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Editorial<br />

Kaum ein Begriff ist zuletzt von Forschungspolitikern und<br />

-funktionären so inflationär verwendet worden wie „Exzellenz“.<br />

So starteten etwa Bund und Länder vor zehn Jahren eine<br />

milliardenschwere gleichnamige Initiative zur Förderung von<br />

Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen. Was<br />

sie seitdem gebracht hat, kann man bisher kaum schlüssig<br />

beurteilen. Immerhin weist das „Times Higher Education World<br />

University Ranking 2014-<strong>15</strong>“ gleich neun deutsche Universitäten<br />

unter den hundert Top-Universitäten weltweit aus. Nie zuvor<br />

schafften es so viele in solch exzellente Höhen dieses Rankings.<br />

Und völlig klar, dass unsere Forschungspolitiker diese Entwicklung<br />

reflexartig als Erfolg der „Exzellenzinitiative“ verkaufen.<br />

Aber sind die entsprechenden Hochschulen jetzt tatsächlich<br />

„exzellent“? (Übrigens gelangten in den „Life Sciences“ nur<br />

noch vier deutsche Unis in die Top 100, in „Clinical, Pre-clinical<br />

& Health“ schrumpelte es gar runter auf zwei.)<br />

Doch nicht nur die Forschungspolitiker haben den Begriff<br />

„exzellent“ derart erfolgreich abgenutzt, dass er einem heute<br />

vorkommt wie ein Champagner-Etikett auf einer Sprudelflasche.<br />

Auch die Forscher selbst beteuern zunehmend gebetsmühlenartig,<br />

dass sie Anträge einzig nach dem Kriterium der „Scientific<br />

Excellence“ begutachten. Und ist dann am Ende alles, was gefördert<br />

wird, tatsächlich „exzellent“?<br />

Wohl kaum. Was sicher auch daran<br />

liegt, dass „Exzellenz“ so wenig griffig ist.<br />

Denn wann ist etwas „exzellent“, und ab<br />

wann nicht mehr? Wenn etwas nur ein<br />

wenig besser daherkommt als der große<br />

Rest – ist es deswegen gleich „exzellent“?<br />

Man könnte meinen, der Konstanzer<br />

Philosoph und Wissenschaftstheoretiker<br />

Jürgen Mittelstraß habe es so gesehen,<br />

als er vor <strong>15</strong> Jahren in einem Essay zum<br />

Thema schrieb: „Ist Wissenschaft möglich ohne Durchschnittlichkeit<br />

oder Mittelmaß? Vermutlich nicht. [...] Damit Exzellenz<br />

wirklich werden kann, muss viel Qualität gegeben sein; und<br />

damit Qualität wirklich werden kann, muss viel Mittelmaß<br />

gegeben sein. Allein Exzellenz, nichts anderes, wollen wäre<br />

nicht nur wirklichkeitsfremd, sondern für die Entstehungsbedingungen<br />

von Exzellenz vermutlich fatal – sie verlöre die wissenschaftliche<br />

Artenvielfalt, aus der sie wächst. [...] Es ist das breite<br />

Mittelmaß, das auch in der Wissenschaft das Gewohnte ist, und<br />

es ist die breite Qualität, die aus dem Mittelmaß wächst, die uns<br />

in der Wissenschaft am Ende auch die Exzellenz beschert.“<br />

Mittelstraß sieht „Exzellenz“ folglich an der Spitze einer<br />

Pyramide – direkt über der „Qualität“, die wiederum auf einem<br />

breiten Fundament aus „Durchschnittlichkeit“ und „Mittelmaß“<br />

sitzt. Doch geht es ihm schlussendlich gar nicht um die Spitze,<br />

sondern vielmehr um das Fundament. Denn bricht dieses weg,<br />

hat man auch keine Spitze mehr. Mittelstraß plädiert daher<br />

dafür, auch das Mittelmaß sorgfältig und breit zu pflegen – denn<br />

nur daraus könne „Exzellenz“ entstehen, wie auch immer sie<br />

sich manifestiere. Ausschließlich reine „Exzellenz“ zu fordern,<br />

sei dagegen töricht.<br />

Lassen wir den Begriff also mal beiseite und fragen vielmehr:<br />

Wie bekomme ich denn möglichst gute Forschung, Spitzenforschung<br />

gar? Mit viel Geld, das ich in aufwändige Wettbewerbe<br />

pumpe? Unserem Chefredakteur kommt bei diesem Thema<br />

immer wieder ein kurzer Aufsatz des finnischen Evolutionsökologen<br />

Juha Mehilä in den Sinn. Einige Abschnitte daraus:<br />

„Ein Charakteristikum kreativer Forschungsumgebungen<br />

ist, dass sie in der Regel recht klein sind und damit enge und<br />

intensive Interaktionen zwischen den Individuen fördern.<br />

Desweiteren nennen Beschreibungen kreativer Forschungsumfelder<br />

immer wieder die Bedeutung der sogenannten ‚kollektiven<br />

Kreativität‘. Diese entsteht als emergente Eigenschaft aus<br />

den Wechselwirkungen von Personen mit unterschiedlichen<br />

Fähigkeiten, Ansichten und Ideen innerhalb eines informellen<br />

Forschungsnetzwerks. Solche informellen Forschungsnetzwerke<br />

stehen übrigens in scharfem Kontrast zu bürokratischen Organisationen,<br />

die vor allem Wiederholbarkeit und Vorhersagbarkeit<br />

schätzen – und daher Kreativität wegen ihrer Unberechenbarkeit<br />

eher hemmen. Hierarchiefreie, ungezwungene<br />

Wechselwirkungen scheinen<br />

folglich wesentliche Bestandteile für die<br />

Gestaltung kreativer Forschungsumgebungen<br />

zu sein.<br />

Ein interessantes Merkmal kreativer<br />

Forschungsumgebungen ist jedoch, dass<br />

man die Gründe für ihr Entstehen zumindest<br />

teilweise erkennt und versteht – dass<br />

es aber viel schwieriger ist, die Ursachen<br />

für entsprechende Misserfolge zu verstehen.<br />

Mit anderen Worten, es gibt ein ‚Unsichtbarkeitsproblem‘:<br />

Während wir von den positiven Beispielen lernen können, sind<br />

die negativen – wenn also alle notwendigen Bestandteile vorhanden<br />

waren, aber dennoch ‚nichts Besonderes‘ entstand – viel<br />

schwerer zu durchdringen. Der Erfolg hängt also offenbar nicht<br />

nur vom Zugang zu den notwendigen Ressourcen ab – ob materieller<br />

oder immaterieller Art –, sondern auch von der Abwesenheit<br />

gewisser Hindernisse. Wenn wir daher versuchen, kreative<br />

Forschungsumgebungen zu gestalten, scheint die Identifikation<br />

solcher Hindernisse ebenso wichtig zu sein wie die Ermittlung<br />

der begünstigenden Faktoren – wenn nicht sogar wichtiger.<br />

Denn wie wir alle wissen, sind empfindliche Geräte schwer zu<br />

bauen, aber sehr leicht kaputt zu machen.“<br />

War es nicht so, dass für die „Exzellenzinitiative“ enorme<br />

zusätzliche Verwaltungskapazitäten geschaffen werden mussten...?<br />

Die Redaktion<br />

Laborjournal <strong>11</strong>/20<strong>15</strong><br />

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