Auf steigt das Gebet, hernieder steigt die Gnade. - Miteinander
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3/2012<br />
Sie werden gemäß liturgischer Anleitung<br />
geflüstert und daher kaum gehört: Worte eines<br />
kurzen <strong>Gebet</strong>es, <strong>das</strong> <strong>die</strong> Liturgie der heiligen<br />
Messe dem Diakon oder Priester in den<br />
Mund legt, der vorher den Versammelten <strong>das</strong><br />
Evangelium vernehmlich verkündet hat. Es<br />
ist fast unerhört (im Sinne von unglaublich),<br />
was er da betend leise sagt: „Herr, durch dein<br />
Evangelium nimm hinweg unsere Sünden.“<br />
Im Lateinischen klingt <strong>das</strong> noch kräftiger:<br />
„Per evangélica dicta deleántur nostra delicta“,<br />
was so viel heißt wie: „Durch <strong>das</strong> verkündete<br />
Evangelium zerstöre unsere Vergehen.“<br />
Da wird offenbar dem in der Liturgie<br />
verkündeten und aufmerksam gehörten Wort<br />
der Heiligen Schrift, durch <strong>das</strong> Gott selbst<br />
uns Menschen anspricht, Sünden vergebende<br />
Wirkung zugetraut. Christus vermag durch<br />
<strong>die</strong> Frohe Botschaft, <strong>die</strong> er letztlich selbst<br />
ist, so tief zu berühren, <strong>das</strong>s in uns Verwandlung<br />
zum Guten geschieht.<br />
Viele Möglichkeiten<br />
… und <strong>die</strong> Beichte?<br />
Weiters bezeugt uns <strong>die</strong> Heilige Schrift: „Die<br />
Liebe deckt viele Sünden zu“ (1 Petr 4,8). Es<br />
gehört zu den größten Erfahrungen, wenn<br />
sich <strong>das</strong> vorbehaltlose Annehmen des anderen<br />
zu dem zurückwendet, der selbst <strong>die</strong> Liebe<br />
ist (vgl. 1 Joh 4,8). Das führt zugleich konsequent<br />
zur Abkehr von allem, was sich <strong>die</strong>ser<br />
Liebe widersetzt, von allem Bösen. Tätige<br />
Nächstenliebe ist ein biblisch gewiesener<br />
Weg, auf dem Gott tatsächlich in seiner vergebenden<br />
Kraft erfahren wird. Und stimmt es<br />
nicht, <strong>das</strong>s <strong>die</strong> heilige Messe, <strong>das</strong> Sakrament<br />
der Eucharistie, „zur Vergebung der Sünden“<br />
gefeiert wird, also durch sie Versöhnung mit<br />
Gott und untereinander geschieht? Ist nicht<br />
<strong>die</strong> Krankensalbung als sakramentale Feier<br />
dazu bestimmt, nicht nur in den Gebrechlichkeiten<br />
des Leibes Heilung zu vermitteln, son-<br />
Ö S T E R L I C H E B U S S Z E I T<br />
Vergebung –<br />
ein vielfältiges Geschenk<br />
dern zugleich auch <strong>die</strong> Vergebung der Sünden<br />
zu erwirken? Wie stehen <strong>die</strong>se Vollzüge<br />
in der Kirche zum Sakrament der Versöhnung,<br />
zur Beichte?<br />
Die Chance<br />
„auf Du und Du“<br />
In der österlichen Bußzeit wird uns auf dem<br />
Weg zum Osterfest <strong>die</strong> Vielfalt, in der Gott uns<br />
entgegenkommt, neu gezeigt. Wir werden daran<br />
erinnert, <strong>das</strong>s zunächst <strong>die</strong> Taufe <strong>das</strong> Sakrament<br />
der Vergebung ist, in dem wir dem<br />
Leben Jesu, des Herrn, teilhaftig und ihm<br />
gleich gestaltet geworden sind: „auf Du und Du“. Nun kommt es aber im menschlichen<br />
Österliche Bußzeit: Die Angebote, <strong>die</strong> vergebende<br />
Kraft Gottes zu erfahren, sind vielfältig. Die<br />
Rückkehr des verlorenen Sohnes, Rembrandt, 1669.<br />
Leben erfahrungsgemäß vor, <strong>das</strong>s schwerwiegende<br />
Störungen <strong>die</strong>ser Teilnahme durch eigene<br />
Schuld eine neue Anknüpfung an <strong>die</strong><br />
Taufe erforderlich machen. Hier hat <strong>das</strong> Sakrament<br />
der Versöhnung als „zweite Umkehr“<br />
(poenitentia secunda), als „zweite Chance“ seinen<br />
primären, unersetzlichen Platz: Die Kirche<br />
übt den ihr übertragenen Versöhnungs<strong>die</strong>nst<br />
des <strong>Auf</strong>erstandenen aus, der ihr dazu<br />
den Heiligen Geist eingehaucht hat; <strong>die</strong> Apostel<br />
sind deshalb am Ostertag „auf Du und<br />
Du“ dem auferweckten Christus gegenübergestanden,<br />
um <strong>die</strong>ses Geschenk als bleibende<br />
Gabe zu empfangen (vgl. Joh 20,21–23).<br />
Das Sakrament der Versöhnung nimmt den<br />
einzelnen Menschen in seiner eigenen, individuellen<br />
Verantwortung ernst und ermöglicht<br />
„auf Du und Du“ Lossprechung im Vollsinn:<br />
im Bekenntnis der eigenen Schuld (sich<br />
lossagen von) und in der Zusage der von Gott<br />
geschenkten Vergebung durch den Priester<br />
(Zuspruch der Erlösung). Dort, wo Vergebung<br />
als vielfältiges Geschenk Gottes erfahren und<br />
geschätzt wird, ist <strong>die</strong> Praxis der Beichte<br />
nicht in Gefahr. Im Gegenteil: Ihre Kostbarkeit<br />
entfaltet im christlichen Leben erst ihre<br />
wahre Bedeutung.<br />
Richard Tatzreiter ■