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Titelthema: Bartagamen

Forschung

Forschung Sammlungsexemplare in der Zoologischen Staatssammlung in München belegen, dass auch die in Freiburg heute sehr seltene Geburtshelferkröte von Marie von Chauvin gehalten wurde Foto: P. Geißler hielt sie die Tiere ganzjährig bei möglichst konstanten Temperaturen zwischen 7 und 12 °C in völliger Dunkelheit. Das machte das tägliche Wasserwechseln und natürlich die Beobachtung der Tiere bei Kerzenschein zu einer großen Herausforderung. Um die Reinheit und einen idealen Sauerstoffgehalt zu gewährleisten, filterte sie das Wasser durch eine Sandschicht. Ihre Erfahrung bei der Haltung anderer Amphibien half ihr, die richtige Nahrung für die Tiere zu finden. Regenwürmer und Kaulquappen erwiesen sich als erfolgreiches Ersatzfutter. Die aufwändige Pflege zeigte schon nach einem Jahr Erfolg. Eines der Tiere wurde deutlich agiler, veränderte die Färbung und bekam eine deutliche Kloakenschwellung. Die „Brünstigkeit“ dieses potentiellen Männchens verschwand jedoch nach einigen Wochen wieder. Auch bei einigen weiblichen Tieren konnte sie temporäre „Paarungslust“ beobachten, die sich insbesondere durch eine gesteigerte Gefräßigkeit und größere Leibesfülle aufgrund der gefüllten Ovarien bemerkbar machte. Leider ebbte auch hier die „Paarungslust“ immer wieder ab, ohne dass eines der Männchen parallel in Paarungsstimmung kam. Nach vier Jahren war es dann endlich soweit. Marie von Chauvin konnte ein Paar in ein eigens eingerichtetes, 142 Liter fassendes Fortpflanzungsbecken umsetzen. Nun folgte – unter Kerzenschein – die erste jemals gemachte Beobachtung des Fortpflanzungsverhaltens des Grottenolms. Beide Tiere hielten sich zusammen in einer kleinen Höhle auf. Das Weibchen rieb den Kopf am Körper des Männchens und bewegte den Schwanz dabei lebhaft hin und her. Erst nach einiger Zeit erwiderte das Männchen mit den gleichen Bewegungen. Das Paar zog sich schließlich in einen leider nicht einsehbaren Teil der Höhle zurück. Marie von Chauvin war sich aber trotzdem sicher, dass es geklappt hatte. Am nächsten Tag hatte die Kloake des Weibchens eine „kegelförmige Gestalt“ angenommen, und das Männchen zeigte „aufgewulstete“ und gerötete Kloakenlippen. 46 Tage später legte das Weibchen das erste Ei an die Decke seiner Höhle. In der darauffolgenden Nacht konnte Marie von Chauvin die Ablage des zweiten Eis selbst beobachten. Der erste Teil des Rätsels war gelöst! Die Beobachtung ging weiter. Mit Beginn der Eiablage verließ das Männchen die gemeinsame Höhle. Das Weibchen blieb bei den Eiern. Die Frage um eine innere oder äußere Befruchtung blieb zunächst ungelöst. Mit einem einfachen und dennoch bemerkenswerten Experiment gelang es Marie von Chauvin aber, indirekt auch das zu klären. Aufgrund einer Kloakenverletzung, die sich das Weibchen vermutlich an den spitzen Steinen des Aquariums zugezogen hatte (Chauvin 1883b), wurde 66

Forschung das Weibchen allein in ein Glas mit frischem Wasser und Wasserpflanzen umgesetzt. Auch hier legte das Weibchen zwei Eier, die sich bis zu einem späteren Absterben entwickelten. Marie von Chauvin hatte das Weibchen bewusst ohne Wasser umgesetzt und somit eine unbeabsichtigte Überführung von Sperma ausgeschlossen. Damit war für sie klar: Es musste eine innere Befruchtung stattgefunden haben! Heute muss man anmerken, dass eine mögliche Erklärung für die Entwicklung der Eier durch Parthenogenese damals bei Wirbeltieren noch nicht bekannt war. Ihre Schlussfolgerung zur inneren Befruchtung wurde jedoch noch fast 100 Jahre lang in Zweifel gezogen. Erst 1961 gelang Wolfgang Briegleb (1961) in München die Beschreibung einer Grottenolm-Spermatophore. Auch die Beobachtungen zur Balz und zur Eiablage lassen sich heute im Abgleich mit den Beobachtungen aus Langzeithaltungen in Slowenien, dem französischen Moulis oder der Herrmannshöhle im Harz im Großen und Ganzen bestätigen (Koller Šarić et al. 2019). Zu erwähnen bleibt noch, dass es wiederum Paul Kammerer in Wien war, der Marie von Chauvins Ergebnisse intensiv studierte und in seinen Publikationen aber zum Schluss kam, dass das Eierlegen lediglich eine unnatürliche Erscheinung sei, die durch hohe Aquarientemperaturen verursacht worden war (Kammerer 1912). Diese Behauptung wurde jedoch durch alle weiteren Untersuchungen klar widerlegt (Briegleb 1962; Aalphen & Arntzen 2016). Viele der Versuche von Marie von Chauvin kommen uns heute aus Tier- und Artenschutzgesichtspunkten sicherlich brutal und unangemessen vor. Sowohl Arten- als auch Tierschutzgesetze verbieten heute zum Glück derartige Experimente. Für die damals noch junge experimentelle Zoologie und Evolutionsbiologie waren Marie von Chauvins Arbeitsweise, ihre Ergebnisse und Schlussfolgerungen jedoch äußerst wertvoll und haben viel zur Aufklärung der Fortpflanzungsbiologie der Amphibien beigetragen! Dank Wir danken Wolfgang Böhme, Ulla Bott (beide ZFMK, Bonn) und Michael Franzen (ZSM, München) für die Hilfe bei der Literatur- und Sammlungsrecherche. Unser besonderer Dank gilt Uwe Fricke (Bad Harzburg), Wenzel Halla (Freiburg), Dušan Jelić(PROTEUS project, Zagreb), Ashley Seifert (University of Kentucky) und Andrew Young (Liverpool John Moores University) für die Überlassung ihrer Fotos. Literatur Aalphen van, J.J.M. & J.W Arntzen (2016): Paul Kammerer and the inheritance of aquired characteristics. – Contributions to Zoology 85(4): 457–470. Böhme, W. (2001): Spontane Metamorphose eines Axolotls Ambystoma mexicanum (Shaw 1798) (Caudata, Ambystomatidae). – Salamandra 37(4): 261–263. Brehm, A.E. (1878): Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs. 2 Aufl. Kriechthiere, Lurche und Fische. – Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig, 673 S. Briegleb, W. (1961): Die Spermatophore des Grottenolms. – Zoologischer Anzeiger 166: 87–91. – (1962): Zur Biologie und Ökologie des Grottenolms (Proteus anguinus Laur. 1768). –Zeitschrift für Morphologie und Ökologie Tiere 51: 271–334. Chauvin, M. von (1876): Ueber die Verwandlung der mexicanischen Axolotl in Amblystoma. – Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 27: 522–535. – (1877): Ueber das Anpassungsvermögen der Larven von Salamandra atra. – Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 29: 324–350. – (1883a): Über die Fortpflanzung des Amblystoma. – Zoologischer Anzeiger 6: 513–515. – (1883b): Die Art der Fortpflanzung des Proteus anguineus.– Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 38: 671–685. – (1885): Ueber die Verwandlungsfähigkeit des mexikanischen Axolotl. – Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 41: 365–389. Guex, G.D. (1994): Zur Fortpflanzungsbiologie von Salamandra atra aurorae (Trevisan, 1982), S. salamandra bernardezi (Wolterstorf, 1928), S. salamandra fastuosa (Schreiber, 1912) und Mertensiella luschani herverseni (Pieper). – Abhandlungen und Berichte des Museums für Natur- und Heimatkunde Magdeburg 17: 143–150. – & K. Grossenbacher (2004): Salamandra atra Laurenti, 1768 – Alpensalamander. – S. 975–1028 in Thiesmeier, B. & K. Grossenbacher: Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas, Band 4/2B. Schwanzlurche 2B. – Aula, Wiesbaden. Kammerer, P. (1904): Beitrag zur Erkenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse von Salamandra atra und maculosa. – Archiv für Entwicklungsmechanik 17: 165–174. – (1907): Vererbung erzwungener Fortpflanzungsanpassungen. 1. und II. Mitteilung: Die Nachkommen der spätgeborenen Salamandra maculosa und der frühgeborenen Salamandra atra. – Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen 25: 7–51. – (1912): Experimente über Fortpflanzung, Farbe, Augen und Körperreduction bei Proteus anguinus Laur. (zugleich: Vererbung erzwungener Farbveränderungen, III. Mitteilung). – Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen 33: 349–461. Koller Šarić, D. Jelić, P. Kovač Konrad & B. Jalžić (2019): Proteus. – Association Hyla, Zagreb, 249 S. Kutschera, U. (2015) Evolutionsbiologie. 4. Auflage. – utb, Stuttgart, 382 S. Parzefall, J., J.P. Durand & B. Sket (1999): Proteus anguinus Laurenti, 1768 – Grottenolm. – S. 57–76 in Grossenbacher, K. & B. Thiesmeier: Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas, Band 4/1. Schwanzlurche 1. – Aula, Wiesbaden. Reiss, C. (2014): August Weismanns frühe Evolutionsforschung: Experiment und Theorie im künstlichen Naturraum. – Rudolstädter naturhistorische Schriften 20: 11–29. – (2020): Der Axolotl. Ein Labortier im Heimaquarium 1864–1914. – Wallstein, Göttingen, 299 S. Siebold, C.T.E. von (1876): Zusatz zu den Mittheilungen über die Verwandlung des Axolotl in Amblystoma. – Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 27: 536–540. – (1877): Ueber Helicopsyche als eine der Schweiz. Insectenfauna angehörenden Phryganide erkannt. – Stettiner Entomologische Zeitung 38: 246–252. Taschwer, K. (2016): Der Fall Paul Kammerer: Das abenteuerliche Leben des umstrittensten Biologen seiner Zeit. – Carl Hanser. Weismann, A. (1875): Über die Verwandlung des mexikanischen Axolotl in ein Amblystoma. – Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 25: 297–334. Wistuba, J. (2011): Axolotl. – 3. Auflage, Natur-und-Tier-Verlag, Münster, 93 S. Zacharias, O. (1887): Eine deutsche Naturforscherin. – Illustrirte Zeitung 88: 666. 67

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