Die Richtung selbst bestimmen - Nord-Handwerk
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Thema des monaTs<br />
Jeder Tag muss anders sein :<br />
Wenn <strong>Handwerk</strong> und Kreativität untrennbar zusammengehören,<br />
ist Elektroinstallateurmeister Ernst Legies aus Hörup ein typischer<br />
Vertreter seines Berufsstands. Ganz sicher ist er ein<br />
außergewöhnlicher Zeitgenosse.<br />
„<strong>Handwerk</strong>er sind Problemerkenner und -löser“, sagt Elektroinstallateurmeister Ernst Legies. Mit seiner<br />
neuesten Entwicklung lassen sich die Enden von Fernwärmeleitungsrohren begradigen.<br />
Als Erfinder lässt sich Ernst Legies<br />
nicht gerne bezeichnen. Das hieße<br />
doch, die eigene Arbeit zu hoch aufzuhängen,<br />
sagt er. Schließlich sei jeder <strong>Handwerk</strong>er<br />
Erfinder. Ohne Kreativität und Wendigkeit<br />
funktioniere <strong>Handwerk</strong> nicht. „Meine Entwicklungen<br />
sind oft nur Kleinigkeiten. Ihr<br />
einziger Zweck ist es, den Leuten das Leben<br />
ein bisschen einfacher zu machen.“<br />
Elektroinstallateurmeister Ernst Legies<br />
ist ein ungewöhnlicher Mann. Er blickt<br />
zurück auf ein 70jähriges bewegtes Leben.<br />
Doch eigentlich guckt er eher nach<br />
vorn; auch während er dem Besucher<br />
seine neueste „Erfindung“ vorstellt: Ein<br />
einfaches, aber effizientes Werkszeug, das<br />
krumme Fernwärmeleitungsrohre geradebiegt.<br />
„<strong>Die</strong> auf einer Rolle transportierten<br />
Rohre werden in Gräben und<br />
unter der Erde verlegt“, erklärt er. Wenn<br />
sie am Zielort aus dem Boden kommen,<br />
sind ihre Enden immer krumm. Sollen<br />
nun zwei Rohre miteinander verbunden<br />
14 nordhandwerk Juli / August 2010<br />
werden, sei das hochproblematisch. „Da<br />
wird dem thermoplastischen Kunststoff<br />
mit Flaschenzügen und Schaufelbaggern<br />
mühsam auf den Pelz gerückt. Das Elend<br />
konnte ich mir nicht länger mit ansehen.“<br />
Nach einigen Versuchen ist das Werkzeug<br />
inzwischen ausgereift und steht unter „Gebrauchsmusterschutz“,<br />
dem kleinen Bruder<br />
des „Patents“. Legies will damit schnellstmöglich<br />
auf den Markt gehen.<br />
Neugier lebenslänglich<br />
Neugier und Entdeckerlust begleiten den<br />
in Ostpreußen geborenen Legies seit Kindertagen.<br />
Er ist noch nicht einmal fünf<br />
Jahre alt, da weiß er, dass er zur Marine<br />
gehen will. Es ist Frühjahr 1945. In „Gotenhafen“,<br />
dem heute polnischen Gdynia<br />
in der Danziger Bucht, wartet seine Familie<br />
darauf, über die Ostsee evakuiert zu werden.<br />
Auf die „Wilhelm Gustloff“ sollen<br />
sie. <strong>Die</strong> „Hamburg“ wird sie sicher nach<br />
Sassnitz bringen. „Alles war grau“, erinnert<br />
Foto: Meyer-Lüttge<br />
sich Legies, „vor allem die Menschen. Das<br />
einzige, was Optimismus ausstrahlte, waren<br />
die Matrosen in ihren blauen Uniformen.<br />
Für mich war klar, wenn du groß bist, wirst<br />
du auch einer.“<br />
18 Wohnsitze in zwölf Jahren<br />
Gesagt, getan. Direkt nach der Elektrikerlehre<br />
geht Ernst Legies zur Kriegsmarine,<br />
bereist die ganze Welt, besucht die Marineschule,<br />
dient auf sechs verschiedenen<br />
Schiffstypen, ist zuletzt Obermaschinist auf<br />
einem U-Boot. „Zuletzt“, das ist 1970. Da<br />
ist er 30 Jahre alt und verliert die Lust, „als<br />
Schachfigur“ ständig hin und her geschoben<br />
zu werden. „Ich hatte in zwölf Jahren<br />
18 Wohnsitze, war auf der ganzen Welt zu<br />
Hause, hatte aber kein Zuhause. Ich wollte<br />
mich <strong>selbst</strong>ständig machen und suchte<br />
einen Ort, an dem ich meine Kreativität<br />
ausleben konnte“, erzählt er.<br />
1971 kauft der Unteroffizier a. D. die<br />
alte Schmiede in Hörup. Hier richtet er<br />
sich ein. Er wird Dauergast der Berufsbildungsstätte<br />
der <strong>Handwerk</strong>skammer Lübeck<br />
in Travemünde, besucht Schweißerkurse,<br />
lernt Schmieden, Drehen und belegt Fortbildungsveranstaltungen<br />
über thermo- und<br />
duroplastische Kunststoffe. 1976 wagt er,<br />
den Meisterbrief gerade in der Tasche, den<br />
Schritt in die Selbstständigkeit. Bald holt<br />
Legies einen Lehrling in den Betrieb, ein<br />
Geselle kommt dazu.<br />
Tüfteln bleibt die große Leidenschaft des<br />
Elektroinstallateurmeisters. Bereits Ende<br />
der Sechziger entstand seine erste Entwicklung.<br />
Eine Patrone, eine kleine Batterie,<br />
eine Feder und eine winzige Glühbirne<br />
werden zum beleuchteten Schlüsselanhänger.<br />
Ärgerlicherweise dachte der Erfinder<br />
nicht daran, die Arbeit patentieren zu lassen.<br />
Später entwickelte er neben vielem<br />
anderen eine Zange, mit der man um die<br />
Ecke greifen kann; einen Verschlussmechanismus<br />
für Gatter im Kuhstall, den<br />
jeder Landwirt mit dem kleinen Finger<br />
öffnen kann, aber keine Kuh mit ihren<br />
Hörnern; einen Löwenzahnstecher, mit<br />
dem sich die gelben Plagegeister bequem<br />
aus dem gepflegten Rasen tilgen lassen<br />
und, und, und.<br />
Ans Aufhören verschwendet der 70-Jährige<br />
keinen Gedanken. „Jeder Tag muss anders<br />
sein, und jeder Tag muss etwas anderes<br />
bringen“, sagt er. „Das ist mein Motto, und<br />
das bleibt auch so.“