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HINTERGRUND<br />

Foto: Jugend forscht<br />

fältig die eingereich ten Arbeiten<br />

der jungen Leute.<br />

Diese Experten werden sich<br />

doch nicht alle geirrt haben?<br />

Als externer Beobachter muss man sich<br />

nun ernsthaft die Frage stellen, ob einer der<br />

nächsten Nobelpreise nach Bersenbrück<br />

geht, als Würdigung einer wissenschaftlichen<br />

Leistung, die unser physikalisches<br />

Weltbild dramatisch korrigieren wird:<br />

der Bestätigung des homöopathischen<br />

Wirkprinzips. Ähnlich Epochales war bislang<br />

nur Jahrhundertgenies wie Einstein,<br />

Planck und Dirac gelungen, und die haben<br />

ja auch alle den Nobelpreis erhalten.<br />

Nobelpreisverdächtige Erkenntnis<br />

Um zu verstehen, wie radikal das<br />

homöo pathische Weltbild dem rational<br />

aufgeklärten des 21. Jahrhunderts widerspricht,<br />

genügt ein Blick ins Samuel Hahnemanns<br />

Grundlagenwerk Organon der Heilkunst,<br />

veröffentlicht 1810. Es ist bis zum<br />

heutigen Tag das maßgebliche theoretische<br />

Werk der Alternativmediziner. Homöopathie<br />

beruht gemäß dem Organon auf den<br />

folgenden Ideen und Vorstellungen:<br />

➤ Gleiches kann mit Gleichem geheilt<br />

werden („sympathische Magie“);<br />

➤ Alle chronischen Krankheiten werden<br />

durch externe Gifte („Miasmen“) verursacht;<br />

➤ Extreme Verdünnung erhöht die<br />

Wirksamkeit vorteilhafter Wirkungen und<br />

vermindert alle schädlichen Wirkungen<br />

(„Gesetz des unendlich Kleinen“);<br />

➤ „Verschütteln“ überträgt eine geheimnisvolle<br />

„vitale Energie“ von der Substanz<br />

auf das Lösungsmittel;<br />

➤ Wasser hat ein Gedächtnis.<br />

Keine dieser Ideen findet sich in einem<br />

aktuellen Lehrbuch der Chemie oder Physik,<br />

klar. Und niemandem gelang es in den vergangenen<br />

205 Jahren, dieses parawissenschaftliche<br />

Heilkonzept der „rituell-geistartigen<br />

Wirkungspotenzierung“ als funktionierend<br />

nachzuweisen. Niemandem – außer<br />

der Jufo-Gewinnerin aus Bersenbrück.<br />

Hat die damalige Gymnasiastin W. (die<br />

inzwischen ihr Abitur ablegte) tatsächlich<br />

im Alleingang die bislang geltenden, an<br />

Wie Esoterik- affin sind die<br />

Jurymitglieder des „Jugend forscht“-Wettbewerbs?<br />

16<br />

Fotos (2): Jugend forscht<br />

Jufo-Gewinnergala mit Bundespräsident<br />

und Forschungsministerin<br />

(oben); der Mainzer<br />

Neuro biologe und Jufo-Juror<br />

Carsten Duch (mitte) im Jahr<br />

2014 – damals mit weniger<br />

umstrittenen Siegerinnen.<br />

öffentlichen Schulen und Universitäten<br />

gelehrten Naturgesetze widerlegt? Aus<br />

naturwissenschaftlicher Sicht wäre dies<br />

in der Tat eine Sensation.<br />

Werfen wir einen Blick in die beim Jufo-Wettbewerb<br />

eingereichte Arbeit. W. hat<br />

laborjournal auf Anfrage eine Kopie der<br />

Versuchsauswertung zur Verfügung gestellt.<br />

Das 16-seitige Werk trägt den Titel<br />

Mit Homöo pathie zur Turbobiene – geht das?<br />

Homöopathische Bienenstudie<br />

W. wollte die Frage klären, wie sich (Zitat<br />

aus der Arbeit) „die Gabe von Homöopathika<br />

über das Bienenfutter auf die Vitalität<br />

und Widerstandsfähigkeit von Honigbienen<br />

gegen die Varroa milbe auswirkt“.<br />

Keine Frage: Das Thema „Varroamilbe“<br />

ist relevant. Varroa destructor lebt als Parasit<br />

im Inneren von Bienenstöcken beziehungsweise<br />

auf Bienen. Der Milbenbefall lässt die<br />

Bienen Gewicht, Lebenszeit und Lernfähigkeit<br />

verlieren. Zudem werden oft patho gene<br />

Viren übertragen. Die Parasiten entwickeln<br />

sich in der verdeckelten Bienenbrut und<br />

gelten als eine Hauptursache des Bienensterbens<br />

(„Colony Collapse Disorder“).<br />

Die Varroa-Bekämpfung erfolgte früher<br />

primär mit der chemischen Keule. Wegen<br />

zunehmender Resistenzprobleme gegenüber<br />

den dabei verwendeten Akariziden<br />

favorisieren viele Imker<br />

inzwischen organische<br />

Säuren (beispielsweise<br />

Ameisensäure) sowie<br />

bio logische Methoden.<br />

Die Begasung mit Säuren<br />

schädigt jedoch die Tracheen<br />

der adulten Tiere;<br />

bei mehrfacher Durchführung<br />

besonders die<br />

Königin.<br />

In ihrer „Jugend forscht“-Arbeit testete<br />

W. ein vermeintlich schonen deres Mittel:<br />

das Homöo pathikum T100. Sie positionierte<br />

sechs Bienenvölker nebeneinander<br />

im Gelände; drei erhielten täglich 10 ml<br />

eines Zuckerwasser-Homöo pathikum-<br />

Gemischs (bestehend aus 500 ml Wasser,<br />

250 g Zucker und 50 ml T100), drei reines<br />

Zuckerwasser. Alle vier Tage<br />

zählte W. die herausgefallenen<br />

toten Milben; alle zehn Tage wurden<br />

die Bienenvölker gewogen<br />

und durch Schleudern der jeweilige<br />

Honigertrag bestimmt. Diese<br />

drei Parameter (Milbenzahl,<br />

Lebendmasse, Ertrag) verwendete<br />

W. als Maß für die<br />

„Stärke“ des jeweiligen<br />

Bienenvolks.<br />

Nach einem Jahr<br />

Versuchsdauer dokumentierte<br />

W. folgende<br />

Messungen:<br />

➤ Die unbehandelten<br />

Bienenvölker wiesen<br />

eine 3,65-mal größere<br />

Anzahl an Milben auf<br />

als die mit dem Homöopathikum<br />

T100 behandelten Völker;<br />

➤ das Gewicht der Völker lasse keine<br />

Aussage zu (die Massen der sechs Völker<br />

veränderten sich weitgehend synchron);<br />

➤ der Honigertrag habe laut W. ebenfalls<br />

keine Aussagekraft (es fällt aber auf,<br />

dass die Jahreserträge quer durch die beiden<br />

Versuchsgruppen stark variierten, und<br />

dass ein unbehandeltes Volk mit 7,5 kg/<br />

Jahr sogar den zweithöchsten Ertrag aller<br />

sechs untersuchten Völker lieferte; starker<br />

Milbenbefall scheint zumindest bei diesem<br />

Volk keine Auswirkungen auf dessen „Vitalität“<br />

respektive Honigertrag zu haben).<br />

W. kam zu folgendem Ergebnis: „Die<br />

Auswertung der Daten lässt darauf schließen,<br />

dass sich das homöopathische Komplexpräparat<br />

T100 positiv auf die Widerstandsfähigkeit<br />

von Bienenvölkern gegen<br />

die Varroamilbe auswirken kann.“<br />

Schwächen und Ungereimtheiten<br />

Ist dieses freudige Fazit der Autorin<br />

gerechtfertigt?<br />

Ganz sicher nicht. Diese Studie weist<br />

mehr Schwächen und Ungereimtheiten<br />

auf, als Milben auf einer Varroa-befallenen<br />

Biene sitzen – selbst wenn man ihr zugute<br />

hält, dass es sich um das Projekt einer<br />

18-jährigen Schülerin handelt, und ignoriert,<br />

dass die untersuchte Zahl von sechs<br />

Völkern über ein Jahr hinweg natürlich viel<br />

zu gering beziehungsweise zu kurz ist, um<br />

statistisch irgend etwas auszusagen.<br />

<strong>11</strong>/20<strong>15</strong> Laborjournal

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