Marlene Dietrich - Leni Riefenstahl Doppelbiografie - Neue Zürcher ...
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Sachbuch<br />
Film Greta Garbo und Salka Viertel verband eine lebenslange Freundschaft in Hollywood<br />
Die Göttliche und die Irdische<br />
Nicole Nottelmann: Ich liebe dich. Für<br />
immer. Greta Garbo und Salka Viertel.<br />
Aufbau, Berlin 2011. 288 Seiten, Fr. 32.90.<br />
Von Martin Walder<br />
Es ist im Frühjahr 1930. In Beverly Hills<br />
gibt Ernst Lubitsch eine Dinnerparty.<br />
Auf dem Sofa thront <strong>Marlene</strong> <strong>Dietrich</strong>,<br />
neben ihr, schmal und im Jackett, Greta<br />
Garbo. Die Schwedin ist in den USA<br />
schon ein Star, «der blaue Engel» <strong>Marlene</strong><br />
soll dort zu einem werden. Die<br />
Schauspielerin Salka Viertel, deren<br />
Mann, der Regisseur und Dichter Berthold<br />
Viertel, auf Murnaus Ruf nach Hollywood<br />
gekommen war, wird der Garbo<br />
vorgestellt. Sie möchte sich neben sie<br />
setzen, <strong>Marlene</strong> tut keinen Wank. So<br />
verziehen sich die beiden auf die Terrasse,<br />
und eine Freund-, Lieb- und Partnerschaft<br />
beginnt, die erst 1978 mit Salkas<br />
Tod in Klosters endet.<br />
In Viertels lesenswerter Autobiografie<br />
«Das unbelehrbare Herz» von 1969<br />
findet sich die hübsche Anekdote auch,<br />
<strong>Marlene</strong> tritt dort aber bloss als «der<br />
deutsche Star» auf. Salka, mit Intelligenz,<br />
Ironie und Energie gesegnet,<br />
wusste ein Image von sich und ihrer intimen<br />
Beziehung zur Garbo zu entwerfen<br />
und wusste, wo und wann sie<br />
George Steiner: Im Raum der Stille:<br />
Lektüren. Suhrkamp, Berlin 2011.<br />
271 Seiten, Fr. 34.90.<br />
Von Arnaldo Benini<br />
Lesen, sagt George Steiner, ist ein kompliziertes<br />
und grosses Abenteuer. Man<br />
sollte sich einem Text mit Bedacht und<br />
Zurückhaltung nähern. Von den «peinlichen<br />
selbstverliebten Gaukeleien» der<br />
zeitgenössischen Kritik hält er nichts.<br />
Der wahre und bedeutende Kritiker, so<br />
Steiner, ist ein Briefträger, der dem<br />
Empfänger einen sprachlich einwandfreien<br />
Brief zuwirft. Seine Bildung und<br />
seine Weltläufigkeit machen ihn selbst<br />
zum idealen Briefträger.<br />
George Steiner wurde 1929 in Paris<br />
geboren. Fünf Jahre zuvor war sein Vater<br />
aus Wien in die französische Hauptstadt<br />
gezogen. Er war einer der wenigen<br />
Juden, die schon in den frühen zwanziger<br />
Jahren bemerkten, dass ihresgleichen<br />
in Deutschland und Österreich die<br />
Vernichtung drohen konnte. Später zog<br />
die Familie in die USA. Steiner ist dreisprachig<br />
aufgewachsen, deutsch, französisch<br />
und englisch. Seine Mutter, eine<br />
Wiener Jüdin, beendete einen Satz selten<br />
in der Sprache, in der sie ihn begonnen<br />
hatte. Steiner lernte zudem Italienisch,<br />
das sich seiner Meinung nach<br />
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. November 2011<br />
schweigen wollte. Hier leuchtet die Literaturwissenschafterin<br />
Nicole Nottelmann<br />
unter die Oberfläche. Was sie da<br />
entdeckt und detailliert nacherzählt, ist<br />
die Geschichte einer Frauenbeziehung,<br />
die alle Höhen und Tiefen zwischen Erfolg<br />
und Depressionen, Liebe und Entfremdung<br />
durchläuft und dabei eine<br />
komplizierte Balance hält.<br />
«Ich liebe dich. Für immer» heisst das<br />
Buch nach einer Briefpassage der Garbo.<br />
Das klingt absolut und so wahr, wie die<br />
beruflichen und die Gefühlsverstrickungen<br />
zwischen den ungleichen Frauen<br />
immer wieder auch (selbst)zerstörerische<br />
Kräfte freisetzten. Salka war fast<br />
zwanzig Jahre älter, gebildet, aus galizischem<br />
Grossbürgertum stammend; ihr<br />
Haus an der Marbery Street in Santa<br />
Monica war berühmt als Emigrantentreffpunkt,<br />
sie amtierte als «Mutter von<br />
ganz Kalifornien» (Carl Zuckmayer),<br />
später, in der unseligen McCarthy-Zeit<br />
als eine Mutter Courage, die kein Blatt<br />
vor den Mund nahm.<br />
Greta Gustafsson dagegen wuchs als<br />
Arbeiterkind zu fünft in einer Einzimmerwohnung<br />
auf. Als Entdeckung des<br />
Regisseurs Mauritz Stiller, der sie zur<br />
«Garbo» machte, wurde sie zum Inbegriff<br />
der androgyn unnahbaren Schönheit,<br />
war scheu und verletzlich, was sie<br />
aber gleichzeitig als Image des verführe-<br />
«für eloquente Hohlheit» eignet, sowie<br />
Latein und Griechisch. Von 1974 bis 1994<br />
war er Dozent für vergleichende Literaturwissenschaften<br />
in Genf und Cambridge,<br />
wo er heute lebt.<br />
Zwischen 1967 und 1997 hat Steiner<br />
für die Wochenzeitschrift «The New<br />
Yorker» über 130 Rezensionen und Essays<br />
verfasst. Die liberale amerikanische<br />
Publikation war von Beginn an ein Pantheon<br />
zeitgenössischer Literatur, zählten<br />
zu ihren Mitarbeitern Borges, Nabokov,<br />
Salinger, Brodsky und andere. Steiner<br />
trat die Nachfolge des Kritikers Edmund<br />
Wilson an, der ihm den Rat erteilte,<br />
sich niemals scheiden zu lassen; die<br />
opulenten Honorare seien an seine drei<br />
Ex-Frauen gegangen. Die Mitarbeit Steiners<br />
endete abrupt, als die Leiterin des<br />
Magazins, Tina Brown, erfuhr, dass er<br />
herumerzählte, der «New Yorker»<br />
werde allmählich trivial.<br />
Steiner rezensierte Monografien über<br />
historische Figuren sowie Werke von<br />
Erzählern und Essayisten. 2009 ist in<br />
den USA eine Sammlung von 33 Artikeln<br />
erschienen, während die deutsche Ausgabe<br />
lediglich 16 Beiträge enthält – darunter<br />
jene über Cioran, Canetti, Brecht,<br />
Kraus, Bernhard, Celan, Albert Speer<br />
und Celine. Herausragend ist das Porträt<br />
über Hermann Broch, einen heute<br />
fast vergessenen Autor. Der Briefwechsel<br />
zwischen Walter Benjamin und<br />
rischen Vamps zu kultivieren wusste.<br />
Mit «Königin Christine» nahm die berufliche<br />
Partnerschaft von Salka und<br />
Greta ihren Anfang. Die Figur der historischen<br />
schwedischen Königin in ihrer<br />
Bisexualität war für Salka auf Garbo zugeschnitten.<br />
Und beide profitierten: Die<br />
Garbo hatte eine Beschützerin gefunden,<br />
Viertel einen Zugang und damit Arbeit<br />
als Autorin und Beraterin des Stars<br />
bei MGM. Über Jahre behauptete sie bei<br />
deren Studiobossen einen Status sozusagen<br />
als «Vorzimmerdame» für den<br />
schwierigen Star, vergleichbar vielleicht<br />
der Rolle als Coach, wie sie Paula Strasberg<br />
für Marilyn Monroe einnahm. Vor<br />
allem aber war Salka Impuls- und Ideengeberin,<br />
psychische Stütze, Ersatzmutter.<br />
Und: Sie war Gretas Geliebte – wie<br />
konkret, bleibt deren Geheimnis.<br />
Nottelmanns doppelbiografische<br />
Darstellung gibt anschaulich Einblicke<br />
in das alte Studiosystem, in dem sich die<br />
Garbo dank Viertel «als einzige der ehemaligen<br />
Stummfilmdiven und länger als<br />
fast jeder andere weibliche Hollywoodstar<br />
mit Ausnahme von Joan Crawford<br />
und Norma Shearer» halten konnte.<br />
Und sichtbar wird die Unbehaustheit<br />
aller Beteiligter vor dem Drama des<br />
20. Jahrhunderts mit Weltkrieg, Migration,<br />
mit seinen Moralvorstellungen und<br />
seinen politischen Hysterien. ●<br />
Essays Der Literaturkritiker George Steiner legt seine besten Arbeiten aus dem «New Yorker» vor<br />
Von der Lust am Provozieren<br />
Gershom Scholem wird als literarisches<br />
und philosophisches Meisterwerk dargestellt.<br />
Erhellend ist der Essay über<br />
Brecht, dessen Gedichte und Schauspiele<br />
für Steiner «zu den schönsten unseres<br />
Jahrhunderts» gehören. Steiner erinnert<br />
daran, dass Brecht auf die Frage, weshalb<br />
er in Moskau nicht um Asyl gebeten<br />
habe und in die USA gereist sei, antwortete:<br />
«Ich bin ein Kommunist, kein<br />
Idiot.» Weitere Themen sind die Schicksalsschläge<br />
des Kunstkritikers Anthony<br />
Blunt, der für die Russen spionierte, und<br />
der Essay über die «Traurigen Tropen»<br />
von Claude Lévi-Strauss. Schade, dass in<br />
der deutschen Ausgabe die Aufsätze<br />
über Goethe, Kafka, Musil, Thomas und<br />
Heinrich Mann fehlen.<br />
Susan Sonntag sagte, der Essayist<br />
Steiner greife alles mit Ernsthaftigkeit<br />
und Lust an der Provokation auf. Obwohl<br />
er das Leben liebt, ist Steiner eine<br />
Stimme des zeitgenössischen Pessimismus.<br />
Die «weinerliche Kantilene» von<br />
E. M. Cioran lehnt er jedoch ab. Selbst<br />
im Jahrhundert von Auschwitz und in<br />
einer von Scharlatanen regierten Welt,<br />
sagt Steiner, sind Ciorans Trauersermone<br />
«Zeugnis einer massiven, gewaltsamen<br />
Vereinfachung.» Was ist von einem<br />
im Greisenalter gestorbenen Moralisten<br />
zu halten, für den jeder, der sich nicht<br />
vor dem dreissigsten Lebensjahr umbringt,<br />
ein Versager ist? ●