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Markus Wolf Geheimnisse der russischen Küche

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Wassili Michejewitsch (174) zurückkomme. Wie gerne würde ich ihn<br />

wie<strong>der</strong>treffen. Wäre es doch eine verrückte Idee, mich mit ihm in dem<br />

inzwischen mit Glanz renovierten Hotel »Metropol« zu verabreden und im<br />

feinsten aller Moskauer Restaurants an einem vorbestellten Tisch am<br />

Springbrunnen Platz zu nehmen. In das Hotel haben die neuen<br />

ausländischen Besitzer viel investiert. Die Zimmer werden zu Preisen<br />

angeboten, die selbst zahlungskräftige Devisenbesitzer erschauern lassen.<br />

Aber wir pensionierten Spione sitzen zwischen den mit Kreditkarten<br />

bestückten Gewinnern <strong>der</strong> von uns verlorenen Schlacht und bestellen<br />

Zan<strong>der</strong> orli! Natürlich erzähle ich Wassili (zum wievielten Male?), wie ich<br />

als junger Diplomat genau an dieser Stelle Stalin und Mao Tse-tung<br />

gegenüberstand und im benachbarten schmalen Raum als Charge<br />

d'affaires, als Geschäftsträger, <strong>der</strong> Begegnung dieser beiden Halbgötter<br />

beiwohnte. Und alles wird wie<strong>der</strong> lebendig. Wassili wird noch einmal<br />

beichten, daß er selbst noch ein Neuling war, als er mir zu Beginn unserer<br />

Zusammenarbeit die <strong>Geheimnisse</strong> des mir unbekannten Gewerbes<br />

beibringen sollte. Mit und ohne Ehren ergraut würden wir uns <strong>der</strong> Zeit<br />

erinnern, als wir beide gerade Dreißig waren.<br />

Wenn sich zwei Freunde treffen, bedarf es keiner großen Trinksprüche<br />

und vieler Worte. Doch ein kurzer wäre wohl dem Anlaß gemäß: »Es ist<br />

seltsam«, sagte ein weiser Mann, »daß <strong>der</strong> Mensch einem<br />

verlorengegangenen Vermögen nachweint. Daß sein Leben vorbeigeht,<br />

bemerkt er gar nicht. So laß uns darauf trinken, daß je<strong>der</strong> Tag des uns<br />

verbleibenden Lebens voller Inhalt und von Nutzen sein möge.« Als wir<br />

uns Anfang <strong>der</strong> siebziger Jahre auf meinem Waldgrundstück bei Berlin<br />

zum letzten Mal sahen, hatten wir gerade die 50 überschritten, und wir<br />

kannten uns seit zwei Jahrzehnten. Wassili würde sich bestimmt an jenen<br />

Abschiedsabend erinnern, an den von mir zelebrierten Zan<strong>der</strong> a la<br />

diplomat. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß sich meine Schöpfung<br />

hinter dem im »Metropol« gebotenen Zan<strong>der</strong> nicht zu verstecken braucht!<br />

Vor jenem Abend hatten wir ein paar Urlaubstage zu einer Rundfahrt<br />

durch den Süden <strong>der</strong> DDR genutzt. Nach drei (175) mehrjährigen<br />

Einsätzen sollte Wassili nicht nur eine Erinnerung an die Angel- und<br />

Jagdgründe <strong>der</strong> Umgebung Berlins mitnehmen, son<strong>der</strong>n auch Eindrücke<br />

von Dresden, Leipzig, Weimar und Erfurt, von den dort bestaunenswerten<br />

Schätzen <strong>der</strong> Kultur und den landschaftlichen Schönheiten des Erzgebirges<br />

und des Thüringer Waldes. Während ich am letzten Abend auf<br />

meinem Grundstück bei Berlin den Zan<strong>der</strong> a la diplomat zubereitete, ließ<br />

es sich mein Freund nicht nehmen, die Angelrute vom Bootssteg ins<br />

Wasser zu halten. Zum letzten Mal in Deutschland, wie er meinte. Auf sein<br />

Anglerglück war ich jedoch nicht angewiesen, den frischen Zan<strong>der</strong> hatte

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