Marlene Dietrich - Leni Riefenstahl Doppelbiografie - Neue Zürcher ...
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Sachbuch<br />
Biografie Zwei <strong>Neue</strong>rscheinungen porträtieren den Schriftsteller der Romantik Novalis<br />
Todessüchtiger philosophiert<br />
über die Liebe<br />
Wolfgang Hädecke: Novalis. Biografie.<br />
Hanser, München 2011. 399 Seiten,<br />
Fr. 34.90.<br />
Gerhard Schulz: Novalis. Leben und Werk<br />
Friedrich von Hardenbergs. C. H. Beck,<br />
München 2011. 298 Seiten, Fr. 35.50.<br />
Von Manfred Koch<br />
Es waren schöne, einfache Zeiten, als<br />
Novalis-Biografen noch an der Legende<br />
vom todessüchtigen Schwärmer stricken<br />
konnten. Leben und Werk bildeten<br />
eine fugenlose Einheit. Alles, was diesen<br />
schlechthinnigen Romantiker bewegte,<br />
war demnach zurückzuführen auf ein<br />
Schlüsselerlebnis: den Tod seiner fünfzehnjährigen<br />
Braut Sophie von Kühn im<br />
März 1797 und seinen Entschluss, ihr<br />
«nachzusterben».<br />
In den vier Jahren bis zu seinem eigenen<br />
frühen Verscheiden schrieb er berückende,<br />
rätselhafte Dichtungen wie die<br />
«Hymnen an die Nacht», die um Themen<br />
wie Liebe und Tod, himmlisches<br />
Heimweh und ätherische Verwandlung<br />
kreisen. Zu dieser ergreifenden Geschichte<br />
passte das einzige Bild des Poeten,<br />
das die Nachwelt kannte: der Kupferstich<br />
eines gewissen Eduard Eichen,<br />
der ab 1846 jede Novalis-Ausgabe zierte.<br />
Ausgehend von einem anspruchslosen<br />
Novalis-Portrait im Familienbesitz schuf<br />
Eichen postum das Antlitz, das der Legende<br />
entsprach: der Träumer mit dem<br />
weichen Gesichtsoval, dem mädchenhaften<br />
Schmollmund, den seelenvollen<br />
Rehaugen und der hohen Stirn, von der<br />
die langen Locken hinabwallen. So<br />
musste er ausgesehen haben, der «göttliche<br />
Jüngling, der nur auf der Erde wandelte,<br />
um sich bald wieder zu dem geliebten<br />
Land seiner Sehnsucht aufzuschwingen»,<br />
so ein Lexikon von 1817.<br />
Ein Workaholic<br />
Das heutige Novalis-Bild ist sehr viel<br />
nüchterner und komplizierter. Seit 1960<br />
erscheint die Kritische Ausgabe seiner<br />
Schriften, die akribisch das theoretische<br />
Werk und die Berufstätigkeit des angeblichen<br />
Weltflüchtlings dokumentiert.<br />
Friedrich von Hardenberg, so sein eigentlicher<br />
Name, war – wie man nun<br />
sehen konnte – ein blitzgescheiter Philosoph<br />
in der Nachfolge Kants und Fichtes,<br />
ein genauer Kenner der Naturwissenschaften<br />
seiner Zeit und ein wahrer<br />
Workaholic in seinen Brotberufen als<br />
Verwaltungsbeamter und Salineningenieur.<br />
Verständlich, dass sich angesichts<br />
dieser facettenreichen Persönlichkeit<br />
selbst ausgewiesene Kenner nicht mehr<br />
an das Projekt einer umfassenden Biografie<br />
wagten.<br />
1969 veröffentlichte Gerhard Schulz,<br />
einer der Herausgeber der Kritischen<br />
24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27. November 2011<br />
Novalis-Museum<br />
auf Schloss<br />
Oberwiederstedt,<br />
Sachsen-Anhalt, wo<br />
Novalis (1772–1801)<br />
Kindheit und Jugend<br />
verbrachte.<br />
Ausgabe, eine vorzügliche Kurzdarstellung<br />
von Leben und Werk. Dabei blieb<br />
es für mehr als vierzig Jahre. Mittlerweile<br />
ist Schulz der Nestor der Novalis-Forschung,<br />
ein Germanist, der sich wie<br />
wenig andere in der Literatur um 1800<br />
auskennt, dazu ein Stilist von hohen<br />
Graden, der sein Wissen anregend und<br />
erhellend auch Nicht-Spezialisten zu<br />
vermitteln versteht.<br />
Verwegene Erotik<br />
Als der Beck Verlag für den Herbst 2011<br />
sein neues Buch über «Leben und Werk»<br />
Hardenbergs ankündigte, durfte man<br />
deshalb gespannt sein. Nun, die Novalis-<br />
Experten werden zunächst enttäuscht<br />
sein. Es ist keine neue Biografie, sondern<br />
eine durch biografische Überleitungen<br />
verbundene Sammlung von<br />
Schulz’ wichtigsten Novalis-Aufsätzen<br />
aus den letzten drei Jahrzehnten. Aber<br />
diese Aufsätze haben es in sich und deshalb<br />
längst verdient, einem grösseren<br />
Publikum vorgestellt zu werden! Am<br />
Anfang steht eine Studie über Novalis-<br />
Bildnisse, die das ganze Spektrum der<br />
Mythisierung bis hin zur gnadenlosen<br />
Verkitschung vorführt; der zweite Teil<br />
besticht durch kluge Interpretationen<br />
berühmter Gedichte wie «An Tieck»,<br />
«Das Lied der Toten» und «Hymnen an<br />
die Nacht». Das Glanzstück sind die<br />
Ausführungen zu «Novalis’ Erotik» im<br />
Mittelteil. Schulz erläutert die verwegene<br />
Liebesphilosophie Hardenbergs, die<br />
alle Gestalten des Eros gleichermassen<br />
würdigt: von der Anziehungskraft, die<br />
das Universum zusammenhält, bis hin<br />
zu den körperlichen Begierden. Von der<br />
Lust auf «Busenberührung» und «Griff<br />
an die Geschlechtsteile» (auch die eigenen)<br />
handelt vielfach das «Journal», das<br />
er nach Sophies Tod führte. In teils kuriosen<br />
Formulierungen («Das Gehirn<br />
gleicht den Hoden») versucht Novalis,<br />
Spirituelles und Sexuelles zusammenzudenken,<br />
um, so Schulz, «zu erfassen,<br />
was menschliche Existenz in ihrer Totalität<br />
ausmacht». Da er hierbei auch die<br />
Abgründe der menschlichen Triebnatur<br />
nicht ausklammert, rückt der romantische<br />
Jüngling in verblüffende Nähe zu<br />
seinem Zeitgenossen de Sade.<br />
Solche Überraschungen erlebt der<br />
Leser von Wolfgang Hädeckes «Novalis»<br />
leider nicht. Es handelt sich tatsächlich<br />
um die erste grosse Biografie, die<br />
auf der Grundlage der Kritischen Ausgabe<br />
und der vielen neueren Spezialstudien<br />
zum experimentellen Denk- und<br />
Sprachstil Hardenbergs entstanden ist.<br />
Fraglos ein kenntnisreiches, ansprechend<br />
formuliertes und argumentativ<br />
ausgewogenes Buch. Aber die bemühte<br />
Korrektheit ist auch sein Problem. Man<br />
vermisst einen energischeren individuellen<br />
Zugriff; oft versteckt sich Hädecke<br />
hinter Urteilen renommierter Novalis-<br />
Forscher (wie Schulz). Unter dem Strich<br />
ist es wieder ein recht frommer Novalis<br />
und auch die totale Entmythisierung des<br />
«Sophienerlebnisses» macht Hädecke<br />
nicht mit. Das ist grundsätzlich legitim.<br />
Aber muss man Hardenbergs Tuberkulose<br />
psychosomatisch auf den «ins Unbewusste<br />
abgesunkenen Todeswunsch»<br />
nach dem Verlust der Geliebten zurückführen?<br />
Vermutlich hat er einfach zu viel<br />
gearbeitet. ●<br />
STAR-MEDIA