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Markus Wolf Geheimnisse der russischen Küche

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daß ich mich nicht ohne Grund draußen zeigte. Die Zeitungen gaben nicht<br />

auf, brachten immer wie<strong>der</strong> ein Foto von mir und boshafte Karikaturen<br />

über die Staatspolizei, die nicht in <strong>der</strong> Lage war, den gefährlichen<br />

Spionagechef zu finden und dingfest zu machen. Wir verließen das Haus<br />

gemeinsam nur, um von abgelegenen Telefonzellen aus die Anwälte o<strong>der</strong><br />

die Kin<strong>der</strong> in Berlin anzurufen, denen die Zeit ohne uns schon zu lange<br />

geworden war.<br />

»Die Regel«, sagen die Russen, »ist wie ein Telegrafenmast. Man kann<br />

ihn nicht überspringen, aber umgehen.« Besser, beides nicht zu tun, wenn<br />

man Unannehmlichkeiten vermeiden will. Das Unglück überfiel uns<br />

überraschend an <strong>der</strong> Telefonzelle. Mit dem Gedanken an die zum<br />

Telefonieren erfor<strong>der</strong>lichen 10-Schilling-Münzen durchfuhr mich ein<br />

Schreck. Die Tasche!... Dieses verfluchte Ding, an das ich mich nie<br />

gewöhnen kann, enthielt neben dem Geld meine gesamten Papiere, die<br />

Telefonnummern und Adressen sowie wichtige Notizen. Die Folgen waren<br />

nicht auszudenken.<br />

Wo? Wann? O<strong>der</strong> gar wer? Es brauchte einige Zeit und gutes Zureden<br />

von Andrea, bis <strong>der</strong> Superspion wie<strong>der</strong> einen klaren Gedanken fassen<br />

konnte. Zurück ins Quartier, alles durchsucht, vergeblich. »Laß uns noch<br />

einmal <strong>der</strong> Reihe nach gründlich überlegen«, sagte Andrea. »Gestern war<br />

die Tasche noch da... Als wir heute aufstanden, glaube ich sie auf dem<br />

Schränkchen neben <strong>der</strong> Liege gesehen zu haben. Dann haben wir<br />

gefrühstückt, ich habe abgewaschen, du hast die Mülltüte nach unten<br />

gebracht...« Andrea hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da stürzte ich<br />

auf den Hof zur Mülltonne. Schon auf <strong>der</strong> Treppe hörte ich das Müllauto<br />

kommen. Wie ich den Deckel anhebe, sehe ich sie liegen, ganz obenauf, als<br />

ob nichts geschehen wäre! Da versagten mir fast die Beine, kalter Schweiß<br />

trat auf die Stirn.<br />

Wenn ich die Story heute erzähle, lachen wir darüber. Dann geht es mir<br />

wie dem Koch, <strong>der</strong> den Gänsebraten schwarz verkohlt aus dem Ofen zieht,<br />

den sich seine Majestät (58) für das Weihnachtsmahl gewünscht haben.<br />

Später lacht man, doch damals...<br />

Kurz danach stellte ich mich auf Rat meines Anwalts den<br />

österreichischen Behörden. Ich wollte mir das Wohlwollen <strong>der</strong> Behörden<br />

des liebgewonnenen Alpenlandes nicht für ewig verscherzen. Das Datum<br />

meines Überschreitens <strong>der</strong> deutschen Grenze stand zudem bereits fest.<br />

Nach Deutschland nahm ich den innigen Wunsch Ottos und unsere feste<br />

Verabredung mit, bei meinem nächsten Besuch in Österreich als freier<br />

Mann gemeinsam mit ihm im Fiaker durch Wien zu kutschieren. Es muß<br />

nicht unbedingt <strong>der</strong> Walzer von Johann Strauß erklingen, wenn wir über<br />

die nicht mehr ganz blaue, aber schöne Erinnerungen weckende Donau in

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