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Am Set von „Die wilden Hühner”<br />
Wildes<br />
Wetter<br />
22<br />
VON CHRISTIAN SEEBAUM<br />
„Die Wilden Hühner“...<br />
...und ihre Kontrahenten,<br />
die Pygmäen.<br />
Es sind die letzten Häuser am Rande einer großen Wiese, am Horizont ragen<br />
Kirchtürme auf, es weht ein laues Lüftchen. Hier, bei Xanten, verfilmt Vivian Naefe<br />
Cornelia Funkes Kinderbuch-Bestseller „Die wilden Hühner”. Man kann sich weitaus<br />
unangenehmere Arbeitsbedingungen vorstellen, aber die Natur hat ihre Tücken.<br />
as eherne Kommunikationsge-<br />
Dsetz, dass man mit einem<br />
zwanglosen Einstieg über das Wetter<br />
schon einmal nichts f<strong>als</strong>ch machen<br />
kann, gilt hier am Set von „Die wilden<br />
Hühner“ nicht. Denn auf nichts ist Regisseurin<br />
Vivian Naefe schlechter zu<br />
sprechen: Es ist August, aber Hochsommer<br />
steht weiterhin nur im Kalender.<br />
Stattdessen zwingen permanente<br />
Wetterwechsel und Regenschauer,<br />
den Drehplan flexibel zu halten.<br />
Auch an diesem 17. von insgesamt<br />
48 Drehtagen wechselt die<br />
Lichtstimmung zunächst im 20-Minuten-Rhythmus.<br />
Erst ist es Grau in<br />
Grau, dann fallen einige Tropfen,<br />
dann treibt der Wind die Wolken auseinander,<br />
so dass sie plötzlich nur<br />
noch <strong>als</strong> faule Inseln im Blau des Himmels<br />
hängen und die Sonne sticht.<br />
Wie sollen da Anschlüsse funktionieren?<br />
Zumal an jedem Motiv in Xanten<br />
14 Tage lang Szenen zu drehen<br />
sind, die später an ganz verschiedenen<br />
Stellen im Film platziert sein werden.<br />
Die Verfilmung von Cornelia Funkes<br />
erfolgreicher Kinderbuchreihe, die<br />
von Güzin Ker und Produzentin Uschi<br />
Reich für die Leinwand adaptiert<br />
wird, handelt von Sprotte und ihrer<br />
Mädchengang „Die wilden Hühner”<br />
(dabei ist auch Paula, die Tochter von<br />
Katja Riemann), die eines Tages erfahren<br />
müssen, dass Sprottes Oma<br />
das namengebende Federvieh<br />
schlachten lassen will. Um das zu verhindern,<br />
ist den Mädels jedes Mittel<br />
recht – selbst wenn das heißen sollte,<br />
auf die Hilfe der konkurrierenden<br />
Jungenbande Pygmäen zurückzugreifen.<br />
„Ich finde sehr wichtig, dass<br />
hier ein humorvolles, aber auch sehr<br />
realistisches Bild von der Kinderwelt<br />
11-jähriger Mädchen gezeichnet<br />
wird”, sagt Vivian Naefe. „Dass die<br />
auch Probleme haben und dass die<br />
Kindheit nicht nur glücklich ist und<br />
dass sie aber trotzdem sich durchkämpfen<br />
<strong>als</strong> Bande mit ihren häuslichen<br />
Problemen. Das hat in den Romanen<br />
so einen Touch wie das, was<br />
man unter englischem Kino versteht,<br />
in denen auch sozialrealistisch mit viel<br />
Humor erzählt wird.”<br />
Im heute zu drehenden „Bild 30”<br />
(Haus Oma – Eingang/Garten) sind je-<br />
denfalls alle Hühner noch wohlauf<br />
und lassen sich im Holzstall neben<br />
Omas Backsteinhaus vom geschäftigen<br />
Filmteam nicht beeindrucken. Im<br />
Haus legt die Ausstattungsabteilung<br />
letzte Hand an: dämmriges Oma-<br />
Ambiente mit Mobiliar im Sperrmüllschick,<br />
verwegen gemusterte Tapeten<br />
und gehörig Patina. Überall<br />
sind kleine Merkzettel in Altfrauenhandschrift<br />
verteilt mit Notizen wie<br />
„Fenster putzen”, „Licht ausmachen”,<br />
aber auch „Gewehre reinigen, Läufe<br />
polieren”. Dass es ausgesprochen<br />
muffig riecht, soll allerdings nicht zur<br />
Authentizität beitragen, sondern<br />
kommt daher, dass das Haus lange<br />
Zeit leer stand. So ist auch der Wasserfleck,<br />
der sich malerisch an der<br />
Wohnzimmerdecke abzeichnet, nicht<br />
der hohen Kunst der Ausstatterinnen<br />
zu verdanken, sondern echt. Dafür<br />
durfte das Team nahezu uneingeschränkt<br />
walten, hat mit Genehmigung<br />
des Eigentümers sogar zusätzliche<br />
Fenster in die Außenwand<br />
gebrochen.<br />
Draußen im Garten herrscht eine<br />
Mischung aus verwildert und liebevoll<br />
beackert. Große Kohlköpfe<br />
und halbreife Tomaten – alles in einer<br />
Gärtnerei wochenlang vorgezogen<br />
und dann hier ausgepflanzt –<br />
stehen in ordentlichen Reihen, dazwischen<br />
eine pittoreske Vogelscheuche.<br />
„In Millionen Köpfen der<br />
Leser und Leserinnen sitzt eine klare<br />
Vorstellung, wie Oma wohnt”, sagt<br />
Vivian Naefe, und man kann sich gut<br />
vorstellen, dass die Erwartungen hier<br />
erfüllt werden. In der Einstellung zuvor<br />
ist Veronica Ferres, die Sprottes<br />
Taxi fahrende Mutter Sybille spielt<br />
(„sehr chaotisch, sehr temperamentvoll,<br />
sehr emotional”), mit dem<br />
Wagen vorgefahren. Nun kommt sie<br />
schwungvoll in Jeans und rosa Kapuzenpulli<br />
mit einem Zehnerkarton<br />
Milch unter dem Arm in Omas Garten.<br />
Mutter und Großmutter gehen<br />
aufs Haus zu, der auf Schienen zurückweichenden<br />
Kamera entgegen.<br />
Der Text sitzt (Oma: „Ich öle das Gartentor<br />
nicht mehr, damit ich die Einbrecher<br />
höre”), doch nach drei, vier<br />
Takes wird noch immer darüber diskutiert,<br />
wie heftig denn nun die an<br />
die Krücken gehende Oma (gespielt<br />
newsletter@filmstiftung.de – Setbesuch<br />
von der 81-jährigen Doris Schade) sich<br />
entziehen soll, wenn Sybille Anstalten<br />
macht, sie stützend am Arm zu fassen.<br />
Auch Michelle von Treuberg alias<br />
Sprotte ist am Drehort, aber gerade<br />
nicht im Einsatz. Sie sitzt auf einem<br />
Klappstuhl und kämpft gemeinsam<br />
mit einer Betreuerin gegen<br />
die Langeweile an. Wie bei jedem<br />
Film mit Kindern ist auch hier eine<br />
medienpädagogische Fachkraft, die<br />
penibel die Arbeits- und Pausenzeiten<br />
der Jungdarsteller notiert, immer<br />
am Set. In NRW, so erfährt man, sind<br />
die Einschränkungen für künstlerische<br />
Kinderarbeit nicht so streng wie in<br />
anderen Bundesländern. Auch hier<br />
gelten zwar drei Stunden <strong>als</strong> Höchstgrenze<br />
pro Tag, doch dürfen im Jahr<br />
mehr <strong>als</strong> 30 Tage zusammen kommen.<br />
Vielleicht liegt es auch daran,<br />
dass Peter Zenk – im Gespann mit<br />
Uschi Reich kinderfilmerfahrener Produzent<br />
(„Das fliegende Klassenzimmer”)<br />
des von der <strong>Filmstiftung</strong> NRW<br />
geförderten 4,6 Millionen-Projektes<br />
– sehr entspannt wirkt. Ob das große<br />
Baumhaus der „Wilden Hühner”<br />
rechtzeitig fertig wird, das gerade im<br />
Park des Schlosshotels Lerbach in Bergisch<br />
Gladbach entsteht und der aufwändigste<br />
Schauplatze des Films ist,<br />
scheint derzeit die größte Sorge zu<br />
sein.<br />
In Omas Garten sind unterdessen<br />
Veronica Ferres und die wackere Doris<br />
Schade, der in jeder Drehpause sofort<br />
eine hilfreiche Hand mit Sonnenschirm<br />
beispringt, noch ein paar<br />
Mal auf und ab gegangen, und nach<br />
dem Ende jeder weiteren Aufnahme<br />
hat Veronica Ferres es eiliger, den Karton<br />
mit den Milchtüten abzustellen,<br />
bei dem es sich ganz offensichtlich<br />
doch nicht um eine ausgehöhlte Requisite<br />
handelt. Dann ist auch Vivian<br />
Naefe zufrieden. Nur, gibt sie zu bedenken,<br />
wäre es schön, wenn man<br />
jetzt bitte für den besseren Anschluss<br />
auch noch eine Version mit verhangenem<br />
Himmel drehen könnte. Die<br />
Blicke gehen nach oben: Die nächste<br />
Wolkeninsel ist etwa eine Fingerspanne<br />
weit entfernt, aber die Bewegung<br />
am Himmel ist gleich null.<br />
Naefe trägt es mit Fassung. Über das<br />
Wetter spricht hier längst keiner<br />
mehr.<br />
„Sprotte“ (Michelle von Treuberg),<br />
die Anführerin der „Wilden Hühner“.<br />
Fotos: 2005 Constantin Film, München