Materialiensammlung - Theater Marburg
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das Ganze so ungesucht, so einfach, dass gerade in der Wahrscheinlichkeit, die das Unwahrscheinlichste<br />
dadurch erhält, für mich das Grauenhafte liegt.“ (III,7,73) 62 Tatsächlich verhält es sich mit Hoffmanns<br />
unheimlichen Erzählungen oftmals so, dass sie mit ihrer Entfaltung mitten in der Wirklichkeit, am helllichten<br />
Tag und mitten in gut situierter Bürgerlichkeit, also ganz ohne gewohnte schauergeschichtliche Elemente, in<br />
ihrer Nähe zum Wahrscheinlichen, das Unwahrscheinliche mal allmählich, mal plötzlich einfließt und das<br />
Wahrscheinliche somit ins Erschreckende und Grauenhafte – und dieses wechselseitig wieder<br />
zurückgewendet wird: In den „Nachtstücken“ regiert nach Miller das Paradox, „das Überwirkliche“ ergebe<br />
sich „nur als eine punktuelle Verzerrung des Wirklichen“, als eine „fragmentarisch[e],<br />
unzusammenhängend[e] und schädlich[e]“. Diese durch die Erfahrung mit dem Fantastischen „verstreuten<br />
Bruchstücke“ füge Hoffmann hingegen im Märchen „zu einem geschlossenen System einer zweiten<br />
Wirklichkeit zusammen [...] und hebt so den Schrecken und die Verstörung auf, die in seinen anderen<br />
Erzählungen von der Phantasmagorie ausgehen.“ 63 Die vier Freunde seien nach der „Spukgeschichte“, so<br />
Mayer weiter, am Ende ihres Gesprächs darüber einig, dass „die unheimlichste Wirkung“ direkt dem<br />
„schlechthin Unerklärlichen“ entspringe. Denn das Unerklärliche provoziere gerade das „Gefühl der<br />
gänzlichen hülflosesten Ohmacht“ (III,7,73), von dem Theodor spricht, weil es „die Brüchigkeit des Weltbildes<br />
durchscheinen lässt, das sich der Mensch zurechtbastelt.“ 64 In diesem Sinne ist das Hoffmannsche<br />
Unheimliche nicht ein Einbrechen von Übernatürlichem in die Realität. Vielmehr ist es in der Realität latent<br />
anwesend und kann sich ‚allein’ mit einem Blick durch ein optisches Instrument, einem Betrachten eines<br />
Bildes oder einer Begegnung mit einer sich grotesk ausnehmenden Person offenbaren – die bisherige<br />
Sichtweise der Welt wird ver-rückt, die Perspektive eine fremde, bisher ungesehene, aber immer schon da<br />
gewesene; wird sie verschoben, fällt der vermeintlich mit beiden Füßen auf dem Boden stehende Mensch<br />
aus allen Wolken – hinein in Unsicherheit und Desorientierung. […] Zu der unauflösbaren, verstörenden<br />
Ambiguität der Texte und der Leserverunsicherung trägt, wie oben mit Momberger angedeutet, die Ebene<br />
des Erzählvorgangs, also diejenige auf der der Schreibakt selbst thematisiert wird, entscheidend bei.<br />
Besonders ist dies am Erzähler des „Sandmanns“ ersichtlich, der sich nach der Wiedergabe der zwei Briefe<br />
Nathanaels und des einen von Clara in den Text einschaltet und vorgibt, ein Freund Nathanaels zu sein. Von<br />
der Geschichte habe er durch die drei Briefe erfahren, „welche Freund Lothar [ihm] gütigst mitteilte“ (23). Der<br />
Erzähler ist also zusätzlich noch ein Freund Lothars, dieser muss die Briefe aufbewahrt und sie ihm<br />
übergeben haben. Im Weiteren berichtet der Erzähler ‚ganz pragmatisch’ von den Schwierigkeiten, die sich<br />
ihm am Beginn des Schreibprozesses gestellt haben: „So trieb es mich denn gar gewaltig, von Nathanaels<br />
verhängnisvollem Leben zu Dir zu sprechen. Das Wunderbare, Seltsame davon erfüllte meine ganze Seele,<br />
aber eben deshalb und weil ich Dich, o mein Leser! gleich geneigt machen musste, Wunderliches zu<br />
ertragen, welches nichts Geringes ist, quälte ich mich ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend – originell,<br />
ergreifend, anzufangen: „Es war einmal“ - der schönste Anfang jeder Erzählung, zu nüchtern! – „In der<br />
Provinzial-Stadt S. lebte“ – etwas besser, wenigstens ausholend zum Climax. - Oder gleich medias in res:<br />
„‚Scher’ Er sich zum Teufel’, rief, Wut und Entsetzen im wilden Blick, der Student Nathanael, als der<br />
Wetterglashändler Giuseppe Coppola“ – Das hatte ich in der Tat schon aufgeschrieben [...] Mir kam keine<br />
Rede in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des innern Bildes abzuspiegeln schien.<br />
Ich beschloss gar nicht anzufangen.“ (22f.) Dies zeigt einerseits das genannte Bewusstsein eines Autors<br />
über seine erzählerischen Mittel, die er einsetzt und andererseits, dass „ein Grossteil der gesamten<br />
Erzählung nämlich [...] nicht in die Zuständigkeit des Erzählers“ fällt. Fast die Hälfte des Erzähltextes geht<br />
ihm in den Briefen voraus und überschreitet seine Perspektive. Folglich wird dem „bereits Erzählten im<br />
Nachhinein ein anderer Status zugewiesen“ und kann „nicht mehr als unmittelbare und authentische<br />
Darstellung“ gelesen werden, „sondern erweist sich als immer schon über den Erzähler vermittelte Fiktion“. 65<br />
Dies ist ja auch bei der Erzählung Theodors vom öden Haus der Fall, diese ist genau genommen eine schon<br />
niedergeschriebene, als Stütze für das Erzählen nimmt er sein Notizbuch hervor. Der Autor Hoffmann<br />
distanziert sich vom eigenen Text, in dem er ihn in den Mund einer fiktiven Figur legt, die selbst schon<br />
Distanz zum Erlebten über eine Verschriftlichung gewonnen hat. Der Erzähler des „Sandmanns“ spricht<br />
davon, er wolle den ‚Farbenglanz’ des ‚inneren Bildes’ ‚abspiegeln’. Momberger merkt hierzu treffend an: „der<br />
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