Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter
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Engagement<br />
Kein Gold für Deutschland<br />
Umweltbewusstsein und was sich davon durchsetzt<br />
Von Wilfried Bommert<br />
Gäbe es bei der Olympiade<br />
eine Disziplin „Nachhaltigkeit“,<br />
Deutschland wäre<br />
sicher verdächtig, Gold zu<br />
gewinnen. Das jedenfalls<br />
legen die Ergebnisse der<br />
Studie „Umweltbewusstsein<br />
in Deutschland“ nahe,<br />
die <strong>vom</strong> Bundesministerium<br />
für Umwelt, Naturschutz<br />
und Reaktorsicherheit als<br />
repräsentative Bevölkerungsumfragedurchgeführt<br />
wurde. Aber würde<br />
das Ergebnis auch einem<br />
Dopingtest standhalten?<br />
Seit 1996 lassen sich die Deutschen<br />
in Sachen Umweltbewusstsein<br />
auf den Zahn fühlen<br />
und erzielen dabei immer<br />
neue Rekorde. Auch die letzte<br />
Umfrage aus dem Jahr 2006<br />
setzte wieder neue Maßstäbe.<br />
Noch nie waren die deutschen<br />
Verbraucher nachhaltiger gesinnt.<br />
Sie wollen die Schönheit<br />
ihrer Landschaften erhalten,<br />
nicht auf Kosten ihrer Kinder<br />
leben, nur so viel konsumieren,<br />
wie nachwächst, und<br />
einen fairen Handel zwischen<br />
den reichen und den armen<br />
Staaten dieser Welt. Mehr als<br />
82 Prozent der Bundesbürger<br />
stimmten ein in diesen Chor.<br />
„Das ist das beste Ergebnis<br />
seit Beginn dieser Nachhaltigkeitsmessung“,<br />
rühmt<br />
Bundesumweltminister Sigmar<br />
Gabriel.<br />
Hedo-Materialisten und<br />
engagierte Idealisten<br />
Auch die Industrie will da<br />
nicht zurückstehen. Unternehmen,<br />
die auf sich halten,<br />
schieben einen Umweltbericht<br />
nach dem anderen auf den<br />
Markt. Vertrauen gewonnen<br />
haben sie damit allerdings<br />
nicht. <strong>Die</strong> Mehrheit der amerikanischen<br />
Kunden, 78 Prozent<br />
der Befragten, unterstellt den<br />
meisten Unternehmen nichts<br />
anderes als ein Reinwaschen<br />
ihrer öffentlichen Weste durch<br />
‚Greenwashing‘, stellt die Studie<br />
„State of Green Business<br />
2008“ für die USA fest. Das<br />
entspricht auch der deutschen<br />
Wirklichkeit, wie der Rat für<br />
nachhaltige Entwicklung und<br />
dessen Vorsitzender Volker<br />
Hauff beklagen: „<strong>Die</strong> Zahl der<br />
Firmen, die Nachhaltigkeitsberichte<br />
vorlegen, ist gestiegen.“<br />
Dennoch gebe es auch weiterhin<br />
schwarze Schafe. „Ich halte<br />
es für keinen Zufall, dass Lidl<br />
und Aldi dazugehören.“<br />
Und wie ist es bei der Kundschaft<br />
selbst? Sind die Bekenntnisse<br />
der Privaten besser<br />
als die der Unternehmen?<br />
Beim genaueren Hinsehen<br />
schwächeln laut Studie des<br />
Umweltministers gerade die<br />
Jüngsten. So lehnen sich die<br />
unter 29-Jährigen lieber etwas<br />
zurück, wenn es um nachhaltige<br />
Anstrengungen geht.<br />
Sie sind die Schlusslichter der<br />
Bewegung und das schon seit<br />
2004. Wissenschaftler um<br />
den Marburger Professor<br />
Udo Kuckartz <strong>vom</strong> Institut<br />
für Erziehungswissenschaft<br />
an der Philipps-<br />
Universität Marburg<br />
geben diesen<br />
Neinsagern einen<br />
Namen. Es<br />
sind die Hedo-Materialisten.<br />
Sie<br />
m a c h e n<br />
17 Prozent<br />
der<br />
B e v ö l -<br />
ker u ng<br />
aus. Ihre<br />
Ziele<br />
liegen im<br />
Lebensgenuss,Eigennutz<br />
und Erfüllen<br />
der eigenen Bedürfnisse.<br />
Was nicht wundert, denn sie<br />
sind Singles, kinderlos und<br />
ohne Familie. Beziehungs-<br />
krisen rangieren bei ihnen<br />
weit vor jeder Art von Umweltkrisen.<br />
Um die Umwelt<br />
soll sich gefälligst der Staat<br />
kümmern.<br />
Aber offenbar kann eine Gesellschaft<br />
wie die bundesdeutsche<br />
auch solche Nachzügler<br />
verkraften. Was sie nicht leisten,<br />
fangen andere auf. Wie<br />
die Gruppe der „engagierten<br />
Idealisten“, die 18 Prozent<br />
ausmachen. Ihnen ist ihr<br />
Nächster ebenso wichtig wie<br />
ein Leben mit der Natur und<br />
politisches Engagement. Unterstützt<br />
werden sie von den<br />
„Pflichtbewussten“ mit 22<br />
Prozent, die sich auszeichnen<br />
durch Respekt vor Gesetz und<br />
Ordnung, Sicherheit, Fleiß<br />
und Ehrgeiz. Beide Gruppen<br />
Foto: carofoto<br />
sind die Zugpferde der deutschenNachhaltigkeits-Bewegung<br />
– bei allen Unterschieden.<br />
Während die Idealisten<br />
sowohl aus den Kreisen der<br />
jüngeren Singles als auch der<br />
jungen Familien kommen und<br />
eher den Grünen verbunden<br />
sind, zählen die Pflichtbewussten<br />
zu den Vertretern der<br />
älteren Generation, mehr CDU<br />
und SPD zugeneigt.<br />
Was nachhaltig zu tun<br />
wäre, wissen die Deutschen<br />
ohne nachzudenken. Ihre<br />
Empfehlungen lauten: erneuerbare<br />
Energien, sparsamer<br />
Energieverbrauch und weniger<br />
Klimagase. Deutschland<br />
soll im Klimaschutz<br />
vorangehen. <strong>Die</strong>, die mehr<br />
Umwelt verbrauchen, sollen<br />
auch mehr zur Kasse gebeten<br />
werden.<br />
Reicht das für „Gold“ in der<br />
Disziplin „Nachhaltigkeit“?<br />
Nein, denn die Welt will Ta-<br />
ten sehen. Und da fängt das<br />
Glaubwürdigkeits-Dilemma<br />
an:<br />
Beispiel Strom: Was die<br />
deutschen Stromzähler zählen,<br />
wissen offensichtlich nur<br />
die Elektrizitätswerke. Drei<br />
von vier Deutschen haben<br />
keinen Schimmer, wie viel sie<br />
Als ich Kind war,<br />
habe ich mit meinen<br />
Freunden jeden Tag in der<br />
Natur gespielt. Da gab es<br />
aber noch kein Handy,<br />
keinen Computer und keine<br />
Playstation, X-Box etc.<br />
Heute müssen sich schon<br />
die Kinder damit auseinandersetzen,<br />
wenn sie im<br />
Leben bestehen wollen.<br />
Wir können das Rad nicht<br />
zurückdrehen. <strong>Die</strong> Welt<br />
wird immer komplexer.<br />
Dezember 2008 21<br />
verbrauchen, und sind ah-<br />
nungslos, was ihr Strom<br />
pro Einheit kostet. Sie<br />
müssen passen, wenn<br />
es darum geht, wie<br />
man den Umstieg auf<br />
Ökostrom bewältigt<br />
und was sie dabei<br />
sparen könnten.<br />
Nur fünf Prozent<br />
haben sich bislang<br />
die Mühe gemacht,<br />
auf nachhaltig erzeugten<br />
Strom<br />
umzusteigen.<br />
Auch bei Bio-Lebensmittelndümpelt<br />
die Nachfrage<br />
mit drei Prozent<br />
am Gesamtsortiment,<br />
obwohl diese für 38<br />
Prozent der Befragten angeblich<br />
eine „große Rolle“<br />
spielen. Nur eben nicht beim<br />
Einkauf. Und dann das Auto:<br />
Obwohl es mit zu den größten<br />
Umweltverschmutzern gehört,<br />
bleibt es der Deutschen<br />
liebstes Kind. Nur elf Prozent<br />
nutzen Bus und Bahn, auch<br />
wenn die Mehrheit für eine<br />
deutliche Verringerung der<br />
Feinstaubbelastung, die auch<br />
der PKW-Verkehr anrichtet,<br />
plädiert.<br />
Wenn Anspruch auf Wirklichkeit<br />
trifft, dann ist es<br />
vorbei mit Deutschlands Spitzenplatz<br />
in „Nachhaltigkeit“.<br />
Ist das ein Fall von ‚Greenwashing‘<br />
oder ist es am Ende<br />
Doping, Bewusstseins-Doping?<br />
Höchstleistung an Umwelt-<br />
und Nachhaltigkeits-Bekenntnissen<br />
und dabei so gut<br />
wie keinerlei Durchsetzungswillen.<br />
<strong>Die</strong> Dopingprobe in<br />
Nachhaltigkeit fällt eindeutig<br />
aus: Kein „Gold“ für Deutschland.<br />
Daher wird es immer<br />
wichtiger, dass wir unseren<br />
Kindern zeigen, wie<br />
man verantwortungsvoll<br />
mit der Natur umgeht; wir<br />
müssen sie wieder mit der<br />
Natur in Berührung bringen.<br />
Ich denke, es bedarf<br />
einfach nur engagierter<br />
Menschen, die kleine Projekte<br />
planen.<br />
Tamer Özcan<br />
3 die<strong>Gesellschafter</strong>.de