Kreffels Ruminationen - Ernst Michael Lange
Kreffels Ruminationen - Ernst Michael Lange
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auswendig konnte – sie sei eine Einrichtung zur Zähmung des Geschlechtstriebs.<br />
Aber obwohl zynisch ausgedrückt, hatte Kreffel das auch so erfahren und war<br />
darüber auch nicht unglücklich. Ganz falsch erschien ihm, was seine Vater über<br />
die (seine) Ehe gesagt hatte – das Lebensverhältnis, an dem der Prediger gern<br />
exemplifizierte –: Erst komme man zusammen, weil man sich liebe (verliebt sei),<br />
dann liebe man sich, weil man zusammen sei. Das war <strong>Kreffels</strong> Erfahrung nicht.<br />
Er hatte den Eindruck, dass die Liebe mit der Dauer des Umgangs und dem<br />
Wachsen der Vertrautheit immer größer geworden ist, aber nicht auf Dauer und<br />
Vertrautheit als Gründe zurückgeführt werden kann. Liebe als Einstellung ist<br />
grundlos, deshalb auch nicht legitim zu fordern, sondern ein Geschenk; auch Liebe<br />
als Beziehung ist zuerst Geschenk, aber dann auch der Pflege und Kultivierung<br />
ebenso fähig wie bedürftig. Natürlich hat Kreffel bei einem für sein Leben so<br />
zentralen Verhältnis auch länger darüber nachgedacht, wie es über die eigene<br />
Erfahrung und deren Formulierung hinaus zu verstehen sei – was ist die Liebe, die<br />
manchmal, und anscheinend und glücklicherweise auch im Fall seines<br />
Verhältnisses zu seiner Frau, Personen ein Leben lang verbinden kann? Kreffel<br />
dachte kritisch von Positionen her, die er durch Lektüre oder Unterhaltung kennen<br />
gelernt hatte. Ein berühmter Philosoph hatte Liebe (als Einstellung, die eine Person<br />
hat oder die ihr entgegengebracht wird) als ‚Freude am Glück des anderen’ erklärt<br />
(definiert). Kreffel erschien das zu eng und zudem durch eine problematische<br />
anthropologische Annahme der Glückssuche als Menschen notwendig<br />
beherrschendem Motiv belastet, die Begriffserklärung nicht in den Weg kommen<br />
sollte. Er meinte daher, den berühmten Philosophen verbessern zu sollen: Liebe als<br />
Einstellung ist ‚Freude am Dasein des anderen’ (und an seinem Glück nur<br />
insofern, als der andere glücklich sein will) – Liebe als Verhältnis zwischen<br />
Personen die Wechselseitigkeit dieser Einstellung und daher die wechselseitige<br />
Annahme der Beteiligten als ganze Personen. Seinen zentralen Stellenwert hat das<br />
Verhältnis der Liebe aus dem Umstand, dass Personen sich selbst bewertende<br />
Lebewesen sind (zu ihnen im Prozess des Aufwachsens werden) und dies vor<br />
allem, insofern sie als noch Unmündige von ihren Erziehungspersonen in vielerlei<br />
Hinsichten bewertet werden – das ist richtig, das falsch; das erlaubt, das verboten;<br />
das gut, das schlecht etc. Und sie bilden sich an dem Druck dieser Bewertungen<br />
durch andere zu Personen, die wichtig zu nehmen sie als anfänglich Hilflose und<br />
stets Hilfsbedürftige zunächst nicht umhin können, indem sie deren Bewertungen<br />
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