Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter
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18 Dezember 2008<br />
Schwerpunk t > Demokr atie<br />
„Ein Parlament, das nur Gutes tut“<br />
In hamburg ist ein einzigartiges Projekt entstanden: <strong>Die</strong> Bürger entscheiden, wohin das Geld geht<br />
Von Elias Bierdel<br />
Hochbetrieb zu abendlicher<br />
Stunde an der Hamburger<br />
Uni. In kleinen Gruppen<br />
strebt alles dem hellerleuchteten<br />
Hörsaal A zu.<br />
Doch diesmal sind es keine<br />
angehenden Jungakademiker,<br />
die im altehrwürdigen<br />
Rund zur Vorlesung Platz<br />
nehmen, sondern durchaus<br />
gesetztere Damen und<br />
Herren. Denn hier geht es<br />
statt ums Büffeln um handfeste<br />
Hilfe für Arme, Kranke,<br />
Obdachlose.<br />
Es tagt das „Hamburger Spendenparlament“<br />
– mit fast 3.500<br />
Mitgliedern ein bundesweit<br />
einmaliges Projekt bürgerschaftlichen<br />
Engagements.<br />
Natürlich sind – wie es ja<br />
auch in anderen Parlamenten<br />
vorkommen soll – längst nicht<br />
alle Mitglieder zur Sitzung<br />
erschienen. Rund 400 mögen<br />
es diesmal sein, die sich<br />
zwischen den steil aufstei-<br />
genden Stuhlreihen begrüßen,<br />
bis eine Glocke die fröhliche<br />
Geschwätzigkeit im Plenum<br />
beendet. Nun wird es ernst:<br />
Mehr als 20 Punkte umfasst<br />
die Tagesordnung – und hinter<br />
jedem einzelnen steht eine Initiative,<br />
die in der Hansestadt<br />
Gutes tun möchte und dabei<br />
auf Unterstützung durch das<br />
„Spendenparlament“ hofft.<br />
Da gibt es einen Verein, der<br />
spezielle Kurse für Migranten-<br />
Töchter anbieten will, oder<br />
eine Kirchengemeinde, die<br />
nach dem unerwarteten Ableben<br />
ihres Kleinbusses nun<br />
dringend Ersatz braucht. In<br />
einem Stadtteil-Kulturzen-<br />
gEgEN ARMuT<br />
aZiel<br />
des „Spendenparlaments“<br />
ist die Bekämpfung<br />
von Armut in<br />
Hamburg. <strong>Die</strong> Mitglieder<br />
treffen sich dreimal jährlich,<br />
um „transparent<br />
und demokratisch“ über<br />
Anträge abzustimmen.<br />
Maximal 25.000 Euro<br />
werden einmalig für ein<br />
Projekt bewilligt. Seit<br />
der Gründung 1996 wurden<br />
rund 5 Mio. Euro<br />
vergeben.<br />
Foto: krusekamp, hamburger Spendenparlament e.V.<br />
Das Spendenparlament tagt: <strong>Die</strong> Mehrheit entscheidet, welche Projekte gefördert werden sollen.<br />
trum soll die Küche erneuert<br />
werden, anderswo benötigen<br />
Asylbewerber einige Computer,<br />
damit sie – im Falle<br />
ihrer Anerkennung – auf dem<br />
Arbeitsmarkt ihrer neuen Heimat<br />
eine Chance haben. Kinder<br />
suchen Platz zum Spielen,<br />
Kranke warten auf neue Rollstühle<br />
und demente Senioren<br />
auf einen Gruppenraum mit<br />
Musikanlage. So vieles bleibt<br />
ungetan in Zeiten knapper<br />
öffentlicher Kassen. Da ist<br />
Bürgersinn gefragt, können<br />
unbürokratische Entscheidungen<br />
und ein paar hundert<br />
Euro schon einiges bewirken.<br />
„Wir nehmen dem Staat aber<br />
nicht die Arbeit ab“, sagt Dirk<br />
Bleese, der Vorsitzende des<br />
Fördervereins, mit einem hanseatisch-vornehmen<br />
Lächeln.<br />
„Wir zeigen ihm allenfalls,<br />
wie er es gelegentlich besser<br />
machen könnte.“<br />
Doch hier wird auch nicht<br />
einfach nur Geld verteilt, erst<br />
einmal ist Überzeugungsarbeit<br />
gefragt, gilt es, für ein Anliegen<br />
die Parlamentsmehrheit<br />
zu gewinnen. Dazu muss<br />
jeder Antragsteller seine eigene<br />
Sache im Plenum vertreten.<br />
Keine Kleinigkeit, wenn man<br />
es nicht gewohnt ist, vor vielen<br />
Menschen zu sprechen. Zehn<br />
Minuten Redezeit um alles<br />
oder nichts – erst danach wird<br />
abgestimmt. Allerdings darf<br />
jeder Redner auf Wohlwollen<br />
hoffen: Alle Anträge sind<br />
<strong>vom</strong> „Finanzausschuss“ des<br />
„Spendenparlaments“ vorsortiert<br />
und gutgeheißen. Eine<br />
komplette Ablehnung kommt<br />
praktisch nicht vor.<br />
Alle Redner wollen<br />
das Plenum gewinnen<br />
Dennoch schluckt Christian<br />
Lietz ein paarmal, als er ans<br />
Rednerpult tritt. Gemeinsam<br />
mit Freunden will er im<br />
Stadtteil St. Pauli ein Beratungszentrum<br />
für Arbeitslose<br />
und Sozialhilfe-Empfänger<br />
aufbauen. <strong>Der</strong> Bedarf ist ohne<br />
Zweifel groß, geeignete Räumlichkeiten<br />
sind auch gefunden<br />
– und schon der Name verheißt<br />
Positives: „JaWohl e.V.“.<br />
<strong>Der</strong> gelernte Elektriker Lietz<br />
macht seine Sache gut. Jedes<br />
Kilo seiner imposanten Gestalt<br />
wirft der Vereinsvorsitzende<br />
in die Waagschale, erklärt,<br />
verspricht, mahnt, bittet, appelliert<br />
– und schwitzt. Neben<br />
dem Konzept überzeugt wohl<br />
auch sein voller Körpereinsatz<br />
die Versammlung. Es gibt<br />
kaum Nachfragen, der Beschluss<br />
fällt einstimmig: 5000<br />
Euro gibt es als Anschubfinanzierung,<br />
damit „JaWohl“ seinen<br />
künftigen Klienten helfen<br />
Foto: hamburger Spendenparlament e.V. – elbfeuer<br />
kann. Bei Ärger mit der ARGE<br />
zum Beispiel, der oft wenig<br />
kulanten Zentralbehörde für<br />
die Hartz-IV-Empfänger.<br />
Als Christian Lietz mit hochrotem<br />
Kopf auf seinen Platz<br />
zurückkehrt, erschöpft, aber<br />
glücklich, brandet im Plenum<br />
werbung für hamburgs Spendenparlament.<br />
Applaus auf. „Das ist doch immer<br />
wieder ein schöner Augenblick“,<br />
meint Rita Neuhaus,<br />
mit 72 Jahren Spendenparlamentarierin<br />
der ersten Stunde.<br />
„Wenn man merkt, dass man<br />
hier gute Leute bei einer guten<br />
Sache unterstützt. Da freue<br />
ich mich mindestens genauso<br />
wie die Antragsteller!“ Ihr<br />
Banknachbar Rudi Gerhardt,<br />
Reederei-Kaufmann im Ruhestand,<br />
nickt bekräftigend:<br />
„Das ist schon was Besonderes.<br />
Vor allem, weil wir eben selbst<br />
darüber bestimmen können,<br />
wer wie viel kriegt und wofür<br />
genau! Und nicht einfach nur<br />
Geld irgendwohin spenden, wo<br />
man dann nicht weiß, was davon<br />
auch wirklich ankommt.“<br />
Und noch etwas ist den Parlamentariern<br />
wichtig: „<strong>Die</strong><br />
Projekte werden anschließend<br />
besucht – und wir erfahren,<br />
was aus der Sache geworden<br />
ist!“ Dazu genügt allerdings<br />
oft auch ein Spaziergang<br />
durch die Stadt. Mittlerweile<br />
hat das „Spendenparlament“<br />
überall bleibende Spuren hinterlassen:<br />
in der „Rathaus-<br />
Passage“ zum Beispiel. <strong>Die</strong><br />
Fußgänger-Unterführung war<br />
einst ein dunkles Loch, heute<br />
betreiben hier 12 ehemalige<br />
Langzeitarbeitslose ein Bistro<br />
samt Bücherstube.<br />
Doch zurück in den Hörsaal<br />
A, wo sich die Sitzung langsam<br />
dem Ende zuneigt. Mehr als<br />
250.000 Euro werden an diesem<br />
Abend verteilt, satzungsgemäß<br />
an „nachhaltig<br />
wirkende<br />
soziale Programme<br />
gegen<br />
O b d a c h l o s i g -<br />
keit, Armut und<br />
Einsamkeit“. <strong>Die</strong><br />
Mittel stammen<br />
zum einen aus<br />
den Mitgliedsbeiträgen<br />
(jeder<br />
Parlamentarier<br />
zahlt 60 Euro<br />
Jahresbeitrag),<br />
zum anderen<br />
aus Spenden<br />
von Firmen,<br />
Stiftungen und<br />
Einzelpersonen.<br />
Das reichte, um<br />
in den ersten<br />
12 Jahren des<br />
Bestehens fast<br />
700 Projekte zu<br />
u n t e r s t ü t z e n<br />
– und sich so das höchste Lob<br />
zu erwerben. Es stammt von<br />
Hamburgs früherem Bürgermeister<br />
Klaus von Dohnanyi:<br />
„Endlich mal ein Parlament,<br />
das nur Gutes tut!“