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SOCIETY 384

The latest issue of SOCIETY features Türkiye and Indonesia, as well as the late politician Henry Kissinger, an interview with Olga Stefanishyna and interviews with the Ambassadors of Kazakhstan, the Netherlands, Philippines, Slovakia and Thailand.

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GASTBEITRAG<br />

EMIL BRIX<br />

Diplomatie in einer<br />

Zeitenwende<br />

In seinem Beitrag beschäftigt sich Gastautor Emil Brix mit der neuen<br />

Rolle der Staaten des früheren „Ostblocks“ in Bezug auf den russischen<br />

Angriffskrieg in der Ukraine.<br />

162<br />

H<br />

at die Diplomatie schon wieder<br />

versagt? Der Krieg zwischen Israel<br />

und der Terrororganisation Hamas<br />

beherrscht derzeit zurecht unsere<br />

Medien. Es geschehen vor unser aller<br />

Augen humanitäre Katastrophen. Und<br />

Diplomatie ist dabei nicht machtlos,<br />

aber in existenziellen Fragen gilt oft der<br />

Krieg als legitime Fortsetzung der Politik<br />

mit anderen Mitteln. Haben wir das<br />

in Europa nicht schon aus dem noch<br />

immer wütenden russischen Krieg<br />

gegen die Ukraine gelernt? Auch in diesem<br />

Krieg suchen wir (in Europa) noch<br />

immer erfolglos nach diplomatischen<br />

Lösungen.<br />

Mit dem Beginn des russischen<br />

Angriffskrieges auf den mitteleuropäischen<br />

Nachbarstaat Ukraine am 24.<br />

rus, fühlten sich in einer neuen mitteleuropäischen<br />

Situation. In vielerlei Hinsicht<br />

blieben sie Peripherie zwischen<br />

der EU und Russland, aber sie konnten<br />

zumindest ihre nationale Identität<br />

entwickeln. Mitteleuropa war auf der<br />

Landkarte nach Osten gerückt und das<br />

Band mitteleuropäischer Staaten vom<br />

baltischen Raum über die „Visegradstaaten“<br />

bis zu Rumänien und Bulgarien<br />

wurden in der EU zur östlichen<br />

Peripherie des „Westens“. Für diese<br />

Staaten ging es um die Anpassung an<br />

das Normen- und Regelwerk einer weiterhin<br />

westeuropäisch geprägten Europäischen<br />

Union. Sie erhielten innerhalb<br />

dieser Union wenig Aufmerksamkeit<br />

und kaum Führungs- und Gestaltungs-<br />

Chancen für diese Staaten geändert,<br />

weil ganz Mitteleuropa durch die Aktionen<br />

Russlands von der Peripherie zu<br />

den Frontstaaten einer Zeitenwende<br />

wird. Diese „neuen“ EU-Staaten hatten<br />

seit langem vor der imperialistischen<br />

Politik der russischen Führung gewarnt<br />

und sicherheitspolitische Naivität und<br />

energiepolitische Abhängigkeit in der<br />

EU kritisiert.<br />

Wenn der deutsche Bundeskanzler<br />

Olaf Scholz nur wenige Tage nach<br />

dem Beginn des russischen Angriffskrieges<br />

von einer Zeitenwende sprach,<br />

so gilt dies für die gesamte europäische<br />

Sicherheitspolitik, aber es gilt<br />

auch für die neue Bedeutung der Mitte<br />

Europas für die Eindämmung eines<br />

„Tatsächlich wird die Zukunft des<br />

europäischen Integrationsprozesses<br />

vom Gelingen der auch mentalen<br />

Integration dieser immer noch als<br />

,Osten‘ abqualifizierten<br />

Region abhängen.“<br />

Februar 2022 ist die erhoffte Etablierung<br />

einer demokratisch organisierten<br />

stabilen europäischen politischen<br />

Architektur für den gesamten Kontinent<br />

für lange Zeit gescheitert. Seit<br />

dem Ende der ideologischen Ost-West-<br />

Teilung Europas wurden die meisten<br />

mitteleuropäischen Staaten in den<br />

letzten drei Jahrzehnten Teil der Europäischen<br />

Union und auch für die sechs<br />

Staaten des Weltbalkans besteht die<br />

realistische Perspektive einer EU-Mitgliedschaft.<br />

Auch Staaten wie die Ukraine, die<br />

Republik Moldau und Georgien, ja<br />

selbst das diktatorisch regierte Bela-<br />

macht angeboten. Wenn konservative<br />

Regierungen in Polen und Ungarn<br />

für Verletzungen von Demokratie und<br />

Rechtsstaatlichkeit kritisiert wurden,<br />

war die Antwort oft, dass man nicht<br />

das Joch der kommunistischen Sowjetunion<br />

abgeschüttelt habe, um nun<br />

von der EU-Kommission in Brüssel<br />

regiert zu werden.<br />

Tatsächlich wird die Zukunft des<br />

europäischen Integrationsprozesses<br />

vom Gelingen der auch mentalen Integration<br />

dieser immer noch als „Osten“<br />

abqualifizierten Region abhängen. Der<br />

russische Angriffskrieg in der Ukraine<br />

hat die Voraussetzungen und auch die<br />

russischen Imperialismus, von dem<br />

die Europäer nur hoffen können, dass<br />

er nicht dauerhaft zu einer neuen<br />

auch ideologischen Frontlinie quer<br />

durch Europa führen wird. Es ist nicht<br />

überraschend, dass gerade Polen die<br />

größte Zahl an ukrainischen Vertriebenen<br />

aufgenommen hat, in Europa die<br />

größte humanitäre und militärische<br />

Hilfe leistet, und am deutlichsten die<br />

transatlantische Partnerschaft weiter<br />

verstärken möchte. Und dieser größte<br />

mitteleuropäische Staat ist nach den<br />

jüngsten Parlamentswahlen am Wege<br />

in Europa wieder eine stärkere Rolle<br />

einzunehmen.<br />

Foto/s © Diplomatische Akademie Wien/Peter Lechner<br />

THE LEADING MAGAZINE OF MODERN DIPLOMACY

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