

China, denn auch für<br />

sich selbst formuliert sie den<br />

Anspruch auf „lebenslanges<br />

Lernen“.<br />

<strong>Die</strong> drohende Bildungskatas-<br />

trophe hat sie früh erkannt,<br />

aber die politischen Mittel<br />

1967<br />

Schwerpunk t > Demokr atie<br />

und Partner fehlten ihr, um<br />

tiefgreifende Veränderungen<br />

auf den Weg zu bringen, merkt<br />

sie selbstkritisch an.<br />

Auf unzähligen Reisen als<br />

stellvertretende Außenministerin<br />

prägt sie die auswärtige<br />

Kulturpolitik, erhöht Kulturtats,<br />

fördert das Goetheinstitut<br />

und konferiert mit den<br />

Großen dieser Welt: Jimmy<br />

Carter, Ronald Reagan, Indira<br />

Ghandi, Golda Meir,<br />

Michail Gorbatschow, Václav<br />

Havel und Papst Johannes<br />

Paul II.<br />

Nur mit ihr konnte es mir<br />

1978 gelingen, zum ersten und<br />

einzigen Male die Verfassungsorgane<br />

der Bundesrepublik, damals<br />

Bundespräsident Walter<br />

Scheel, Bundestagspräsident<br />

Karl Carstens, Bundeskanzler<br />

Helmut Schmidt und Bundesverfassungsgerichtspräsident<br />

Ernst Benda<br />

an einen Tisch<br />

zu holen, um<br />

sie mit dem<br />

S o u v e r ä n ,<br />

dem Volk,<br />

drei Tage über<br />

die Zukunft<br />

der Demokratiediskutieren<br />

zu lassen.<br />

Erstmalig und<br />

einmalig in<br />

der Geschichte<br />

der Bundesrepublik.<br />

Von ARD und<br />

ZDF in Sondersendungen<br />

über t ragen.<br />

Das Neue, das<br />

Überraschende, das Unvorhergesehene,<br />

das reizt sie.<br />

In der Zeit, als ich ihr<br />

persönlicher Assistent war,<br />

sollten wir sie zur Außenministerkonferenz<br />

auf den<br />

Bonner Petersberg begleiten.<br />

Es stand kein anderes Fahr-<br />

Bei einer Münchner Demonstration für bessere Bildungspolitik.<br />

zeug zur Verfügung als eine<br />

kleine rote Citröen-„Ente“. Sie<br />

stieg, ohne eine Sekunde zu<br />

zögern, in den Blechkasten<br />

ein und wir fuhren zwischen<br />

schwarzen, chromblitzenden<br />

Luxus-Staatskarossen im<br />

„Studenten-Mercedes“ ohne<br />

Stander vor.<br />

Als ein Arzt sie vor einiger<br />

Zeit rücksichtslos mit dem<br />

Mountainbike an der Ampel<br />

über den Haufen fährt, verzichtet<br />

sie auf eine Anzeige<br />

und beweist für den Raser Verständnis.<br />

Als werdender Vater<br />

unterwegs in die Geburtsklinik<br />

hatte der den <strong>Sinn</strong> für Tempolimits<br />

völlig verloren. Verständnis<br />

für andere, Bescheidenheit<br />

und ihre sprichwörtliche<br />

Sparsamkeit zeichnen sie aus:<br />

Luxus oder Effekthascherei<br />

oder gar Imponiergehabe sind<br />

nicht ihre Welt.<br />

1982<br />

Bei ihrer Rede zum Bonner Regierungswechsel im Bundestag.<br />

<strong>Die</strong> Politikerin, die stets Farbe<br />

bekennt, mag am liebsten<br />

die schlichten weißen Töne<br />

in ihrer Eigentumswohnung,<br />

in der sie gastfreundlich im<br />

ruhigen Prominentenviertel<br />

Harlaching in München lebt.<br />

Dort serviert sie Gästen gerne<br />

höchstpersönlich Weißwurstfrühstück<br />

oder lädt sie in<br />

den benachbarten Münchner<br />

Biergarten zum „Haxn-Essen“<br />

ein. Dabei ist ihr der urigbayerische<br />

Lebensstil immer<br />

fremd geblieben, der Preußin<br />

mit Haltung. „Das Hinterfotzige<br />

fehlt mir“, das Lederhosen-Bayern<br />

war nie ihr Ding,<br />

eher schon der Laptop. Im<br />

hohen Alter buchte sie Computerkurse<br />

und ließ sich das<br />

Surfen im Internet und das<br />

Mailen beibringen. War nicht<br />

sie es, die schon immer das<br />

lebenslange Lernen forderte?<br />

Sie ist identisch mit dem,<br />

was sie fordert, und löst es<br />

selbst ein.<br />

1994<br />

Ihre Beziehung zur FDP ist<br />

„keine Liebesgeschichte“, sondern<br />

eine „starke Beziehung“.<br />

Als der FDP unter Möllemann<br />

ein Rechtsruck droht und<br />

die „Spaßgesellschaft“<br />

um<br />

sich greift, tritt<br />

sie aus Protest<br />

aus der liberalen<br />

Partei<br />

aus: „Ich lebe<br />

angstfrei und<br />

in politischer<br />

und geistiger<br />

Freiheit. Das<br />

erlebe ich immer<br />

wieder als<br />

ein kostbares<br />

Geschenk.“<br />

Als politischer„Querkopf“<br />

stößt sie<br />

auch andere<br />

vor den Kopf,<br />

aber nie aus<br />

persönlichen Gründen, es geht<br />

ihr immer um den Inhalt und<br />

die Sache an sich, für die sie<br />

kämpft: zum Beispiel für die<br />

Demokratie, die Gewissensfreiheit<br />

des Abgeordneten und<br />

gegen den Rechtsradikalismus.<br />

Mancher Politkollege nennt sie<br />

Dezember 2008 1<br />

Mit Richard von weizsäcker und helmut Schmidt in Stuttgart.<br />

eine „Nervensäge“; weil sie eben<br />

sehr beharrlich sein kann.<br />

Ihre Kraft für Politik bezieht<br />

sie aus der ihr eigenen Robustheit,<br />

wirklicher Lebensfreude<br />

und praktizierter Menschenliebe.<br />

Eine ehrliche und glaubwürdige<br />

Politkerin, die sich<br />

nicht durch den politischen<br />

Betrieb hat verbiegen lassen.<br />

Über ihren<br />

politischen<br />

Freund und<br />

kollegen<br />

helmut<br />

Schmidt sagt sie bewundernd:<br />

„Er konnte sehr gut<br />

zuhören, und ausgesessen<br />

hat er Probleme nie.“<br />

Und immer noch sucht sie nach<br />

den kleinen Utopien: „Willst<br />

du ein glückliches Leben, verbinde<br />

es mit einem Ziel.“<br />

Zwei Ziele hat sie nicht<br />

erreicht, als Kind wäre sie<br />

gerne Karussellbesitzerin<br />

oder Schwimmweltmeisterin<br />

geworden.<br />

Man erreicht eben nicht<br />

alle Ziele im Leben und in der<br />

Politik genausowenig.<br />

gEgEN DIE „SpASSgESELLSCHAFT“<br />

a1948 wird die 1921 in terium und als Staatsmi-<br />

Essen geborene Hildegard nisterin im Auswärtigen<br />

Hamm-Brücher jüngste Amt. 1994 kandidiert sie<br />

Abgeordnete im Münch- als erste Frau für das Amt<br />

ner Stadtrat. 22 Jahre des Bundespräsidenten.<br />

ist die FDP-Politikerin 2002 tritt sie als Stellver-<br />

Mitglied des Bayerischen tretendeBundesvorsitzen- Landtages – davon sechs de der Liberalen wegen<br />

Jahre als erste weibliche Möllemanns und Wester-<br />

Fraktionsvorsitzende. 14 welles„Spaßgesellschafts- Jahre ist sie Mitglied im politik“ aus der FDP aus.<br />

Deutschen Bundestag. Sie <strong>Die</strong> streitbare Liberale<br />

arbeitet unter anderem kämpfte beharrlich für die<br />

als Staatssekretärin im Parlamentsreform und die<br />

hessischen Kultusminis- Rechte der Abgeordneten.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!