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Titelthema: Bartagamen

Forschung Auch

Forschung Auch Feuersalamanderlarven dienten Marie von Chauvin als Versuchstiere. Ihre Experimente, die Tiere in Axolotl-artige Dauerlarven zu verwandeln, scheiterten jedoch. Foto: W. Halla Auch 100 Jahre nach Marie von Chauvins Tod gehören Feuersalamander zu den häufigsten Amphibien im Freiburger Stadtteil Littenweiler, in dem sie zuletzt lebte Foto: W. Halla die Tiere künstlich in einem Zustand der Schwebe zwischen den beiden Formen halten ließen. Sie versuchte, dies durch ein zweimal tägliches Umsetzen der Tiere zu erreichen. Tagsüber hielt sie sie in feuchtem Moos, nachts im Wasser. Während der ersten Experimentalreihen hatte sie beobachtet, dass eine Metamorphose ab einem gewissen Zeitpunkt, nämlich nach einer ersten Häutung an Land, nicht mehr aufzuhalten war. Mit dieser Methode gelang es ihr, einen Salamander über 15 Monate zu pflegen, der seine Kiemen und seinen Schwanzsaum zwar zurückgebildet hatte, sich aber nicht häutete. Nach 15 Monaten zwang sie ihn zurück ins Wasser, wo er wieder alle Merkmale eines neotenen Axolotls ausbildete. Bei vier weiteren Tieren konnte sie diesen Zwischenzustand sogar über drei Jahre aufrechterhalten! Diese brutal anmutenden Versuche beweisen aus heutiger Sicht einmal mehr, wie zäh und anpassungsfähig Axolotl sein können. Die langen Zeiträume der Haltung in Moos zeigen auch, wie wichtig die Atmung atmosphärischer Luft über Haut und Lungen auch für wasserlebende Axolotl ist. Basierend auf all ihren Beobachtungen kam Marie von Chauvin am Ende ihrer drei Experimentalreihen zu dem Schluss, dass in jedem Axolotl, durch Vererbung, ein Trieb zur Fortentwicklung in einen Landsalamander schlummert und dass dieser durch Umweltbedingungen, wie beispielsweise sauerstoffreiches Umgebungswasser, unterdrückt wird. Ihre unterschiedlichen Versuche hatten nach ihrer Meinung genau diesen Trieb angestoßen (Chauvin 1885). ein, in dem die Salamander freiwillig das Wasser aufsuchen und ihre Eier, ganz wie von den Axolotln bekannt, ablegen konnten. Aus den Eiern entwickelten sich gesunde Larven. Anders als August Weismann ging Marie von Chauvin davon aus, dass die so entstandenen Larven eine größere Neigung zur Metamorphose haben mussten. Um dies zu überprüfen, hielt sie 20 der Larven in einem kühlen und sauerstoffreichen Medium, in dem sich „normale“ Axolotl nach ihrer Erfahrung niemals umgewandelt hätten. Als nach einem Jahr trotzdem alle 20 Axolotl eine spontane Metamorphose durchliefen, sah sie ihre Vermutung bestätigt. Die bisher geschilderten Versuche hatten für Marie von Chauvin bewiesen, dass es bei der Verwandlung der Tiere ein großes Maß an Individualität und Plastizität gab. Dies wollte sie in ihrer dritten Reihe näher erforschen. Ihr Ziel war es, herauszufinden, ob sich Landformen experimentell auch wieder in Axolotl zurückverwandeln ließen und ob sich Eine Frage der Hormone So plausibel ihre Schlussfolgerungen auch heute noch klingen – sie scheinen den modernen Forschungsergebnissen zur Physiologie und Metamorphose des Axolotls zu widersprechen. Gut 20 Jahre nach ihren Versuchen begann man die Rolle des Schilddrüsenhormons Thyroxin auf die Metamorphose der Amphibien zu erforschen. Auch der Axolotl produziert dieses Hormon. Die Menge bleibt aber immer unter einem gewissen Schwellenwert, sodass es unter natürlichen Bedingungen 58

Forschung nicht mehr zu einer kompletten Metamorphose kommt. Unterschiedliche Organsysteme reagieren aber weiterhin sensibel auf das Hormon. Einige Gewebe, wie die der Geschlechtsorgane, können sich daher auch im Larvenstadium ausbilden. Durch eine künstliche Verabreichung einer höheren Thyroxin-Dosis lässt sich auch eine vollständige Verwandlung zum Landsalamander anstoßen, denn die relevanten Organe haben ihre Hormonsensibilität nicht komplett verloren (Wistuba 2011). Man spricht daher von Diese brutal anmutenden Versuche beweisen einmal mehr, wie zäh und anpassungsfähig Axolotl sein können einer induzierbar obligaten Neotenie. Gleichzeitig bedeutet dies aber, dass sich ein Axolotl eigentlich niemals spontan umwandeln kann, wie dies von August Duméril, Marie von Chauvin und später von Wolfgang Böhme (Böhme 2000) beobachtet wurde. Mögliche Erklärungen für dieses seltene und spontane Phänomen wären entweder eine krankhafte Veränderung der Schilddrüse, eine Rückmutation innerhalb eines für die Hormonsteuerung verantwortlichen Gens oder eine unbemerkte Kontamination des Aquarienwassers mit Schilddrüsenhormonen. Ein Einfluss von Umweltfaktoren, wie dem von Marie von Chauvin ausgeführten Absenken des Wasserspiegels, hat nach heutigem Wissensstand aber auf dieses hormonelle System keinen Einfluss. Joachim Wistuba (Wistuba 2011) hielt es daher sogar für ausgeschlossen, dass Marie von Chauvin überhaupt Axolotl für ihre Versuche genutzt hatte! Er ging davon aus, dass es sich um andere Ambystoma-Arten gehandelt haben musste, die auch in ihrem natürlichen Lebensraum lediglich fakultativ neoten vorkommen. Die direkte Abstammung der Freiburger Tiere vom Erstimport nach Paris spricht allerdings sehr wohl dafür, dass es sich um „echte“ Axolotl gehandelt hatte. Und auch die detaillierten morphologischen Beschreibungen von Marie von Chauvin weisen eindeutig auf Ambystoma mexicanum hin. Letztlich könnte nur eine Untersuchung präparierter Belegexemplare aus der Zucht von Marie von Chauvin hier Aufschluss geben. Obwohl der Axolotl in Hinblick auf seine Physiologie und Genetik heute das mit Abstand am besten untersuchte Amphib überhaupt ist, scheint seine Verwandlung also bis heute noch ungeklärte Facetten zu haben. Die subalpine Landschaft des Südschwarzwalds – hier ein Blick vom Feldberg auf den Schauinsland – war das Ziel eines Freilandexperiments von Marie von Chauvin. 1876 setzte sie dort 70 Alpensalamander aus. Foto: P. Geißler 59

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