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Rothschild als Wirtschaftsforscher<br />
Hans Seidel<br />
Ich danke der Universität L<strong>in</strong>z, dass sie mir die Gelegenheit gibt, öffentlich me<strong>in</strong>e<br />
Wertschätzung für die Person und für das Werk Professor Rothschilds auszudrücken. Es ist schon<br />
e<strong>in</strong>ige Zeit her, dass Rothschild und ich geme<strong>in</strong>sam im Österreichischen Institut für<br />
Wirtschaftsforschung (kurz WIFO genannt) tätig waren. Me<strong>in</strong>e Aufgabe, über den Wirtschaftsforscher<br />
Rothschild zu schreiben, ist umso schwieriger, als <strong>in</strong> den Veröffentlichungen des WIFO erst seit 1965<br />
die Autoren namentlich genannt wurden und die Redaktion alle Beiträge von Mitarbeitern auf den<br />
sogenannten „Institutsstil“ transponierte. Ich bitte daher um Nachsicht, wenn ich zu Unrecht etwas als<br />
„rothschildhaft“ bezeichne oder Wichtiges weglasse. Möglicherweise kann sich selbst Rothschild<br />
nicht mehr genau er<strong>in</strong>nern, was er <strong>in</strong> jenen weit zurückliegenden Jahren alles geschrieben hat.<br />
Rothschild kam 1947 über Empfehlung von Hayek an das WIFO. Hayek schrieb Nemschak,<br />
Rothschild sei ihm zwar nicht persönlich bekannt, aber er habe sich durch e<strong>in</strong>e Reihe von<br />
Publikationen e<strong>in</strong>en sehr guten Ruf erworben. Nemschak antwortete, er könne noch ke<strong>in</strong>e feste Zusage<br />
geben, da das Institut sparen müsse und überdies Wiedere<strong>in</strong>stellungsansprüche zweier Mitarbeiter des<br />
alten Konjunkturforschungs<strong>in</strong>stitutes bestünden, nämlich von A. Kozlik und J. Ste<strong>in</strong>dl. (Von diesen<br />
beiden kehrte nur Ste<strong>in</strong>dl an das Institut zurück, Kozlik wurde später beigeordneter Direktor des<br />
Institutes für Höhere Studien.) Dennoch: Am 1. Juni 1947 trat Rothschild als Wirtschafsforscher <strong>in</strong> das<br />
WIFO e<strong>in</strong> und blieb dort fast 20 Jahre, bis ihn der Bundespräsident „mit Wirkung vom 1.10.1966 zum<br />
ordentlichen Hochschulprofessor für Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftspolitik und<br />
F<strong>in</strong>anzwissenschaft an der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z“ ernannte.<br />
Als Rothschild <strong>in</strong> das WIFO kam, war er knapp dreißig als er das Institut verließ hatte er die Fünfzig<br />
überschritten. Es s<strong>in</strong>d also die im Leben e<strong>in</strong>es Wissenschaftlers besonders produktiven Jahre, die er als<br />
Wirtschaftsforscher verbrachte. Es lohnt sich daher, die Arbeiten Rothschilds aus dieser Periode <strong>in</strong><br />
Er<strong>in</strong>nerung zu rufen. Zuvor noch e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Bemerkung: Rothschild fand im WIFO e<strong>in</strong>en<br />
Wirkungsbereich zu e<strong>in</strong>er Zeit, als ihn die österreichischen Universitäten noch ignorierten. Wie wohl<br />
er sich <strong>in</strong> diesem Refugium gefühlt hat, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Ich kann mir jedoch<br />
vorstellen, dass er auf e<strong>in</strong>e diesbezügliche Frage geantwortet hätte: „Es hätte mir Schlimmeres<br />
passieren können.“ Das Institut bot (und bietet“ für e<strong>in</strong>en Wissenschaftler viele Vorteile. Es verfügt<br />
über e<strong>in</strong>e gut ausgebaute Infrastruktur, es fördert den Kontakt mit Fachkollegen und es befreit die<br />
wissenschaftlichen Mitarbeiter weitgehend von adm<strong>in</strong>istrativen Belastungen. Die Tätigkeit im Institut<br />
ließ den Mitarbeitern genügend Zeit, sich außerhalb des Instituts durch wissenschaftliche Arbeiten zu<br />
profilieren, wenn man fleißig war, und Rothschild war fleißig. Während se<strong>in</strong>er Institutszeit entstanden<br />
nicht nur theoretische Arbeiten (die außerhalb se<strong>in</strong>es Themas fallen), sondern auch empirische und<br />
wirtschaftspolitische Arbeiten, wie etwa der Aufsatz „Wurzeln und Triebkräfte der Entwicklung der<br />
österreichischen Wirtschaftsstruktur“ <strong>in</strong> dem 1960 von W. Weber herausgegebenen Standardbuch<br />
„Österreichische Wirtschaft, gestern – heute – morgen“.<br />
Auf der anderen Seite verlangte die Institutsarbeit e<strong>in</strong> hohes Maß an Uniformität der<br />
Präsentation und e<strong>in</strong> gewisses Maß an Konformität mit den vorherrschenden wirtschaftspolitischen<br />
Auffassungen. Die Institutspublikationen spiegeln nicht die Me<strong>in</strong>ungsvielfalt der Mitarbeiter, sondern<br />
die Institutsme<strong>in</strong>ung wieder. Streissler schrieb e<strong>in</strong>mal dem WIFO die priesterliche Funktion zu, die<br />
Wahrheit zu verkünden. Dadurch, dass e<strong>in</strong> Mitarbeiter <strong>in</strong> den „Monatsberichten“ schrieb, wurde se<strong>in</strong>e<br />
Aussage objektiviert und <strong>in</strong> den Rang e<strong>in</strong>er bedeutenden Aussage erhoben. Und es entsprach den<br />
Spielregeln, dass der Direktor die versteckteste Zeile des unerfahrensten se<strong>in</strong>er Mitarbeiter zu<br />
verteidigen hatte. Die jeweiligen Leiter des WIFO haben die schwierige Aufgabe, aus Individualisten<br />
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