Mercator Kolleg - Stiftung Mercator
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In den Dörfern hat<br />
nicht die Polizei das<br />
Sagen, sondern<br />
Chiefs, Älteste und<br />
spirituelle Anführer,<br />
die unter Berufung<br />
auf das Traditionelle<br />
nicht immer<br />
Menschen- und<br />
Frauenrechte<br />
respektieren<br />
Dazu ruft der Chief die<br />
Eheleute zusammen und<br />
lädt Frauenvertreter, Kirchenvertreter<br />
und Familienälteste<br />
dazu. Beide Parteien<br />
schildern ihre Version<br />
der Geschichte, Zeugen<br />
werden gehört. Der<br />
Chief entscheidet, dass<br />
der Ehemann Maria nicht<br />
hätte schlagen, doch dass<br />
Maria ihn auch nicht<br />
hätte provozieren dürfen.<br />
Sie erhält Ratschläge, wie<br />
sie ihrem Mann in Zukunft<br />
eine bessere Ehefrau<br />
sein kann; ihr Mann<br />
muss sich öffentlich entschuldigen<br />
und Marias<br />
Eltern einen Wasserbüffel als Entschädigung geben. In einem Vertrag kommen<br />
beide Seiten überein, einander künftig zu respektieren, der Ehemann vepflichtet<br />
sich schriftlich, seine Frau nicht mehr zu schlagen. Allerdings hängt die Umsetzung<br />
traditioneller Schlichtungen allein vom guten Willen der Beteiligten ab.<br />
Keine Exekutive kann sie erzwingen oder eine Verletzung ahnden.<br />
Traditionelle Rechtsprechung in Osttimor unterscheidet sich von Dorf zu<br />
Dorf, doch Marias Geschichte trägt sich auf ähnliche Weise immer wieder zu.<br />
Frauen geben dem Druck ihrer Familien nach, Probleme auf traditionelle Weise<br />
zu klären; sie erhalten wenig oder gar keine Unterstützung seitens der Polizei;<br />
für die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, macht man sie häufig selbst verantwortlich,<br />
sie erhalten keine Entschädigung und sie müssen häufig weiter mit dem<br />
gewalttätigen Partner unter einem Dach leben.<br />
Soziales Netzwerk Familie<br />
Es ist diese Seite des weitläufig praktizierten traditionellen Rechts, die Frauenrechtler<br />
bekämpfen wollen. Vor allem in der Hauptstadt Dili fordern deshalb<br />
einige die Abschaffung traditioneller Praktiken oder gesetzliche Regelungen,<br />
die deren Anwendung einschränken.<br />
Trotz guter Absichten sind solche Forderungen jedoch problematisch: Sie<br />
verkennen den kulturellen und sozialen Kontext des traditionellen Rechts, das<br />
das Fundament ländlicher Gemeinschaften bildet. Durch eine Heirat wird in<br />
Osttimor nicht ein Bund zwischen zwei Individuen, sondern zwischen zwei<br />
Großfamilien geschlossen. Er bringt gegenseitige Versprechen und Verpflichtungen<br />
mit sich, die auch für kommende Generationen gelten. So entsteht ein<br />
komplexes System sozialer Netzwerke, die durch Zeremonien, Rituale und Familienfeiern<br />
gestärkt werden, der sozialen Absicherung dienen und für das<br />
28 <strong>Mercator</strong> <strong>Kolleg</strong> 2010/11