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Materialiensammlung - Theater Marburg

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träumerische, somnambule, visionäre bis wahnhafte Perspektive (im wahrsten Sinne des Wortes also<br />

‚Sichtweise’) seines eigenen Erzählens und Erlebens, hat dies unweigerlich Phantasmagorien zur Folge,<br />

denn was liefern Visionen, Träume und Wahnsinn anderes als Trugbilder, Täuschungen, Verzerrungen der<br />

Wirklichkeit, Simulacren? Dadurch entstehen Geschichten, die unheimliche und gespenstische Ereignisse,<br />

groteske Verzerrungen der Wirklichkeit thematisieren und in ihnen eine unheimliche Erzähltechnik, die das<br />

Textkonstrukt zum unheimlichen Gebilde werden lässt, das dieselbe Verunsicherung über die Lebendigkeit<br />

beziehungsweise den Wahrheitsgehalt schafft wie sie beim Betrachten eines Automats, einer optischen<br />

Täuschung oder eines Trugbildes entstehen kann. Obwohl der hoffmannsche Erzähltext Einblick in seinen<br />

Bau gewährt, liefern die erzählstrategischen polyperspektivischen und sprachlich verdichtenden Mittel keine<br />

Wertungen, keine Vereindeutigungen über die Wahrnehmung der Wirklichkeit, von Traum, von Belebtem oder<br />

Unbelebtem und Identischem oder Nicht-Identischem.<br />

Nachweise<br />

17 Momberger, 1986, S. 90.<br />

18 „Die Auffassungen, die in den ‚Fantasie- und Nachtstücken’ und in den ‚Serapions-Brüdern’ diskutiert werden, sind nicht nur differenziert,<br />

sondern - vor allem, wenn man sie aus dem Kontext herauslöst – des öfteren sogar widersprüchlich.“ (Stegmann, 1976, S. 64).<br />

19 Vgl. Momberger, 1986, S. 91<br />

20 Eine solche Gesprächsform hat „etwas Konstruktivistisches. Hoffmann verzichtet auf die Beschreibung der Erzählsituation, auf Ort, Zeit<br />

und Umstände des Gesprächs sowie auf die gestalthafte Konkretisierung der Gesprächspartner. [...] Allein die Argumente zählen.“ (Kanzog,<br />

1976, S. 46).<br />

21 Die Texte der „Nachtstücke“ werden im Folgenden mit Seitenzahl zitiert nach: Hoffmann, E. T. A.: Nachtstücke. Kaiser, Gerhard R. (Hrsg.).<br />

Philipp Reclam. jun.: Stuttgart 1990 (= RUB 154). Textstellen aus anderen Werken Hoffmanns werden mit Band-, Teil- und Seitenzahl<br />

wiedergegeben nach: Hoffmann, E. T. A.: Sämtliche Werke in fünfzehn Teilen. Grisebach, Eduard (Hrsg.). Hesse & Becker Verlag: Leipzig 1905<br />

(5 Bde). Die übrigen zeitgenössischen Quellen werden ebenfalls mit Seitenzahl nach den in der Bibliographie gelisteten Ausgaben zitiert. Alle<br />

in die Zitate der Primär- und Sekundärliteratur eingelassenen eckigen Klammern für Auslassungen oder Kommentare und Fettdrucke für<br />

Hervorhebungen sind, wo nicht anders angegeben, vom Verfasser getätigt.<br />

22 Hillebrand, 1999, S. 16.<br />

23 Vgl. beispielsweise Deterding, 1991, insbesondere die S. 13, 18 und 284.<br />

24 Schmidt, 1999, S. 186f.<br />

25 Schmidt, 1999, S. 187. Sie begründet dies mit einem einzigen Wort in der obigen Leseranrede aus dem „Sandmann“: „Kommt dem Verb<br />

„sein“ hier eine existentielle Bedeutung zu, oder fungiert es als Hilfsverb zu „erfunden“?“ Im 19. Jahrhundert sei es, auch für Hoffmann,<br />

stilistisch üblich gewesen die Hilfsverben ‚sein’ und ‚haben’ auszulassen. Dies lege „zunächst die Deutung nahe, dass „ist“ hier im<br />

existenziellen Sinne zu lesen“ sei - was für die Wahrhaftigkeit des Erzählten sprechen würde. Die an die Leseranrede anschließende<br />

„Erörterung der psychischen Auswirkungen des künstlerischen Produktionsprozesses auf den Künstler, die darauf verweist, wie lebendig ihm<br />

das Fiktive werden kann“, würde jedoch die zweite Deutung – diejenige der Erfindung – evozieren (Vgl. Schmidt, 1999, S. 187).<br />

26 Schmidt, 1999, S. 183.<br />

27 Über das „werf’ ich euch das skurrile Gleichnis hin“ (159) wird außerdem klar, dass neben Lelio mindestens ein weiterer, bis anhin nicht<br />

genannter Gesprächspartner anwesend sein muss. Spalanzani wird im „Öden Haus“ nur im Rahmengespräch und ohne wertenden<br />

Kommentar erwähnt, wohingegen er im „Sandmann“ als unheimlicher, vermessener „Mechanicus“ (42) auftritt. Der Naturwissenschaftler<br />

Lazzaro Spallanzani (1729–99) unternahm Versuche zur künstlichen Fortpflanzung von Tieren (was Hoffmanns Unwillen geweckt haben<br />

könnte) und schloss 1794 über das Orientierungsvermögen geblendeter Fledermäuse tatsächlich auf einen sechsten Sinn derselben (Vgl.<br />

Kaiser, 1990, Anm. 20,18f. S. 347 und 159,25–27 S. 363f.).<br />

28 Kaiser, 1990, Anm. 159,30 S. 364.<br />

29 Über den Namen ,Theodor(os)’ ergibt sich eine der vielen Parallelen zum „Sandmann“, er ist die griechische Entsprechung zum<br />

hebräischen ‚Nathanael’ mit der Bedeutung ‚Gottesgabe’. Hoffmann leiht seinen zweiten Vornamen zudem dem Erzähler im „Majorat“ (Vgl.<br />

Kaiser, 1990, Anm. 7,2 S. 345).<br />

30 Deterding, 1999, S. 211. Ebenso erkennt Lieb in diesem „Gewöhnliche[n] und Alltägliche[n]“ den „Auftakt zu poetischen Imaginationen“<br />

(Lieb, 2002, S. 68).<br />

31 Feldges und Stadler behaupten, Hoffmann habe mit dieser Begrifflichkeit „fast wörtlich die Definition des Unheimlichen von Freud aus<br />

dem berühmten Aufsatz von 1919 vorweggenommen.“ (Feldges und Stadler, 1986, S. 52) Dies ist, obwohl Freud in seiner Definition des<br />

Unheimlichen von „Altbekannte[m]“ (Freud, 1947, S. 231) spricht, meiner Meinung nach nicht haltbar. Hoffmann beruft sich sicherlich nicht<br />

wie Freud auf ein Konzept des Verdrängten, sondern auf dasjenige der Fantasie. Erscheinen die Darstellungen auf den Blättern Callots<br />

‚fremdartig bekannt’, passiert dies, weil man solche Figuren und ihre Gebärden im Grunde auch im Alltag ausmachen kann, der Künstler<br />

Callot sie aber mittels der Fantasie ins Fremdartige, Skurrile und Groteske überträgt. Feldges und Stadler erkennen jedoch richtig, dass sich<br />

„der dem Autor [Hoffmann] immer wieder, und mit Recht, zugewiesene Zug des Unheimlichen“ bereits im Essay über Callot als Kennzeichen<br />

finde (Feldges und Stadler, 1986, S. 52).<br />

32 Hillebrand, 1999, S. 14f. Für die Fortwirkung der Callotschen Manier und ihre Wichtigkeit für Hoffmanns Kunstschaffen Vgl. die Arbeiten<br />

Woodgate[1] und Woodgate[2], 1999 (dort insbesondere die S. 124-126 und 154-156). Sie ist auch allein am Vermerk ‚Vom Verfasser der<br />

Fantasiestücke in Callots Manier’ zu erkennen, mit dem die Erstveröffentlichungen der „Elixiere des Teufels“ und der „Nachtstücke“<br />

versehen worden sind (Vgl. Kaiser, 1990, Anm. 1, S. 344f.). „Für letztlich alle seine Texte“ konstitutiv beurteilt Momberger „das Grundprinzip<br />

der aus den heterogensten Elementen geschaffenen Kompositionen, das Hoffmann in Jaques Callot entwickelte“ (Momberger, 1986, S. 88).<br />

33 Iehl, 1998, S. 128.<br />

34 Vgl. Sorg, 2004, S. 20–22.<br />

35 Momberger, 1986, S. 89.<br />

36 Dies ist eine der zahlreichen Stellen, wo Hoffmann die in der Einleitung erwähnten Vorwürfe des Krankseins seiner Texte aufgreift.<br />

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