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GzD04-Notruf

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‹ Redaktion › deutsch<br />

VERSTÄRKUNGSEINSÄTZE AN DER SÜDGRENZE<br />

Die angespannte Situation hat dazu geführt, dass einerseits das<br />

Stammpersonal der südlichen Regionen entsprechend der Lage<br />

disponiert wurde. Andererseits wurden zusätzliche Mitarbeitende<br />

aus anderen Regionen an die Südgrenze verlegt. So leisten<br />

rund 20 Grenzwächterinnen und Grenzwächter aus anderen<br />

Landesteilen Dienst mit den aktuell 310 Tessiner Kolleginnen<br />

und Kollegen. Je nach Situation können die Verstärkungseinsätze<br />

weiter ausgebaut werden. Sollte in Zukunft noch eine weitere,<br />

markante Verstärkung von einzelnen Grenzabschnitten nötig<br />

sein, wird dies aufgrund der knappen Ressourcen aber Folgen<br />

haben. So müssten in den betroffenen Regionen, die Personal<br />

abkommandieren, allenfalls Zolldienstleistungen reduziert werden.<br />

Doch reichen diese aktuellen Verstärkungsmassnahmen<br />

aus? «Ja, wir arbeiten mit den Mitteln, die uns zur Verfügung<br />

stehen», sagt Patrick Benz, und ergänzt: «Wie in anderen Bereichen<br />

auch, ist für einen erfolgreichen Einsatz vor allem die<br />

Information und der zielgerichtete Einsatz des Personals wichtig.<br />

Feststellungen an der Grenze und im Grenzraum werden einerseits<br />

durch regionale Nachrichtenverantwortliche aufbereitet<br />

und an das «Lage- und Nachrichtenzentrum» (LNZ) in Bern<br />

weitergeleitet. Ausserdem erhält der Fachbereich Migration von<br />

verschiedensten in- und ausländischen Partnerbehörden spezifische<br />

Informationen. Der Fachbereich Migration wertet diese aus<br />

und macht diese den Mitarbeitenden und anderen betroffenen<br />

Stellen zugänglich. Dazu kommt, dass das GWK mit Verbindungsleuten<br />

beim Staatsekretariat für Migration, vor Ort ist».<br />

Schlepper reagieren<br />

Die Einsätze des GWK erfolgen, auch im Bereich Migration,<br />

aufgrund von Lagebildern, verschiedenen Informationen<br />

und sogenannten Risikoprofilen. Nur so können zielführende<br />

Schwergewichtsbildungen mit Personal und Einsatzmitteln<br />

durchgeführt werden. Bis September dieses Jahres wurden 48%<br />

(9371) aller rechtswidrigen Aufenthalter im Tessin festgestellt,<br />

gefolgt von 20% (3880) an der Südgrenze im Wallis. Die meisten<br />

Patrick Benz im Gespräch<br />

von ihnen sind via Chiasso bzw. Brig eingereist und dies grösstenteils<br />

mit der Bahn. «Diese Feststellungen haben natürlich<br />

Auswirkungen darauf, wie und wo wir Kontrollschwergewichte<br />

setzen.» Und wie sieht es bei den Schleppern aus? «Diese sind<br />

zurzeit vor allem im Strassenverkehr unterwegs und benutzen<br />

sowohl besetzte Grenzübergänge, wo sie hoffen, in der Masse<br />

der Fahrzeuge unterzugehen, aber auch unbesetzte Grenzübergänge»,<br />

so Benz. So hat das GWK bis September 2015 rund<br />

77% der Schlepper im Strassenverkehr aufgegriffen. Doch wie<br />

reagiert die «Gegenseite» auf die Kontrolltätigkeit des GWK?<br />

Benz gibt zu: «Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Im Bereich der<br />

Migration stellen wir regional eine leichte Ausweichtendenz auf<br />

andere Verkehrsarten wie grenzüberschreitende Busse und Cars<br />

fest. Und international eine Verlagerung von der Mittelmeerauf<br />

die Balkanroute». So nutzen immer mehr Migranten und<br />

Schlepper die Route über die Türkei, Griechenland und Serbien,<br />

um via Ungarn nach Mittel- und Nordeuropa zu gelangen.<br />

Aber aufgrund der Masse der Menschen, die zurzeit unterwegs<br />

sind, sind die Tendenzen noch nicht eindeutig. Auch die Schleuser<br />

sind vorsichtiger geworden und vermeiden es mehrheitlich,<br />

die geschleppten Personen selbst zu begleiten. Gerade bei den<br />

Schleppern stellt sich aber die Frage, was die Bekämpfung für<br />

einen Zweck hat. Verhindern Festnahmen von mutmasslichen<br />

Schleppern die irreguläre Migration? Wäre das Problem damit<br />

gelöst? «Nein», sagt Benz. Und er führt aus, dass die Bekämpfung<br />

des Schlepperwesens in erster Linie in Zusammenhang mit<br />

der Bekämpfung einer Straftat steht und nicht ausschliesslich mit<br />

der Verhinderung der Migration. Und er ergänzt: «Menschen<br />

flüchten vor Krieg, Armut oder Perspektivlosigkeit und nicht<br />

wegen Schleppern». Aber er präzisiert: «Schlepper sind Kriminelle,<br />

welche die Notlage von Flüchtlingen ausnutzen, um Profit<br />

daraus zu schlagen. Sie verstossen gegen die Schweizer Gesetzgebung,<br />

unabhängig davon, warum sich eine geschleppte Person<br />

entschieden hat, ihre Heimat zu verlassen und sich an Schlepper<br />

auszuliefern.»<br />

Benz weiss aus Ermittlungen von Justizbehörden, dass<br />

Schlepperorganisationen ohne weiteres bis zu 100000 Euro im<br />

Monat mit ihrem Gewerbe verdienen können. Unlängst wurde<br />

in den italienischen Medien berichtet, dass auch die organisierte<br />

Kriminalität am Geschäft mit der Not von Migranten kräftig<br />

mitverdient. Aber auch im kleinen Rahmen nutzen Personen die<br />

Notlage und das Unwissen von Migranten aus. So bieten Personen<br />

zum Beispiel am Bahnhof von Mailand ortsunkundigen<br />

Migranten ihre angebliche Hilfe an, lösen ein Ticket und erklären<br />

den Weg in die Schweiz. Benz hat bei seinen Einsätzen in<br />

Chiasso schon viele solcher Bahntickets gesehen. «Eine Reise in<br />

der 2. Klasse von Mailand nach Chiasso kostet rund 20 Euro. Die<br />

Personen an den Bahnhöfen, die den Migranten ihre «Dienstleistung»<br />

anbieten, verlangen aber oft ein Vielfaches.»<br />

AUS ALLER HERREN LÄNDER<br />

Viel ist zurzeit die Rede vom Bürgerkrieg in Syrien, der in dieser<br />

Region eine Schneise der Zerstörung geschlagen hat. Hunderttausende<br />

Syrer sind als Flüchtlinge vor allem in den umliegenden<br />

Ländern untergebracht. An der Schweizer Südgrenze sind die<br />

Syrer noch nicht so stark in Erscheinung getreten. Die regionale<br />

GWK-Statistik zu den festgestellten rechtswidrigen Aufenthaltern<br />

im Tessin zeigt: An der Spitze stehen afrikanische Nationen<br />

deutsch ‹ Redaktion ›<br />

Mobile Patrouille im<br />

Grenzraum von Chiasso<br />

(Foto Roland Schmid)<br />

wie Eritrea, Gambia, Somalia, Nigeria und Senegal. Über die<br />

ganze Schweiz stehen die Eritreer ebenfalls an der Spitze, auf<br />

Platz 10 Syrer.<br />

Bei den Schleppern sieht es anders aus. An der Spitze stehen<br />

Staatsangehörige aus Kosovo, der Schweiz, Eritrea, Somalia,<br />

Serbien, Syrien, Türkei, Pakistan, Irak und Deutschland. Doch<br />

wieso Kosovo? Patrick Benz: «Dies steht in Zusammenhang mit<br />

dem Exodus der Kosovaren, der Ende 2014 begann und den wir<br />

ab November/Dezember 2014 vor allem an der Nord- und Ostgrenze<br />

festgestellt haben.» Viele der Schlepper würden aus dem<br />

gleichen Kulturkreis wie die geschleppten Personen stammen.<br />

Teilweise besässen sie auch bereits die Staatsangehörigkeit eines<br />

EU- oder EFTA-Staates. Die Gründe dafür seien praktischer<br />

Natur, beispielsweise die Kommunikation oder Beziehungen<br />

zum Herkunftsland. Das wiederum erschwere auch die Ermittlungen<br />

gegen Schlepper. Übrigens sei mit der Einführung<br />

des 48-Stunden-Asylverfahrens durch das Staatssekretariat für<br />

Migration (SEM), unter anderem auch für Kosovaren, die Motivation<br />

für diese Personen, in die Schweiz zu reisen und hier ein<br />

Asylgesuch zu stellen, gesunken.<br />

FLEXIBLE GRENZWÄCHTER<br />

Immer wieder zeigt sich, wie flexibel Grenzwächterinnen und<br />

Grenzwächter sein müssen. «Ich habe grössten Respekt vor der<br />

Arbeit unserer Mitarbeitenden, die, insbesondere an der Südgrenze,<br />

jeden Tag mit dem Migrationsdruck aus dem Süden und<br />

vielen menschlichen Schicksalen konfrontiert sind», sagt Benz.<br />

Aus einer alltäglichen Kontrollsituation beim Grenzwachtposten<br />

des Bahnhofs in Chiasso berichtet Benz: «Da kommt es<br />

nicht selten vor, dass ein Grenzwächter nach der Kontrolle von<br />

Migranten an der Kasse noch bei Einkaufstouristen die Einfuhrabgaben<br />

abrechnen muss. Auch das gehört zu den Aufgaben<br />

von Grenzwächtern.»<br />

AGGRESSIVE SCHLEPPER<br />

Die Kontrollen bei den allermeisten Migranten verlaufen problemlos.<br />

Drogen, Waffen oder gefälschte Ausweise finden die<br />

Grenzwächter bei ihnen selten. Meistens haben sie ausser einem<br />

Bahnticket und ein wenig Geld nicht viel dabei. Auch würden<br />

sie nur in sehr seltenen Fällen Widerstand leisten, sagt Patrick<br />

Benz. Bei den Schleppern hingegen sieht es anders aus. «Hier ist<br />

das Gewaltpotential und die Gefahr um ein Vielfaches höher.»<br />

Wurden 2010 noch 154 Fälle von Gewalt gegen Angehörige des<br />

GWK registriert, waren es im letzten Jahr bereits 274 Fälle.<br />

Die meisten Migranten haben einen weiten und beschwerlichen<br />

Weg hinter sich und sind gezeichnet von ihren Erlebnissen.<br />

Wie gehen Grenzwächterinnen und Grenzwächter mit solchen<br />

Situationen um? Patrick Benz: «Uns ist bewusst, dass viele dieser<br />

Menschen in Zusammenhang mit Uniformen traumatische<br />

Erlebnisse hatten. Dies berücksichtigen wir, wenn Personen<br />

abwehrend auf uns reagieren oder verängstigt wirken.» An den<br />

Wänden des Grenzwachtpostens «Chiasso Stazione» sind auch<br />

Bilder und Texte in verschiedenen Sprachen angebracht, die erklären,<br />

dass sich die Personen auf Schweizer Staatsgebiet befinden.<br />

Allein diese Tatsache beruhige viele.<br />

Immer wieder treffen die Grenzwächter auch auf Menschen<br />

mit Krankheiten: «Es kommt vor, dass Migrantinnen und Migranten<br />

von der Krätze befallen sind, und wir hatten auch schon Fälle<br />

von Tuberkulose.» Darum tragen die Grenzwächterinnen und<br />

Grenzwächter bei ihren Kontrollen immer Handschuhe. Bei Verdacht<br />

auf ansteckende Krankheiten werden die Betroffenen von<br />

den übrigen Personen getrennt und es wird umgehend medizinisches<br />

Personal angefordert. Zudem ist jeder Grenzwachtposten<br />

mit Schutz- und Hygieneanzügen ausgerüstet.<br />

Grenzwachtoffizier Patrick Benz räumt im Zusammenhang<br />

mit Migranten auch mit einem Klischee auf: «Längst nicht alle<br />

sind Analphabeten. Vor allem Menschen aus dem Nahen Osten<br />

stammen oft aus dem Mittelstand und haben einen guten<br />

schulischen und beruflichen Hintergrund.» So schlagen sich die<br />

meisten mit Englisch, Französisch oder Italienisch durch und<br />

sonst sprichwörtlich mit Händen und Füssen. Fragebögen, die<br />

alle Ankommenden ausfüllen müssen, stehen in den häufigsten<br />

Sprachen zur Verfügung. Wie schätzt Benz die aktuellen Migrationsströme<br />

ein? «Wir waren schon in der Vergangenheit mit<br />

Migrationsströmen konfrontiert. Ich erinnere an die Flüchtlingssituation<br />

in den 1980er- und 1990er-Jahren, als die Bürgerkriege<br />

in Sri Lanka und in Ex-Jugoslawien grosse Migrationsbewegungen<br />

ausgelösten.»<br />

WIE WEITER?<br />

Auch bei der aktuellen Migrationswelle erfüllen die Grenzwächterinnen<br />

und Grenzwächter ihren Auftrag. Dieser besteht in<br />

erster Linie darin, rechtswidrige Aufenthalte festzustellen und<br />

Schlepper festzunehmen. Die Schlepper werden für die weiteren<br />

Ermittlungen den zuständigen kantonalen Polizeibehörden<br />

übergeben. Rechtswidrige Aufenthalter werden, sofern sie<br />

ein Asylgesuch stellen, den Empfangs- und Verfahrenszentren<br />

(EVZ) des SEM zugewiesen. Falls sie kein Asyl in der Schweiz<br />

beantragen, werden sie weggewiesen. Werden bei den Betroffenen<br />

Drogen, Waffen oder gefälschte Ausweise entdeckt, erfolgt<br />

in jedem Fall eine Übergabe an die Polizei.<br />

Alle rechtswidrigen Aufenthalter, ob sie nun Asylsuchende<br />

sind oder auf der Durchreise, und alle Schlepper, werden aber<br />

von den Grenzwächterinnen und Grenzwächter in jedem Fall<br />

eingehend kontrolliert und falls nötig registriert. z<br />

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