ca. 961 KByte - öffnet in neuem Fenster
ca. 961 KByte - öffnet in neuem Fenster
ca. 961 KByte - öffnet in neuem Fenster
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Macht und ökonomisches Gesetz – Der<br />
Beitrag Kurt W. Rothschilds<br />
Ewald Nowotny<br />
1. Die Erfassung des „Machtphänomens“ <strong>in</strong> der Nationalökonomie<br />
Die Beschäftigung mit dem Phänomen der Macht, das heißt, des E<strong>in</strong>wirkens wirtschafts- und<br />
gesellschaftspolitischer E<strong>in</strong>flüsse gegenüber dem Wirken von „Marktmechanismen“ ist e<strong>in</strong><br />
charakteristisches Element <strong>in</strong> der Arbeit von Kurt Rothschild. Explizit ist dies ersichtlich <strong>in</strong> dem von<br />
ihm herausgegebenen Band „Power <strong>in</strong> economics“. Aber auch <strong>in</strong> vielen anderen Arbeiten zu<br />
verschiedensten Bereichen, wie dem der Preistheorie, der E<strong>in</strong>kommensverteilung, der <strong>in</strong>ternational<br />
Wirtschaft und der ökonomischen Aspekte der Abrüstung bezieht sich Kurt Rothschild explizit auf die<br />
Berücksichtigung von Machtphänomenen. Der Ansatz von Kurt Rothschild stellt damit e<strong>in</strong>e<br />
Besonderheit dar gegenüber den heute vorherrschenden Formen der ökonomischen Analyse. Denn die<br />
moderne Nationalökonomie ist gekennzeichnet durch e<strong>in</strong>e „Machtlosigkeit“ im doppelten S<strong>in</strong>n:<br />
E<strong>in</strong>erseits, <strong>in</strong>dem sie das Phänomen der Macht im Wirtschaftsleben ignoriert und damit nicht <strong>in</strong> der<br />
Lage ist, konkretes ökonomisches Geschehen tatsächlich zu erfassen. Andererseits, <strong>in</strong>dem eben durch<br />
diese Erkenntnislücken der praktische Wert und damit der praktische E<strong>in</strong>fluss, die „Macht“, der<br />
Wirtschaftswissenschaften nur ger<strong>in</strong>g zu veranschlagen ist.<br />
Die Gründe für diese, für e<strong>in</strong>e Sozialwissenschaft wie die Nationalökonomie, erstaunliche<br />
Vernachlässigung e<strong>in</strong>es zentralen Phänomens, s<strong>in</strong>d vielfältig:<br />
Zunächst ist, wie gezeigt werden wird, das Machphänomen analytisch tatsächlich sehr<br />
schwierig zu erfassen. Darüber h<strong>in</strong>aus hat sich aus vielfältigen Gründen als herrschender Ansatz der<br />
Nationalökonomie heute vielfach e<strong>in</strong> steriler a-historischer Formalismus entwickelt, der Elegance von<br />
Modellen vielfach höher schätzt als gesellschaftspolitische Relevanz. Diese Entwicklung hat nicht<br />
zuletzt auch wissenschaftssoziologische Ursachen. Denn die Flucht <strong>in</strong> die Esoterik eleganter Modelle<br />
erspart den Zwang zum kritischen gesellschaftspolitischen Engagement. Und auch <strong>in</strong> toleranteren<br />
Zeiten als denen, die Kurt Rothschild für e<strong>in</strong>en großen Teil se<strong>in</strong>es Lebens durchlaufen musste, birgt<br />
gesellschaftspolitisches Engagement immer e<strong>in</strong> gewisses Karriererisiko, das nutzenmaximierende<br />
Wissenschaftler gerne scheuen.<br />
Die Nichtberücksichtigung des Machphänomens ist jedoch nicht nur von wissenschaftlicher,<br />
sondern auch von em<strong>in</strong>ent praktischer Bedeutung. Denn e<strong>in</strong> zentrales Element der neokonservativen<br />
Ökonomie besteht ja <strong>in</strong> der Vorstellung bzw. Behauptung, ökonomisches Geschehen sei als e<strong>in</strong>e<br />
natürliche, „spontane Ordnung“ (F. A. v. Hayek) zu sehen, das heißt also von vorgegebenen<br />
„ökonomischen Gesetzen“ bestimmt. Zu dem Wirken dieser Gesetze gibt es, wie etwa Margret<br />
Thatcher im wirtschaftspolitischen Raum stets betont, „ke<strong>in</strong>e Alternative“. Jeder Machte<strong>in</strong>griff, d.h.<br />
jeder Versuch e<strong>in</strong>er spezifischen wirtschaftspolitischen Steuerung, wird als „konstruktivistischer<br />
Irrtum“ gesehen. Machte<strong>in</strong>flüsse seien demnach kurzfristig nur schädlich, längerfristig jedenfalls<br />
wirkungslos. Die alte Fragestellung „Macht oder ökonomisches Gesetz“ hat damit wieder erhebliche<br />
Aktualität gewonnen.<br />
20