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Materialiensammlung - Theater Marburg

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eheimatet sein. Auch Doppelgänger werden gerne eingesetzt. Oder man überträgt Dinge aus der<br />

Märchenwelt in die reale Welt, wie zum Beispiel einen gestiefelten Kater, der sprechen kann wie ein Mensch.<br />

Zeitsprünge werden benutzt, also das, was wir heute Zeitreisen oder Rückblenden nennen würden.<br />

Der „Gestiefelte Kater“ ist eines der bekanntesten Kunstmärchen<br />

In den Volksmärchen findet die Geschichte meist ihr gutes Ende. Wie sieht das bei den Kunstmärchen<br />

aus?<br />

V.H.: Bei den Kunstmärchen muss es nicht zwingend ein solches gutes Ende geben. Die Zwangsläufigkeit,<br />

dass im Volksmärchen der Schrecken durch ein „Happy End“ aufgehoben wird, also die glückliche<br />

Auflösung, die es dann ja schließlich auch für Kinder geeignet macht, gibt es so im Kunstmärchen nicht<br />

unbedingt. Kunstmärchen richten sich eben auch nicht an die Kinderwelt, sondern an die Erwachsenen. Und<br />

dadurch ergibt sich kein innerer Zwang zu einem glücklichen Ende. Ein Erwachsener hätte vielleicht auch<br />

gerne ein glückvolles Ende, aber er weiß, dass das nicht immer der Realität entspricht. Er weiß, dass<br />

Geschichten sich durchaus anders entwickeln, ein böses Ende nehmen können. Er hat ein tragisches<br />

Bewusstsein in sich.<br />

Das Kunstmärchen richtet sich speziell an die Erwachsenenwelt und hat einen höheren literarischen<br />

Anspruch als das Volksmärchen. Wie sieht es mit der Moral von der Geschichte aus? Hat das<br />

Kunstmärchen auch einen erzieherischen Wert und einen Lerninhalt, wie man das vom Volksmärchen her<br />

kennt?<br />

V.H.: Das didaktische Element muss es nicht unbedingt haben, aber es kann durchaus vorkommen. Nehmen<br />

wir einmal Andersen, der mit seinen Märchen auch ein Stück deutscher Kulturgeschichte geworden ist. Sein<br />

„Tapferer Zinnsoldat“ kommt am Ende der Geschichte um, und auch als Erwachsene fühlen wir den Schmerz<br />

des Untergangs mit ihm, ziehen daraus die Lehre des Mitgefühls und der Anteilnahme. Die Emotionalität, die<br />

sehr oft im Volksmärchen zu erkennen ist, die kann auch durchaus im Kunstmärchen auftauchen.<br />

Figuren aus Wilhelm Hauffs „Kalif Storch“<br />

Wie würden Sie als Literaturprofessor die Kunstmärchen einschätzen? Wie literarisch wertvoll sind sie?<br />

V.H.: Sie können hohe Kunstliteratur sein. Ein gutes Beispiel ist dafür E.T.A. Hoffmann mit seinen<br />

„Serapionsbrüdern“ (1819 bis 1821). Das ist eine Sammlung, die beinhaltet eine ganze Reihe von großartigen<br />

Erzählungen. Es gibt absolut keinen Grund, warum wir die Kunstmärchen eines Autors mit anderen Augen<br />

lesen müssten als seine Romane oder Gedichte. Auch Brentano fällt mir da ein. Sein „Gockel, Hinkel und<br />

Gackeleia“ (1838) ist durchaus lesenswert. Die Autoren wollten eine andere und besondere Atmosphäre<br />

schaffen und haben dazu die Kunstmärchen benutzt. Die Verfasser von Kunstmärchen entsprachen der<br />

Absolutheit des Kunstanspruchs, so dass wir die Idee der „L’art pour l’art“ letztlich schon in der Romantik<br />

nachweisen können.<br />

Quelle: http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/literatur/literatur_der_romantik/interview_maerchen.jsp<br />

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