Der Sinn vom Ganzen - Die Gesellschafter
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16 Dezember 2008<br />
Vertrauen in die Weisheit der Massen<br />
wider die Politikverdrossenheit – mit Instrumenten direkter Demokratie politisch aktiv werden<br />
Von Ursula Mense<br />
Immer weniger Menschen<br />
gehen zur Wahl. Den Parteien<br />
fehlt der Nachwuchs.<br />
Viele Menschen haben<br />
den Eindruck, dass „die<br />
da oben“ sowieso machen,<br />
was sie wollen. Dabei gibt<br />
es viele Möglichkeiten, politisch<br />
aktiv zu werden – und<br />
Einfluss zu nehmen. Auch<br />
jenseits der etablierten Parteien.<br />
Im bayerischen Sinzing hat<br />
man das Jahr 1994 bis heute<br />
nicht vergessen. Ganz besonders<br />
nicht „Am Reißbrunnen“.<br />
Denn was dort als Interessengemeinschaft<br />
begann und<br />
schließlich in ein erfolgreiches<br />
Bürgerbegehren mündete, ist<br />
ein Lehrstück in Sachen „direkte<br />
Demokratie“ und markiert<br />
gleichzeitig die Geburtsstunde<br />
einer neuen Ära.<br />
Angefangen hatte alles damit,<br />
dass die Gemeinde Sinzing<br />
zwei kleine Straßen<br />
ausbauen lassen wollte. Und<br />
weil sie die veranschlagten 1,2<br />
Millionen Mark nicht allein<br />
aufbringen wollte, sollte mal<br />
eben jeder Anwohner 40.000<br />
Mark beisteuern. Wer dazu<br />
nicht in der Lage war, dem<br />
riet einfühlsam ein Gemeinderatsmitglied<br />
seine „Hütt´n“<br />
zu „verkaffa“.<br />
Nach der ersten Bürgerversammlung<br />
der aufgebrachten<br />
Anwohner entstand schnell<br />
Schwerpunk t > Demokr atie<br />
Vor dem Berliner Reichstag, seit 1999 Sitz des Bundestages, stehen zwar viele Bürger Schlange, doch die wahllokale werden leerer.<br />
eine Bürgerinitiative mit dem<br />
Ziel, der Verwaltung teure und<br />
unnötige Veränderungen auszureden.<br />
Schließlich machten<br />
die Anwohner einen ungewöhnlichen<br />
Vorschlag: Sie<br />
wollten den Ausbau der Straße<br />
in Eigenregie organisieren,<br />
damit Geld sparen und der<br />
Gemeinde Kosten und Arbeit<br />
abnehmen. Normalerweise ist<br />
so etwas für Bürgermeister<br />
und Gemeinderat wie sechs<br />
Richtige im Lotto. Nicht so<br />
CDu ERSCHWERT VOLKSBEgEHREN IN THüRINgEN pER gESETZ<br />
aIn<br />
manchen Bundesländern<br />
sind die Hürden für<br />
ein Volksbegehren nach<br />
wie vor hoch. Rheinland-<br />
Pfalz gehört dazu, das<br />
Saarland und auch Thüringen,<br />
wo bis jetzt für ein<br />
Bürgerbegehren 13 bis 17<br />
Prozent Unterschriften<br />
gesammelt werden mussten.<br />
aUm<br />
die Hürden auf kommunaler<br />
Ebene zu ändern,<br />
hat das „Bündnis für mehr<br />
Demokratie in Thüringen“<br />
erfolgreich Unterschriften<br />
für ein Volksbegehren auf<br />
Landesebene gesammelt.<br />
Denn um die Kommunal-<br />
Ordnung zu ändern,<br />
Foto: carofoto<br />
braucht man ein Landesgesetz.<br />
aDas<br />
Ziel: Nur sieben Prozent<br />
oder maximal 7000<br />
Unterschriften sollen in<br />
Zukunft für ein Bürgerbegehren<br />
nötig sein.<br />
aMit<br />
250.000 Unterschriften<br />
in Thüringen<br />
war das Volksbegehren<br />
erfolgreich. Nun hat aber<br />
gleichzeitig die CDU im<br />
Landtag ein ähnliches<br />
Gesetz verabschiedet.<br />
So etwas während eines<br />
Volksbegehrens zu tun,<br />
ist nach Ansicht der Opposition<br />
ein Affront, der<br />
demokratischen Anstand<br />
vermissen lässt.<br />
aDas<br />
Manöver einer Partei,<br />
die nach wie vor der<br />
direkten Demokratie ablehnend<br />
gegenübersteht,<br />
sagen Kritiker. Denn die<br />
CDU hat in ihrem Gesetz<br />
zwar auch die Quoren für<br />
Bürgerbegehren und -entscheide<br />
gesenkt, gleichzeitig<br />
aber den Bürgern auferlegt,<br />
für die Unterschrift<br />
ins Rathaus zu gehen.<br />
Ein weltweit unübliches<br />
Verfahren in Kommunen.<br />
„Und der Versuch, Bürgerbegehren<br />
durch mangelnde<br />
Zustimmung zu Fall<br />
zu bringen“, sagt Roman<br />
Huber von „Mehr Demokratie“.<br />
in Sinzing. Obwohl die Anwohner<br />
dem Bürgermeister<br />
die für ihr Bürgerbegehren<br />
notwendigen Unterschriften<br />
überreicht hatten, ließ dieser<br />
die Bagger anrollen.<br />
Das war dann allerdings<br />
auch nicht persönlich betroffenen<br />
Bürgern zu viel. 70<br />
Prozent stimmten beim Bürgerentscheid<br />
dafür, dass Anwohner<br />
in Sinzing zwischen<br />
einem Eigenausbau und dem<br />
durch die Gemeinde wählen<br />
dürfen. Ein politischer und<br />
wirtschaftlicher Erfolg. Denn<br />
beim anschließenden Ausbau<br />
sparte jeder Anwohner bis zu<br />
20.000 Mark.<br />
Das Beispiel Sinzing machte<br />
Schule. Immer wieder entschieden<br />
sich unzufriedene<br />
Bürger dafür, sich direkt<br />
einzumischen. Dabei sind<br />
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide<br />
die Instrumente<br />
der direkten Demokratie auf<br />
kommunaler Ebene; auf Landesebene<br />
sind es die Volksbegehren<br />
und Volksentscheide.<br />
<strong>Die</strong> Verfahren ähneln sich<br />
in allen Bundesländern. Auf<br />
Landesebene müssen die Initiatoren<br />
zunächst einen Antrag<br />
auf ein Volksbegehren stellen,<br />
die sogenannte Volksinitiative.<br />
Erst wenn diese geprüft ist,<br />
kommt es zum Volksbegehren.<br />
Ein erfolgreiches Volksbegehren<br />
mündet dann in den<br />
Volksentscheid.<br />
Auf lokaler Ebene mehr<br />
Demokratie wagen<br />
Beim Bürgerentscheid geht es<br />
um eine Sachfrage, über die<br />
mit Ja oder Nein abgestimmt<br />
wird. Das kann jedes kommunale<br />
Thema sein, zum Beispiel<br />
der Bau eines Kindergartens,<br />
einer Schule, Verkehrsprojekte,<br />
kulturelle Vorhaben<br />
oder die Abwassergebühren.<br />
Wer Mitstreiter sucht bei<br />
einem kommunalen Thema,<br />
sollte in der Nachbarschaft<br />
anfangen, bei Freunden oder<br />
über einen Leserbrief in der<br />
örtlichen Zeitung, rät Roman<br />
Huber, Geschäftsführer des<br />
Vereins „Mehr Demokratie<br />
e.V.“. Dann trifft man sich,<br />
gründet eine Bürgerinitiative