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Materialiensammlung - Theater Marburg

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„Serapionsbrüdern“ noch klarer als in den „Nachtstücken“ zu Tage tritt: „Es ist interessant, wie Hoffmann,<br />

indem er in den Gesprächen der Serapionsbrüder immer wieder seine eigenen Kritiker fingiert, die Fäden, die<br />

so schon sehr komplex sind, natürlich nur noch mehr verwirrt und diesen heterogenen Gebilden [gemeint<br />

sind die eigentlichen Geschichten, die sich die Serapionsbrüder schildern] noch einige heterogene Elemente<br />

hinzufügt, denn wie soll man ein Werk eindeutig auf eine Bedeutung, einen Sinn festlegen, wenn dessen<br />

Autor die kritischen Argumente immer schon mitliefert. Auf wessen Seite steht er?“ 35 So lautet die Frage<br />

Mombergers – sie bleibt unbeantwortet. Seine Arbeit zeigt an Hoffmanns Schreibweise und Sprache dessen<br />

‚Sich-Wegschreiben’ von der Romantik und Hoffmanns Rolle als Wegbereiter der Moderne. Momberger<br />

beschäftigt sich deshalb zwangsläufig mit der Genese und dem Einsatz des Phantastischen und<br />

Unheimlichen. Er verfolgt die poetischen Mittel, die Hoffmann als Schreiber einsetzt, um die besagte<br />

unentscheidbare, in der Schwebe bleibende Ambivalenz seiner Texte zu erreichen. Aufschlussreiche<br />

Informationen erhalte man dabei aus der an „Nussknacker und Mäusekönig“ anknüpfenden Diskussion der<br />

Serapionsbrüder. Theodor wirft dort ein, dass das von Lothar vorgetragene Märchen einer Fieberfantasie<br />

gleiche: „dass dir ein tüchtiges Fieber zu Hülfe gekommen sein müsse“. 36 Lothar entgegnet, er würde<br />

„wehmütig versichern, dass es dem armen Autor gar wenig helfe, wenn ihm wie im wirren Traum allerlei<br />

Fantastisches aufgehe, sondern dass dergleichen, ohne dass es der ordnende richtende Verstand wohl<br />

erwäge, durcharbeite, und den Faden zierlich und fest daraus erst spinne, ganz und gar nicht zu brauchen.<br />

Zu keinem andern Werk würd’ ich ferner sagen, gehöre mehr ein klares, ruhiges Gemüt, als zu einem<br />

solchen, das wie in regelloser spielender Willkür von allen Seiten ins Blaue hinausblitzend, doch einen<br />

festen Kern in sich tragen solle und müsse.“ (II,6,250)<br />

Hier taucht „plötzlich der Verstandesmensch auf, der seine Mittel und Techniken rational prüft, um<br />

den gewünschten Effekt zu erzielen“. Hoffmann nehme damit bereits Gedanken Edgar Allan Poes zur<br />

Textproduktion, beispielsweise die „der rationalen Beherrschung der literarischen Mittel“ und -<br />

entgegen dem schöpferischen Genie der Romantik - den „quasi verweltlichten Autor als Textproduzenten“<br />

vorweg, was für die Schreibweise und die Texte der Moderne so wichtig geworden sei. 37 Hoffmanns Texte<br />

bilden „kein kontinuierlich-harmonisches Ganzes“ mehr, sie „bestehen aus Blöcken, unterschiedlichen<br />

Textsorten und Schreibweisen, verschiedenen Erzählebenen, die auf komplexe Weise sich verbinden und<br />

kreuzen.“ 38 In den Erzähltexten, vornehmlich in den Märchen, unterscheidet Momberger dann „wenigstens<br />

vier Textebenen“: „Zunächst die realistische Ebene, die der Geheimräte, der Konrektoren, kurz: der<br />

philisterhaften bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit; dem steht die mythische Ebene gegenüber, Atlantis,<br />

Urdarbrunnen, auf der der Archivarius Lindhorst der Salamander Phosphorus ist; davon zu unterscheiden ist<br />

die eigentlich phantastische Ebene des Erzählvorgangs, die sich im Schnittpunkt der beiden anderen findet<br />

und auf der das „durchaus Fantastische ins gewöhnliche Leben“ hineinspielt: sie ist die wichtigste Ebene<br />

der Texte, weil sie die der phantastischen Effekte ist, wo die Identitäten der beiden anderen sich auflösen;<br />

schliesslich findet sich noch die Ebene des Erzählvorgangs selbst, auf der der Akt des Schreibens als<br />

textueller Prozess thematisiert wird.“ 39<br />

Entscheidend für die „Nachtstücke“ ist nun, dass, obwohl es sich nicht um Märchen handelt, sie sich<br />

trotzdem hier situieren lassen: Nebst der genannten Ebene des Erzählvorgangs mit dem<br />

Rahmengespräch beziehungsweise der Leseranrede, beginnen sie meist auf der realistischen Ebene, in der<br />

Residenzstadt ***n im „Öden Haus“ und in Nathanaels gutbürgerlichem Heimathaus der Stadt S. im<br />

„Sandmann“. Diese Ebene wechselt zwar im Verlauf der Geschehnisse nicht auf eine ganz und gar<br />

mythische, wird aber doch von ähnlich wunderbar anmutenden Elementen infiltriert: Einem<br />

wiedergängerischen (dem Ammenmärchen und seinem Namen nach auch mythisch konnotierten)<br />

Sandmann beziehungsweise Coppelius/Coppola und sich belebenden Abbildern des Lebendigen, das<br />

Automat Olimpia und das Gemälde Edwines/Emdondes. All das wird wiederum von der<br />

‚prosaischbürgerlichen’ Perspektive verworfen, negiert und für unsinnig erklärt (Claras Brief und Siegmunds<br />

Meinung im „Sandmann“, die ernüchternden Kommentare Graf P.’s und Doktor K.’s im „Öden Haus“). Ist der<br />

Alltag von Fantastischem durchdrungen oder wird er selbst fantastisch? Kreuzung der Sinnebenen, kein<br />

Nebeneinander einer „Logik des ‚entweder-oder’“, sondern ein Ineinanderfliessen einer „Strategie des<br />

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