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Marlene Dietrich - Leni Riefenstahl Doppelbiografie - Neue Zürcher ...

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Belletristik<br />

Literarische Reportage Die beiden sowjetischen Autoren Ilja Ilf und Jewgeni Petrow reisten im Jahr<br />

1935 quer durch Amerika. Ihr Bericht aus der Wirtschaftskrise ist von erstaunlicher Frische<br />

«Nicht zu kaufen ist unmöglich»<br />

Ilja Ilf, Jewgeni Petrow: Das eingeschossige<br />

Amerika. Eine Reise mit Fotos<br />

von Ilja Ilf, 2 Bände. Die Andere<br />

Bibliothek im Eichborn-Verlag,<br />

Frankfurt 2011. 694 Seiten, Fr. 89.–.<br />

Von Kathrin Meier-Rust<br />

Zwei Russen im besten Alter kommen<br />

nach New York. Sie bestaunen Wolkenkratzer<br />

und Verkehrsstaus, besuchen,<br />

wie sich's gehört, Stripteaseshow und<br />

Boxkampf, Spielhölle und Obdachlosenheim.<br />

Dann kaufen sie ein Auto «von<br />

eleganter mausgrauer Farbe» und unternehmen<br />

eine Reise, die sie zwei Monate<br />

lang quer durch die Vereinigten Staaten<br />

nach Kalifornien und wieder zurück<br />

führt. Sie sind hingerissen von der grandiosen<br />

Natur des Landes und «verstört<br />

von seinem Reichtum und seiner<br />

Armut».<br />

Sie staunen: über hervorragende<br />

Stras sen, «breit wie ein Doppelbett und<br />

glatt wie eine Tanzfläche», über Essen,<br />

das «lecker aussieht, aber fade<br />

schmeckt», über «3 Arten von Wasser:<br />

kaltes, heisses und eisgekühltes». Konsterniert<br />

notieren sie, dass Amerikaner<br />

immer auf Raten kaufen: «Alles, sogar<br />

das Bett, auf dem der unverbesserliche<br />

Optimist und enthusiastische Verteidiger<br />

des Eigentums schläft, gehört nicht<br />

ihm, sondern einer Firma oder einer<br />

Bank.» Doch angesichts der allgegenwärtigen<br />

Konsum- und Reklamewelt begreifen<br />

sie schnell: «Nicht zu kaufen ist<br />

ganz und gar unmöglich.»<br />

Ungleiches Autorenduo<br />

Was sich so frisch liest, als wäre es letztes<br />

Jahr geschrieben, ist eine Reportage<br />

aus Amerika im Winter 1935/36, die<br />

heute zu den Klassikern dieses Genres<br />

gehört. Die beiden Russen auf Amerikareise<br />

sind Ilja Ilf und Jewgeni Petrow,<br />

zwei Literaturstars aus der Sowjetunion,<br />

die im Auftrag der «Prawda» reisten.<br />

Beide Autoren stammten aus Odessa,<br />

hatten sich aber erst in Moskau kennengelernt,<br />

wo sie zusammen die Gaunerkomödie<br />

«Zwölf Stühle» (1928) schrieben,<br />

eine mit leichter Hand verfasste<br />

Satire auf die so ganz und gar bourgeoise<br />

Geldgier in der jungen sowjetischen<br />

Gesellschaft. Sie war ein sofortiger Publikumserfolg,<br />

ebenso wie die noch bissigere<br />

Fortsetzung «Das Goldene Kalb»<br />

(1931).<br />

Beide Bücher erregten Anstoss bei<br />

der Zensur, wurden mehrmals verfilmt<br />

und sind in Russland bis heute populäre<br />

Klassiker. «Das eingeschossige Amerika»<br />

(der Titel soll dem sowjetischen<br />

Leser deutlich machen, dass der gewöhnliche<br />

Amerikaner keineswegs im<br />

Wolkenkratzer lebt) mit vielen Fotos<br />

12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. November 2011<br />

Das Empire State<br />

Building in New York<br />

1932, kurz vor der<br />

Reise der beiden<br />

Prawda-Reporter.<br />

von Ilf, war ihr drittes und letztes grosses<br />

Gemeinschaftswerk.<br />

Das Autorenduo «Ilfpetrow» soll tatsächlich<br />

Satz für Satz gemeinsam geschrieben<br />

haben. Doch die beiden waren<br />

ganz verschiedene Menschen. Der sowjetische<br />

Schriftsteller Ilja Ehrenburg erzählt<br />

in seinen Memoiren, Ilf sei «verlegen<br />

und schweigsam» gewesen, ein<br />

schwermütiger Mensch mit einem oft<br />

bösen Witz, der etwas jüngere Petrow<br />

dagegen ein Mensch von unverbesserlichem<br />

Optimismus. Sie hätten einander<br />

prächtig ergänzt, schreibt Ehrenburg:<br />

«Ilfs bissige Satire verband sich treffend<br />

mit Petrows gütigem Humor.»<br />

Im Amerikabuch behält Petrows liebevoller<br />

Humor die Oberhand. Zwar<br />

sind die beiden Reporter oft entsetzt:<br />

über Gangster und Banker, über den Kino-Schund,<br />

den das geldgetriebene Hollywood<br />

produziert, über bloss halbvolle<br />

Konzertsäle und lahmen Beifall für grosse<br />

Künstler. Angesichts solch «geistiger<br />

Trägheit im Kapitalismus» befällt die<br />

beiden Sowjets dann jeweils der «dringende<br />

Wunsch, uns zu beschweren, Vorschläge<br />

zu machen, an die Prawda zu<br />

schreiben oder ans ZK.» Aber auch das<br />

Entzücken der Besucher lässt tief in die<br />

Zustände in ihrer sowjetischen Heimat<br />

blicken: über den allgegenwärtigen Service<br />

und Komfort, über kostenlose<br />

Landkarten und elektrische Haushaltgeräte,<br />

über Arbeitswillen und Technikbegabung<br />

der Amerikaner.<br />

Wie eine Ozean-Fahrt<br />

Ein Lese-Vergnügen der besonderen Art<br />

bereitet die köstliche Binnengeschichte<br />

um Mr. und Mrs. Adams: Der rundliche<br />

Mr. Adams, ein Ingenieur, der russisch<br />

spricht und als Führer und Übersetzer<br />

fungiert, plant, warnt und ermahnt von<br />

früh bis spät. Derweil Mrs. Adams, die<br />

einzige im mausgrauen Auto mit einem<br />

Fahrausweis, über 16 000 Kilometer stoisch<br />

am Steuer sitzt. «Ilfpetrow» vergleichen<br />

die Fahrt durch die USA mit<br />

einer Schiffsreise über den Ozean: «Sie<br />

ist ebenso einförmig wie grossartig.<br />

Wann man auch auf Deck erscheint, ob<br />

morgens oder abends, bei Sturm oder<br />

Windstille . . . stets liegt vor einem eine<br />

wunderbare glatte Strasse, die von Tankstellen,<br />

Touristenunterkünften und Reklametafeln<br />

gesäumt ist.»<br />

«Das eingeschossige Amerika» erschien<br />

in Moskau 1937 und wurde<br />

prompt als zu Amerika-freundlich kritisiert<br />

– spätere Ausgaben wurden deshalb<br />

zensuriert veröffentlicht.<br />

Nun erscheint die Original-Reportage<br />

zum ersten Mal auf Deutsch. Ein Vorwort<br />

von Ilfs Tochter Alexandra ergänzt<br />

diese sorgfältige Ausgabe in der Anderen<br />

Bibliothek, ebenso köstliche Reaktio<br />

nen sowjetischer Leser aus dem Jahr<br />

1937. Noch wertvoller sind die zum Teil<br />

erstmals publizierten Briefe der beiden<br />

Autoren aus Amerika an ihre daheimgebliebenen<br />

Frauen. Sie offenbaren, was<br />

die leichthändig geschriebene Reportage<br />

nur zwischen den Zeilen ahnen lässt:<br />

Ermüdung und Anstrengung, die Last<br />

offizieller Empfänge und permanenter<br />

Geldsorgen, Sehnsucht nach der und<br />

Sorge um die Familie in Moskau, wo die<br />

stalinistische Finsternis angebrochen<br />

war. Ilja Ilf kam schwerkrank von der<br />

Reise zurück und verstarb ein Jahr später<br />

an Tuberkulose. Jewgeni Petrow kam<br />

als Kriegsreporter 1942 bei einem Flugzeugabsturz<br />

ums Leben. Noch im Tod<br />

verband sie ein gemeinsames Schicksal:<br />

Beide waren nur knapp 40 Jahre alt geworden.<br />

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