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Journal Club<br />

Stichwort des Monats<br />

Stoffwechsel-Aldehyde<br />

machen den Schmerz<br />

offenbar noch<br />

schlimmer.<br />

Reaktive<br />

Aldehyde<br />

Foto: www.dental99.com<br />

Wachen Sie öfter mit einem richtig<br />

heftigen Kater auf? Obwohl Sie gar nicht<br />

so viel getrunken haben? Dann haben<br />

Sie vielleicht ein ähnliches Problem wie<br />

rund ein Drittel der asiatischen Bevölkerung:<br />

Ein Lysin, wo eigentlich ein Glutamin<br />

hingehört, nämlich an Position 487<br />

der Aldehyd-Dehydrogenase-2 (ALDH2).<br />

Beim Abbau verliert Ethanol zwei Wasserstoff-Atome<br />

und verwandelt sich dabei in<br />

Acetaldehyd. Das wiederum wird normalerweise<br />

durch ALDH2 entsorgt, sofern<br />

man nicht die oben erwähnte dominante<br />

Genvariante mit sich herumschleppt. Selbst<br />

heterozygote Träger des Allels leiden unter<br />

einer 60- bis 80-prozentigen Einschränkung<br />

der Enzymaktivität und bekommen<br />

daher schon nach dem Genuss von wenig<br />

Alkohol einen ordentlichen Kater.<br />

Doch nicht nur fleißige Trinker sind<br />

mit Aldehyden konfrontiert, sondern jede<br />

atmende Zelle. Während die Mitochondrien<br />

Sauerstoff verbrauchen, fallen diverse<br />

toxische Substanzen an. Diese reaktiven<br />

Sauerstoffspezies peroxidieren unter anderem<br />

mehrfach ungesättigte Fettsäuren<br />

und erzeugen als Abbauprodukte Verbindungen<br />

wie Malondialdehyd, Acrolein<br />

oder 4-Hydroxynonenal. Diese reaktiven<br />

Aldehyde können an Proteine binden und<br />

deren Funktion beeinträchtigen. Auch die<br />

Zellen konsequenter Alkohol-Abstinenzler<br />

brauchen also Aldehyd-Dehydrogenasen<br />

wie ALDH2.<br />

Haarige Versuche<br />

Kein Wunder, dass reaktive Aldehyde<br />

mit Krebs, neurodegenerativen Erkrankungen<br />

und Autoimmunstörungen in Verbindung<br />

gebracht werden. In höheren Konzentrationen<br />

haben Aldehyde auch ganz akute<br />

Effekte. Injiziert man Nagern Formalin in<br />

die Pfote, so reagieren sie mit einer lokal<br />

erhöhten Schmerzempfindlichkeit. Da die<br />

Tiere keine Fragebögen ausfüllen können,<br />

ermittelt man den Grad der Schmerzempfindlichkeit<br />

durch Verhaltensexperimente<br />

wie den Von Frey Hair Test: Der Experimentator<br />

nimmt ein Haar und berührt damit<br />

32<br />

von unten durch ein Gitter die Pfote der<br />

Ratte, bis sich das Haar biegt. Jedes Von-<br />

Frey-Haar ist so genormt, dass es dabei eine<br />

definierte Kraft erzeugt. Zeigt die Ratte<br />

keine Reaktion, greift der Versuchsleiter<br />

zum nächststärkeren Haar, bis die Ratte<br />

die Pfote zurückzieht; dann kennt man die<br />

Schmerzschwelle.<br />

Dass injiziertes Formaldehyd lokal<br />

Schmerzen auslöst, ist nicht neu. Forscher<br />

um Daria Mochly-Rosen in Stanford haben<br />

sich aber gefragt, ob auch Aldehyde,<br />

die durch normale Stoffwechselprozesse<br />

entstehen, Schmerzen verstärken. Sie<br />

weisen darauf hin, dass man in der asiatischen<br />

Bevölkerung nicht nur öfter auf die<br />

nicht-funktionelle ALDH2-Variante stößt,<br />

sondern die Menschen dort als schmerzempfindlicher<br />

gelten. Vielleicht gebe es<br />

dafür ja nicht nur kulturelle, sondern auch<br />

physiologische Ursachen.<br />

Vor einigen Jahren haben Mochly-Rosen<br />

und Co. eine Substanz entwickelt, die<br />

die Aktivität von ALDH2 erhöht und damit<br />

den Abbau von Aldehyden verstärkt<br />

(Science 12: 1493-5). Alda-1 heißt das kleine<br />

Molekül.<br />

Betrunkene Mäuse<br />

Letztes Jahr wollten die Forscher<br />

dann wissen, ob die Aktivität von ALDH2<br />

die Schmerzregulation bei Entzündungen<br />

beeinträchtigt (Sci. Transl. Med. 27:<br />

251ra<strong>11</strong>8). Sie testeten transgene Mäuse,<br />

die heterozygot für das ALDH2*2-Allel<br />

waren – jene Variante, die mehr als einer<br />

halben Milliarde Menschen den Genuss<br />

alkoholischer Getränke madig macht. Um<br />

sicherzugehen, dass der Phänotyp der Tiere<br />

auch mit dem des Menschen vergleichbar<br />

ist, bekamen sie Alkohol; und tatsächlich<br />

waren die Acetaldehyd-Konzentrationen<br />

im Blut fünffach höher als in den Kontrolltieren.<br />

Bezüglich ihrer Schmerzempfindlichkeit<br />

gleichen sich Wildtyptiere und<br />

ALDH2*2-Mäuse zunächst. Das ändert<br />

sich, wenn man Carrageen in jeweils eine<br />

Hinterpfote injiziert. Carrageen löst eine<br />

Entzündungsreaktion aus, die Pfote wird<br />

schmerzempfindlicher. Somit reagieren<br />

auch die Wildtyp-Mäuse empfindlicher auf<br />

mechanische Reize gegen die betroffene<br />

Pfote. Noch sensibler aber sind die Tiere<br />

mit ALDH2*2-Allel. Außerdem wiesen die<br />

Forscher bei diesen Mäusen höhere Konzentrationen<br />

von 4-Hydroxynonenal nach.<br />

Verabreicht man den Mäusen aber Alda-1,<br />

steigt die Schmerzschwelle sowohl bei den<br />

Wildtypen als auch den heterozygoten Nagern<br />

wieder an; der ALDH2-Aktivator Alda-<br />

1 wirkt also schmerzlindernd.<br />

Neues Schmerzmittel?<br />

Vergleichbare Ergebnisse bekamen die<br />

Forscher auch im Rattenmodell: Alda-1 reduziert<br />

die Schmerzempfindlichkeit nach<br />

Carrageen-Injektion. Allerdings hat die<br />

Substanz keinen Einfluss auf die Schmerzschwelle<br />

unbehandelter Tiere ohne Entzündung.<br />

Die Wirkung von Alda-1 führen<br />

die Forscher aber nicht auf einen anti-inflammatorischen<br />

Effekt zurück. Denn auch<br />

in Alda-1-behandelten Tieren bleibt die<br />

Schwellung der Pfote erhalten; ebenso sind<br />

diverse Entzündungsmarker wie Chymase<br />

der Mastzellen und Neutrophil-Elastase<br />

vergleichbar hoch wie in Carrageen-Ratten<br />

ohne Alda-1-Gabe. Hingegen sank die<br />

Menge an EGR1-Protein im Rückenmark<br />

unter Alda-1 auf das normale Level ab,<br />

blieb aber in den Carrageen-Tieren erhöht,<br />

wenn sie kein Alda-1 erhielten. EGR1 sehen<br />

die Autoren als zentralnervösen Marker für<br />

erhöhte Schmerzempfindlichkeit.<br />

Gut möglich also, dass reaktive Aldehyde<br />

nicht bloß zelluläre Abfallprodukte sind,<br />

sondern bei Entzündungen die Schmerzempfindlichkeit<br />

modulieren – evolutionsbiologisch<br />

eine durchaus sinnvolle Funktion,<br />

denn schließlich sollte eine entzündete<br />

Pfote geschont und nicht belastet werden.<br />

Dann wären Aldehyde ein geeigneter Angriffspunkt<br />

für die Schmerztherapie, und<br />

Alda-1 ein Kandidat für ein künftiges Medikament.<br />

Vielleicht hilft das dann ja auch<br />

gegen Kater...<br />

Mario Rembold<br />

<strong>11</strong>/20<strong>15</strong> Laborjournal

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