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Was der Mensch von Pilzen lernen kann<br />

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SPIEGEL ONLINE: Herr Hofrichter, viele unterschätzen Pilze, weil sie nur ei<br />

nen winzigen Teil von ihnen sehen können. Was ist mit denn mit dem Rest?<br />

Hofrichter: Was wir sehen, sind nur ihre Fruchtkörper. In der Realität sind Pilze viel mehr<br />

als das - geheimnisvolle Fadenwesen, die im Verborgenen unter der Erde leben. In einem<br />

Kubikmeter Waldboden können Hunderte Kilometer Pilzfäden vorkommen. Dort findet<br />

ein reger Tauschhandel statt: Die Pilze geben fast alle Mineralien, die sie im Boden finden,<br />

an die umliegenden Pflanzen ab. Im Gegenzug versorgen die Bäume sie mit Zucker, damit<br />

sie wachsen können. Bäume können bis zu ein Fünftel ihres Zuckers an Pilze weitergeben.<br />

SPIEGEL ONLINE: Nicht immer geht es so friedlich zu. Pilze können auch anders.<br />

Hofrichter: Das stimmt. Neben dem Boden können Pilze auch in Pflanzen und Lebewesen<br />

gedeihen - im besten Fall nach ihrem Tod, im schlimmsten Fall aber auch in lebenden. Im<br />

Regenwald gibt es etwa parasitische Pilze, die Ameisen befallen und sie dazu bringen, wie<br />

Zombies auf Pflanzen zu klettern. Dort beißen sich die Insekten in etwa 25 Zentimeter<br />

Höhe fest - perfekte Bedingungen für den Pilz. Nachdem die Ameise durch einen Giftcocktail<br />

gestorben ist, lässt der Pilz seine Fäden aus ihrem Körper wachsen. Die nächsten<br />

Tage ernährt er sich von den inneren Organen des Tieres, bis sein Fruchtkörper reif ist und<br />

seine Sporen auf der Suche nach einem neuen Opfer auf den Waldboden rieseln.<br />

SPIEGEL ONLINE: Pilze sind eine ganz eigene Lebensform, weder Pflanze noch Tier.<br />

Warum das?<br />

Hofrichter: Pilze können anders als Pflanzen keine Photosynthese betreiben, sie müssen<br />

fressen. Dadurch stehen sie den Tieren sogar näher als den Pflanzen. Anders als Tiere<br />

fressen sie allerdings nicht mit Zähnen oder mit dem Mund. Stattdessen zersetzen sie ihre<br />

Nahrung mit Enzymen. Mit ihrer Hilfe können sie - je nach Art - annähernd jeden Stoff auf<br />

der Welt zerlegen. Forscher haben mittlerweile im Amazonas sogar einen Pilz gefunden,<br />

der Polyurethan frisst, einen Kunststoff.<br />

SPIEGEL ONLINE: Diese Eigenschaft machen sich Menschen zunutze, um verschmutzte<br />

Böden zu heilen. Wie funktioniert das?<br />

Hofrichter: Wenn zum Beispiel Industrieanlagen vergiftete Böden hinterlassen, bringt man<br />

bestimmte Pilze aus, die kreuz und quer durch den Boden wachsen. Die Pilze zerlegen das<br />

Gift oder bauen es in ihre Fäden ein. Dadurch wird es so gut gebunden, dass es nicht mehr<br />

schaden kann. Nach einem Jahr kann man auf den Böden wieder Salat anbauen oder einen<br />

Kinderspielplatz eröffnen. Experten sprechen von Bioremediation. Sogar Radioaktivität<br />

können Pilze verwerten, wie Beobachtungen in Tschernobyl gezeigt haben.

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