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Kreffels Ruminationen - Ernst Michael Lange

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Inwiefern das Philosophieren ein Erkennen-und-Handeln zweiter Stufe ist, kann<br />

deutlicher werden, wenn erinnert wird, was das Bedürfnis der Klärung des<br />

Verstehens, das Streben nach Klarheit hervorrufen kann. Natürlich sind bei den<br />

Personen, die sich vom Philosophieren angezogen fühlen (nicht alle, die sich<br />

angezogen fühlen, können es auch), biographisch die verschiedensten Motive<br />

wirksam. Aber das Philosophieren als Moment einer (grundsätzlich städtischen)<br />

Kultur hat allgemeine Bedingungen, die auch in alle individuellen Motive<br />

hineinspielen dürften. Wir werden zu Personen in Prozessen des Aufwachsens, des<br />

Erzogenwerdens und uns Bildens, wobei zentral dafür der Erwerb der Techniken<br />

des Sprechens und Kommunizierens in einer mit anderen geteilten Sprache zu sein<br />

scheint. Diese Erlernen wir zunächst durch Nachahmung und Übung und erst<br />

allmählich erwerben wir Fähigkeiten, uns dieser Mittel selbständig zu bedienen –<br />

und selbstständig heißt hier sowohl nach eigenen Absichten und zu eigenen<br />

Zwecken, als auch mit Verständnis und Urteilskraft. Bei dieser Sachlage kommt<br />

die Anstrengung, ausdrücklich und klar zu verstehen, gegenüber der praktischen<br />

Beherrschung der Techniken der Sprache und des Verständnisses immer schon zu<br />

spät. Zugleich sind diese Techniken in verschiedenen Kontexten und zu<br />

verschiedenen Zwecken entstanden, aber die überlieferbare Kultur bildende<br />

Technik der Vereindeutigung und Festhaltung der als gesprochene flüchtigen<br />

Sprache – das Schreiben – lässt sie alle gleich aussehen. Die Nachträglichkeit der<br />

Anstrengung, ausdrücklich verstehen zu können, und die Unübersichtlichkeit der<br />

Mittel des Verständnisses in der Sprache, besonders, wenn sie geschrieben ist,<br />

lassen allgemein das Bedürfnis der Klärung und das Streben nach Klarheit immer<br />

wieder entstehen. Meist begnügen sich diese mit begrenzten Klärungen, aber es ist<br />

ein nahe liegender Schritt, auf Klärung hinsichtlich des (auf verschiedene<br />

Fragestellungen und Perspektiven relative) Ganzen des Verstehens aus sein zu<br />

wollen, um einen Überblick zu haben. Das bezeichnet den Impuls zu<br />

Philosophieren. Weil sich dieser Impuls auf ein mit anderen gemeinsames Medium<br />

des Verstehens richtet, sind auch die Klärungen nicht nur individuelle, sondern<br />

potentiell gemeinsame – jedenfalls müssen sie das sinnvoller Weise intendieren:<br />

Wenn wirklich Klarheit des Verstehens Resultat der Bemühungen um explizites<br />

Verständnis und Übersicht über das Verstehen ist, dann müssen die Wege, die<br />

dazu führen, auch von anderen begehbar sein als dem, der sie bahnt. Der frühe<br />

Philosoph, von dem das ‚ich erforschte mich selbst’ überliefert ist, hat das so<br />

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