Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter
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2 Dezember 2008<br />
AuS DEM gESELLSCHAFTER-TAgEBuCH<br />
Nach dem Bildungsgipfel<br />
Von Elias Bierdel<br />
Groß war der Andrang auf<br />
dem „Qualifizierungsgipfel“<br />
von Bund und Ländern<br />
Ende Oktober in Dresden.<br />
Herausgekommen ist aber<br />
kaum etwas Konkretes.<br />
Warum tut sich die Politik<br />
so schwer mit dem zentralen<br />
Zukunftsthema „Bildung“?<br />
Wo wären Veränderungen<br />
dringend nötig? Im<br />
<strong>Gesellschafter</strong>-Tagebuch<br />
finden sich Antworten.<br />
<strong>Die</strong> Ausgaben für Bildung sollen<br />
steigen. Das haben die 16<br />
Ministerpräsidenten gemeinsam<br />
mit der Bundesregierung<br />
im Grundsatz beschlossen.<br />
Aber wer die Kosten am Ende<br />
tragen soll, bleibt weiterhin<br />
offen. So werden dringend<br />
nötige Reformen weiter auf<br />
die lange Bank geschoben,<br />
meint der Dirigent Peter<br />
S t a n -<br />
gel in<br />
seinem<br />
Eintrag.<br />
„ G a n z<br />
einfach:<br />
Alle wollenBild<br />
u n g ,<br />
aber keiner<br />
will sie<br />
bezahlen, so sieht<br />
die Realität leider allzu häufig<br />
aus.“<br />
Und beim Dauer-Streit<br />
ums liebe Geld fallen die<br />
wahren Probleme weiterhin<br />
unter den Tisch: „Wie sollen<br />
junge Menschen denn<br />
motiviert werden“, fragt der<br />
Bildungsexperte <strong>Die</strong>ter Dohmen,<br />
„wenn sie so oder so<br />
kaum einen Ausbildungsplatz<br />
finden?“ Chancen haben<br />
aber viele nur, wenn<br />
sie in der Schule individuell<br />
gefördert werden – anstatt<br />
sie strikt nach Leistungskriterien<br />
auszusieben. So<br />
dreht sich die Frust-Spirale<br />
weiter. Ein Systemfehler,<br />
glaubt Familienberater Mathias<br />
Voelchert: „<strong>Die</strong> Schule<br />
sucht nach den Schwächen<br />
der Schüler und produziert<br />
auf diese Weise mehr<br />
Bildungsverlierer, als wir<br />
uns leisten können.“ <strong>Die</strong>ser<br />
alte Typus der „Abrichtungsschule“<br />
sei am Ende, findet<br />
Voelchert – und fordert<br />
einen Paradigmenwechsel:<br />
„<strong>Die</strong> Alternative zu Gehorsam<br />
ist nicht Ungehorsam,<br />
sondern Verantwortung. Es<br />
ist die Aufgabe der Eltern<br />
und Lehrer, den Kindern und<br />
Jugendlichen diese innere<br />
Haltung vorzuleben.“<br />
Statt des Leistungsdrucks<br />
könnte so in der Schule der<br />
Zukunft ein neuer Umgang<br />
miteinander gelehrt und gelernt<br />
werden. <strong>Die</strong>ser Wandel<br />
müsse mit der Lehrerausbildung<br />
beginnen, findet der Sozialpädagoge<br />
Pat Flatau: „Ich<br />
wünsche mir Lehrerinnen<br />
und Lehrer, die selektiv offen<br />
sind und sich mit ihren<br />
Fähigkeiten und Mängeln<br />
zeigen können. <strong>Die</strong> ihren<br />
eigenen Lebensplan als eine<br />
der vielen Möglichkeiten des<br />
Lebbaren begreifen.“<br />
In Schulen, die von einem<br />
solchen Geist erfüllt sind,<br />
wäre auch die Forderung von<br />
A n k e<br />
K o c h<br />
R ö t -<br />
t e r i n g<br />
leichter zu<br />
erfüllen. <strong>Die</strong><br />
Malerin ist<br />
M u t t e r<br />
eines 14jä<br />
h r igen<br />
Sohnes mit<br />
Down Syndrom:<br />
„Es ist höchste Zeit<br />
für die Inklusive Schule, in<br />
der Kinder und Jugendliche<br />
mit und ohne Behinderung<br />
entsprechend ihren individuellen<br />
Fähigkeiten gemeinsam<br />
lernen.“ Dass dies ohne weiteres<br />
möglich wäre, zeigt ein<br />
Blick in Richtung Norden: In<br />
Deutschland werden nur 12<br />
Prozent der behinderten Kinder<br />
in allgemeinen Schulen<br />
unterrichtet, in den skandinavischen<br />
Ländern dagegen bis<br />
zu 80 Prozent. Und am Ende<br />
ließen sich so auch noch Kosten<br />
sparen. Tagebuch-Autor<br />
Keyvan Dahesch, selbst von<br />
Geburt an blind, erinnert an<br />
einen Ausspruch von Richard<br />
von Weizsäcker: „Was im<br />
Vorhinein nicht ausgegrenzt<br />
wird, muss hinterher nicht<br />
eingegliedert werden.“<br />
<strong>Die</strong> Beiträge komplett zum<br />
Nachlesen stehen im Internet<br />
unter: die<strong>Gesellschafter</strong>.de/<br />
tagebuch<br />
Meinung<br />
Stasi 2.0 – <strong>Die</strong> „Visa-Warndatei“<br />
arzt und Globalisierungskritiker Niklas Schurig kommentiert<br />
<strong>Der</strong> Datenschützer und Globalisierungskritiker<br />
Niklas<br />
Schurig kommentiert die<br />
von der Großen Koalition<br />
geplante Einführung einer<br />
„Visa-Warndatei“. In dieser<br />
sollen alle Menschen<br />
erfasst werden, die visumspflichtige<br />
Ausländer zu sich<br />
nach Hause einladen.<br />
Auch Gastfreundschaft wird<br />
ab jetzt mit deutscher Gründlichkeit<br />
überwacht. Dass der<br />
Staat damit wieder 99 Prozent<br />
seiner Bürger zu Unrecht<br />
misstraut, sollte uns ebenfalls<br />
misstrauisch werden lassen.<br />
<strong>Die</strong> realen Auswirkungen<br />
dieser neuen rassistischen<br />
Schnüffeldatei werden vor<br />
allem jene Menschen spüren,<br />
die Globalisierung leben: Kir-<br />
DIE INITIATIVE<br />
a„In<br />
was für einer Gesellschaft<br />
wollen wir leben?“<br />
Auf der Internetseite<br />
die<strong>Gesellschafter</strong>.de<br />
werden Antworten auf diese<br />
Frage gesammelt, diskutiert<br />
und kommentiert.<br />
aWer<br />
sich freiwillig engagieren<br />
möchte, kann in einer Datenbank nach<br />
wohnortnahen Adressen von Verbänden<br />
und Initiativen suchen.<br />
aNeue<br />
Ideen für Projekte und Aktionen<br />
können mit bis zu 4000 Euro gefördert<br />
werden.<br />
aIn<br />
speziellen Themenforen können Themen<br />
wie Armut, Bildung, Familienpolitik,<br />
Teilhabe, Konsum und Glück, Umwelt,<br />
chen, Sportclubs, Festivalveranstalter<br />
und insbesondere<br />
internationale Familien. Sie<br />
alle werden bereits jetzt an<br />
den Grenzen wie Verbrecher<br />
erkennungsdienstlich erfasst,<br />
pauschal auf Vorrat gespeichert<br />
und mit anderen geheimen<br />
Listen verknüpft. Und<br />
ausländische Geheimdienste<br />
und befreundete Diktaturen<br />
wie Russland oder China<br />
freuen sich über diese neuen<br />
Datenquellen – es ist immer<br />
gut zu wissen, welche Dissidenten<br />
und Menschenrechtsaktivisten<br />
sich gerade in welchem<br />
Land befinden.<br />
Ziel dieser Datei ist, die<br />
bereits jetzt fast unüberwindbaren<br />
Außengrenzen der EU –<br />
geschützt durch Kriegsschiffe<br />
und Drohnen –, tödlich für tau-<br />
Datenschützer<br />
Niklas Schurig<br />
engagiert sich<br />
seit 2001 für das<br />
Netzwerk attac.<br />
sende Flüchtlinge jedes Jahr,<br />
noch effektiver zu machen.<br />
Statt nur die Außengrenzen<br />
gegen die zunehmenden Klimaflüchtlinge<br />
abzuschotten,<br />
wird diese Liste einen weiteren<br />
Überwachungsschleier<br />
über unbescholtene Bürger,<br />
deren Freunde und Verwandte<br />
legen. Mehr Überwachung<br />
bringt jedoch nicht mehr<br />
Sicherheit. Und kein Bürger<br />
ist in diesen geheimen Datenbanken<br />
mehr unverdächtig,<br />
sondern nur noch nicht verdächtig<br />
– Stasi 2.0.<br />
Wirtschaft und Arbeit aktiv<br />
und kontrovers diskutiert<br />
werden.<br />
aZu<br />
den Diskussionen tragen<br />
auch Persönlichkeiten<br />
des öffentlichen Lebens<br />
(Wissenschaftler, Künstler,<br />
Unternehmer etc.) bei. Sie<br />
erläutern ihre Konzepte und Modelle für<br />
die Fortentwicklung unserer Gesellschaft<br />
und stellen sie zur Diskussion.<br />
aIn<br />
einem Tagebuch stellt täglich ein anderer<br />
Gastkommentator eine Zeitungsmeldung<br />
des Tages vor und kommentiert sie.<br />
a<strong>Die</strong><br />
<strong>Gesellschafter</strong>-Zeitung kann online<br />
heruntergeladen und kostenfrei bestellt<br />
werden.