Augsburg
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FORTSETZUNGSROMAN 30./31. März 2013 / Nr. 13<br />
durch die Ziegenhäute<br />
scheinende Sonne<br />
13Die<br />
tauchte den Innenraum<br />
in gelbes Licht. Da, wo eine Ritze<br />
zwischen Rahmen und Wand war,<br />
strahlte sie hindurch und zauberte<br />
silberne Streifen von aufgewirbeltem<br />
Staub in die Luft. Wie ruhig<br />
und friedlich es in diesem Moment<br />
doch war! Ursula schaute sich um,<br />
und in ihr war ein Gefühl, als würde<br />
ihr all das hier bereits gehören.<br />
So musste es sich anfühlen, wenn<br />
sie erst mal Bäuerin war.<br />
Lange gönnte sie sich aber keine<br />
Pause. Der Stall musste noch ausgemistet<br />
werden, und außerdem wollte<br />
sie auch in ihrem Verschlag ein<br />
wenig Ordnung machen. Als sie<br />
aus dem Stall zurückkam, stand<br />
Ludger am Brunnen. Schnell huschte<br />
sie unbemerkt ins Haus und verschwand<br />
hinter der geflochtenen<br />
Wand ihres Verschlages. Hier stöberte<br />
sie durch all die getrockneten,<br />
auf bewahrten Kräuter. Prüfte die<br />
Tie gel mit Pasten und Salben und<br />
fand in einer Ecke ein kleines ledernes<br />
Bündel. Sie erinnerte sich, Ester<br />
hatte dies einmal auf dem Tisch<br />
ausgebreitet, als Ludger sich einen<br />
Dorn in den Fuß getreten hatte.<br />
Der Dorn war abgebrochen, und<br />
die Wunde hatte nach einigen Tagen<br />
zu eitern begonnen. Ester hatte<br />
seinen Fuß angesehen und war<br />
dann zu ihren Sachen gegangen. Sie<br />
kam mit einem Salbentiegel und<br />
mit dem Lederbündel zurück. Sie<br />
hatte das Leder ausgerollt, und einige,<br />
verschiedene Gegenstände kamen<br />
zutage. Da gab es ein kleines,<br />
sehr spitzes Messer, mit dem hatte<br />
sie die eitrige Beule an Ludgers Fuß<br />
aufgeschnitten. Dann hatte sie ein<br />
anderes Ding genommen, das aussah<br />
wie ein umgebogener Draht,<br />
und hatte damit den Dorn aus der<br />
Wunde gezogen. Anschließend hatte<br />
sie alle gelbe Flüssigkeit aus der<br />
Öffnung gepresst, bis es nur noch<br />
blutete, und hatte zuletzt die Stelle<br />
mit der Salbe bestrichen. Ludger<br />
selbst hatte sich einen Streifen Stoff<br />
um den Fuß gebunden und war<br />
von dannen gehumpelt.<br />
Ursula erinnerte sich an die Szene.<br />
Vorsichtig löste sie die Bänder<br />
um das Bündel und rollte es auf ihrem<br />
Schoß auseinander. Die Gegenstände<br />
waren alle aus Metall,<br />
dort, wo sie spitz oder scharf waren,<br />
glänzten sie, die Griffe weiter oben<br />
waren allesamt grau-grünlich. Ursula<br />
nahm jedes dieser Werkzeuge<br />
behutsam in die Hand. Sie hatten<br />
ein angenehmes Gewicht in der<br />
Hand. Das spitze, kleine Messer<br />
kannte sie bereits. Den umgebogenen<br />
Draht, dessen offene Enden<br />
man gegeneinander drücken konnte,<br />
war wie eine kleine Zange aus<br />
Daumen und Zeigefinger, mit der<br />
man etwas greifen konnte. Außer-<br />
Im Frühsommer machen<br />
sich der Bauer und die<br />
meisten Hofbewohner<br />
auf den Weg zum Markt<br />
um Waren zu tauschen<br />
und zu verkaufen. Nur<br />
Arnulf, der Knecht,<br />
Jungbauer Ludger und<br />
Ursula bleiben zurück.<br />
Während die Männer auf<br />
der Weide zu tun haben,<br />
macht die junge Frau in der<br />
Stube sauber – zunächst allein.<br />
dem war da noch eine dünne Nadel,<br />
die aus einem Griff ragte, und eine<br />
kleine Schere, deren schma le Griffe<br />
denen der Pinzette ähnelten und<br />
im Missverhältnis zu den beiden<br />
zierlichen, dreieckigen Scherenblättern<br />
standen.<br />
Alles war schön sauber, spitz und<br />
scharf. Ursula legte das Besteck zurück<br />
ins Leder, schlug es oben und<br />
unten über den Inhalt und rollte es<br />
dann von einer Seite auf. Anschließend<br />
umwickelte sie es mit dem<br />
dünnen Lederriemen und legte das<br />
Bündel zu ihren persönlichen Sachen.<br />
Sie war so vertieft in ihr Tun,<br />
dass sie nicht bemerkte, wie Ludger<br />
ins Haus kam, die Sauberkeit prüfend<br />
musterte und schließlich hinter<br />
sie trat und sie verstohlen beobachtete.<br />
„Hast du auch die Strohsäcke alle<br />
aufgeschüttelt?“ Er fragte mit bestimmtem,<br />
aber auch freundlichem<br />
Ton. Ursula erschrak, zuckte zusammen<br />
und fuhr zugleich herum.<br />
Auf dem Boden kauernd sah sie zu<br />
dem Burschen hinauf. „Ludger!<br />
Wieso schleichst du dich so heran?<br />
Mir blieb fast das Herz stehen.“ Sie<br />
rappelte sich auf und kam vor ihm<br />
zu stehen. Sie spürte seine Wärme,<br />
er roch nach Heu und Vieh, seine<br />
Haare waren nass, er musste sich<br />
am Brunnen erfrischt haben. Ursula<br />
trat noch einen halben Schritt<br />
vor und legte eine Hand auf seine<br />
Brust. Ludger beugte sich zu ihr<br />
und küsste sie. Erst auf die Wange<br />
und dann auf den Mund. Ursula<br />
spürte wieder diese Flammen auf<br />
der Haut und konnte nicht anders,<br />
als sich an ihn zu schmiegen. Er<br />
fuhr fort sie zu küssen. Das Spiel<br />
nahm ihr den Atem. Ludger zog sie<br />
noch enger an sich, und mit einer<br />
Hand streichelte er ihre Brust. Warme<br />
Schauer durchfuhren Ursula. In<br />
Foto: akg-images/<br />
Erich Lessing<br />
sich hörte sie zwei Gedanken rufen:<br />
weglaufen oder weitermachen?<br />
Ludger nahm ihr die Entscheidung<br />
ab. Ohne von ihr zu lassen,<br />
schob er sie mit kleinen Schritten<br />
zu ihrem Lager. Dann beugte er<br />
sich soweit vor, dass sie Angst bekam,<br />
hintenüber zu fallen, aber er<br />
hielt sie und ließ sie ganz sachte auf<br />
den Strohsack hinab.<br />
Später rollte er sich zur Seite, atmete<br />
hörbar schwer. Ursula versuchte,<br />
in sich hineinzuspüren. Es<br />
war alles so anders. Es hatte nicht<br />
wehgetan, es war sogar schön und<br />
aufregend gewesen. War das Wollust?<br />
Ludger erhob sich. Dann ging<br />
er ohne ein Wort. Ursula ärgerte<br />
sich. Konnte der Holzkopf nicht<br />
einmal etwas Nettes oder Liebes sagen?<br />
Dann stand sie auf und begann<br />
die Sachen für den Wald zu<br />
packen. Sie nahm zwei Scheiben<br />
Brot, etwas Speck und Käse mit.<br />
Außerdem rollte sie auch ihr zweites<br />
Kleid, die Schürze und das Unterkleid<br />
zusammen und stopfte alles<br />
in einen Sackbeutel. Dann griff sie<br />
sich noch den Korb und ein kurzes<br />
Messer und machte sich auf den<br />
Weg.<br />
Von Ludger war nichts zu sehen.<br />
Um ihren geheimen Ort nicht zu<br />
verraten, ging sie nicht auf direktem<br />
Wege dorthin, sondern beschritt<br />
einen großen Bogen, bei<br />
dem sie an Stellen kam, wo sie bisher<br />
immer etwas gefunden hatte.<br />
Der Tag war warm, und auch wenn<br />
sie recht bedächtig ausschritt, kam<br />
sie doch bald in Schweiß. Sie bekam<br />
Durst und schlug jetzt den<br />
Weg zum Bächlein ein. Schon bald<br />
hörte sie sein Plätschern und Glucksen.<br />
Die Sonne ließ das helle Grün<br />
der neuen Blätter an allen Bäumen<br />
aufleuchten. Alles roch frisch, sie<br />
hörte das Summen der Insekten in<br />
der Luft, nicht weit entfernt hämmerte<br />
ein Specht gegen einen<br />
Baum.<br />
Als sie schon fast beim kleinen<br />
Wasserlauf angelangt war, wurde sie<br />
einer sachten Bewegung in ihrem<br />
Augenwinkel gewahr. Sie schaute<br />
dort hin, und im hellen Grün zweier<br />
Büsche stand groß und erhaben<br />
ein Hirsch. Noch nie hatte Ursula<br />
solch ein Tier so nahe gesehen. Wie<br />
die Krone einer Majestät stand das<br />
vielendige Geweih des Hirsches<br />
über dessen Kopf. Ursula hielt den<br />
Atem an. Der Hirsch schaute sie<br />
ebenso erschrocken an wie sie ihn.<br />
Dann schüttelte er kurz den Kopf<br />
mit all seiner Last und wandte sich<br />
ab. Die Büsche schlugen hinter ihm<br />
zusammen, und Ursula konnte nur<br />
noch die sich entfernenden Huftritte<br />
hören. Ursula wurde sich klar darüber,<br />
dass sie im Wald nie alleine<br />
war. Überall um sie herum war Leben,<br />
verbargen sich Tiere und warteten<br />
nur ab, bis sie vorbei war, um<br />
dann wieder ihren Alltagsgeschäften<br />
nachzugehen. Ursula merkte,<br />
wie sehr sie den Wald liebte. Vielleicht<br />
war sie deswegen immer ohne<br />
Furcht in ihm, ohne Angst vor<br />
wilden Tieren oder anderen Bedrohungen.<br />
Endlich am Bächlein angekommen,<br />
stillte sie ihren Durst. Das<br />
Was ser, das sie schöpfte, benetzte<br />
auch ihren Hals und rann hinab<br />
zwischen ihre Brüste und in ihr<br />
Kleid bis auf ihren Bauch. Dieses<br />
erfrischende Gefühl spornte sie an,<br />
schnell zum Tümpel zu kommen.<br />
Sie wollte sich in das kühle Wasser<br />
legen.<br />
Auf der Felsplatte angekommen,<br />
blieb sie außer Atem und verzückt<br />
stehen. Der Ort erschien ihr heute<br />
noch viel schöner, als sie ihn in Erinnerung<br />
gehabt hatte. Sie hörte<br />
die Vögel ruhig zwitschern. Da war<br />
kein krächzendes Warnen eines Hähers,<br />
kein Knacken im Gehölz. Sie<br />
sah sich noch einmal scheu um und<br />
zog sich dann ihre Kleider über den<br />
Kopf. Langsam ließ sie sich in das<br />
kühle Wasser gleiten. Es war doch<br />
frischer als erwartet und nahm ihr<br />
beinahe die Luft zum Atmen. Doch<br />
schon bald hatte sie sich daran gewöhnt.<br />
Sie suchte sich einen Sitzplatz,<br />
nahm ein Stück Stoff und<br />
begann sich damit abzureiben.<br />
DIE KREUZFAHRERIN<br />
Stefan Nowicki<br />
Gebunden, 384 S.<br />
Sankt Ulrich Verlag<br />
ISBN:<br />
978-386744-154-4<br />
19,95 EUR<br />
Fortsetzung folgt