„Gerechter Friede" — Weltgemeinschaft in der Verantwortung - eDoc
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42 Michael Rosenberger<br />
I. Der „Sitz im Leben"<br />
Anfang <strong>der</strong> 80er Jahre war <strong>der</strong> Streit über den sog. Nato-Doppelbeschluss (atomar nach-<br />
rüsten und weiter verhandeln) auf dem Höhepunkt angekommen. Fast sämtliche Län<strong>der</strong><br />
Westeuropas diskutierten die Besorgnis erregende Beschleunigung <strong>der</strong> Rüstungsspirale<br />
und die Gefahren <strong>der</strong> Atomwaffen. Die Frage nach dem richtigen Weg zum Frieden <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Situation des kalten Krieges zwischen Ost und West spaltete die westlichen Gesell-<br />
schaften wie auch die Angehörigen <strong>der</strong> großen Kirchen zutiefst. Dabei hatte sie, nicht nur<br />
<strong>in</strong> Kirchenkreisen, explizit christliche Untertöne. In Deutschland z.B. breitete sich die<br />
Debatte über ethische Interpretation und politische Relevanz <strong>der</strong> Bergpredigt bis <strong>in</strong> den<br />
Bundestag h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> aus und ließ die Grenzen <strong>der</strong> Kirchen weit h<strong>in</strong>ter sich. In dieser<br />
Situation versuchte „Gerechtigkeit schafft Frieden", gegensätzliche Positionen so weit zu<br />
überbrücken, dass weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Dialog mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> möglich blieb (GsF 1.1) und <strong>der</strong><br />
drohende Riss mitten durch die Kirchengeme<strong>in</strong>den verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden konnte.<br />
Durch Gorbatschows Perestroika, die mit ihr e<strong>in</strong>hergehende Entspannung zwischen Ost<br />
und West sowie durch den wenig später erfolgenden Zusammenbruch <strong>der</strong> kommunisti-<br />
schen Regime wurde e<strong>in</strong>e Phase <strong>der</strong> Abrüstung e<strong>in</strong>geleitet, die die friedenspolitischen<br />
Streitpunkte <strong>der</strong> ersten Jahrzehnthälfte weitgehend erledigte. Zugleich aber wurden neue<br />
Gefahren sichtbar, die sich <strong>in</strong> den 90er Jahren zu Brandherden auswuchsen, mit den<br />
überkommenen Kategorien <strong>der</strong> Friedensethik und -politik aber nicht lösbar waren und<br />
s<strong>in</strong>d: Das Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>fallen <strong>der</strong> Sowjetunion und Jugoslawiens haben Kriege und krie-<br />
gerische Konflikte erzeugt, auf die kaum jemand vorbereitet war und die deshalb <strong>in</strong> Po-<br />
litik und Öffentlichkeit weitgehend Ratlosigkeit hervorriefen. H<strong>in</strong>zu kamen militärische<br />
Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen am Golf und die zahlreichen Kriege und Konfliktherde <strong>in</strong> Afrika.<br />
All das ließ es geraten ersche<strong>in</strong>en, neu nach Orientierungshilfen zu suchen, die <strong>der</strong><br />
christliche Glaube <strong>in</strong> dieser Situation zu bieten hat. 4<br />
So gaben die US-amerikanischen Bischöfe bereits 1993 ihr zweites Hirtenschreiben „Ge-<br />
rechtigkeit ist die Frucht des Friedens" heraus. 1994 folgte <strong>der</strong> Rat <strong>der</strong> Evangelischen<br />
Kirche <strong>in</strong> Deutschland mit „Schritte auf dem Weg des Friedens". Die Holländische Bi-<br />
schofskonferenz veröffentlichte im Herbst 1996 „Zum Frieden imstande? Wir persönlich<br />
glauben, dass dies möglich ist" <strong>—</strong> e<strong>in</strong> sehr narrativ gehaltenes Bischofswort, das <strong>in</strong> enger<br />
Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>ländischen Sektion von Pax Christi erarbeitet wurde. 1999<br />
schließlich verfassten die Bischöfe aus den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> EU e<strong>in</strong> Friedenswort, das ihre<br />
spezifische Sicht <strong>der</strong> Probleme erläutert. Insofern steht <strong>„Gerechter</strong> Friede" gleichsam am<br />
Schluss e<strong>in</strong>er neuen Serie kirchlicher Verlautbarungen zur Friedensthematik. Es profitiert<br />
von se<strong>in</strong>en „Vorläufern" und kann auf ihren Ausführungen aufbauen.<br />
Das Dokument hat gleichwohl e<strong>in</strong>en langen Prozess des Entstehens h<strong>in</strong>ter sich: Bereits<br />
1 993 hatte sich die Kommission X für weltkirchliche Aufgaben <strong>der</strong> Deutschen Bischofs-<br />
konferenz für e<strong>in</strong>e Fortschreibung von „Gerechtigkeit schafft Frieden" ausgesprochen.<br />
1 996 wurde zu diesem Behufe e<strong>in</strong>e Arbeitsgruppe hochkarätiger Fachleute e<strong>in</strong>gesetzt,<br />
<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Jahr später e<strong>in</strong>e bischöfliche Redaktionsgruppe unter Leitung des Limburger Bi-<br />
schofs Franz Kamphaus begleitend und koord<strong>in</strong>ierend zur Seite gestellt wurde. In Rück-<br />
4 Dazu auch: Thomas Hoppe, Auf dem Weg zum gerechten Frieden? Friedensethische Überlegungen<br />
nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, Bremen (1995); Thomas Hoppe/ Jörg Lüer<br />
(Hg.), Erfahrungen aus dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, Bonn (1997).