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Schopenhauer und das Erkennen der Welt

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heißt es in den indischen Veden. Der Wille ist die Macht, die alles Leben<br />

verbindet. Dieser überindividuelle Wille gibt uns die Fähigkeit zum Mitleiden<br />

am Leiden an<strong>der</strong>er Lebewesen. Ebenso gibt er uns aber auch die Fähigkeit<br />

zum Vernichten <strong>und</strong> Quälen des Nächsten. Weil wir alle im Willen geeint<br />

sind, deshalb können wir im Leiden des An<strong>der</strong>en unser eigenes Leiden<br />

erkennen. Wer zwischen sich <strong>und</strong> dem An<strong>der</strong>en trennt, wird nicht zu diesem<br />

Mitleiden fähig sein. Einerseits verbindet <strong>der</strong> Wille des Lebens jeden mit<br />

jedem. An<strong>der</strong>erseits ist dieses Verb<strong>und</strong>ensein im Willen <strong>der</strong> Anlass dafür, <strong>das</strong>s<br />

je<strong>der</strong> gegen jeden ist. Hat man dies erkannt, ergibt sich daraus eine Ethik, die<br />

sich auf die gesamte <strong>Welt</strong> erstreckt, weil man über den überindividuellen<br />

Willen mit allem verb<strong>und</strong>en ist <strong>und</strong> demzufolge für alles Sorge zu tragen hat.<br />

Wer sich in <strong>der</strong> Liebe des alle Dinge einenden Willens übt, hat sich von <strong>der</strong><br />

Täuschung <strong>der</strong> prinzipii individuationis befreit, weil er die Spaltung zwischen<br />

sich <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Welt</strong> überw<strong>und</strong>en hat. Er kann seinen Willen in jedem Wesen<br />

erkennen; <strong>und</strong> den Willen in den Erscheinungen <strong>der</strong> <strong>Welt</strong>, hat er als seinen<br />

Willen erkannt. Im Willen ist die wesensgemäße Identität aller lebenden<br />

Wesen, ja, <strong>der</strong> <strong>Welt</strong> zu finden. Was man an einem an<strong>der</strong>en Wesen verübt,<br />

verübt man demnach an seinem eigenen Wesen. "Wer dies erkennt <strong>und</strong><br />

danach lebt", sagt <strong>Schopenhauer</strong> "ist aller Tugend <strong>und</strong> Seligkeit gewiss. Das<br />

Übel <strong>und</strong> <strong>das</strong> Böse, <strong>das</strong> Leiden <strong>und</strong> <strong>der</strong> Hass, <strong>der</strong> Gequälte <strong>und</strong> <strong>der</strong> Quäler –<br />

so verschieden sie sich auch zeigen – sind im Wesen des Willens Eines." Das<br />

zu erkennen, ist nicht jedem eigen. Denn <strong>der</strong> archaische Wille blind wie <strong>der</strong><br />

Wille im Tier. Das Tier erkennt im an<strong>der</strong>en Tier nicht sich selbst, so wie <strong>der</strong><br />

Mensch im an<strong>der</strong>en Menschen sich selbst erkennen könnte. Das Tier erkennt<br />

im an<strong>der</strong>en Tier nur den Konkurrenten, o<strong>der</strong> für eine begrenzte Zeit, <strong>das</strong><br />

Paarungstier. Auch <strong>der</strong> Mensch erkennt im an<strong>der</strong>en Menschen nur den<br />

Konkurrenten o<strong>der</strong> den Paarungspartner. Im großen Teil <strong>der</strong> Menschheit<br />

kommt deshalb <strong>der</strong> Wille nicht zum Bewusstsein seiner selbst. Darum ist <strong>der</strong><br />

schlimmste Feind des Menschen <strong>der</strong> Mensch. Das ist deshalb so, weil sich die<br />

Macht des Wollens beim Einen gegen die Macht des Wollens beim An<strong>der</strong>en<br />

mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, seien es geistige o<strong>der</strong><br />

körperliche durchzusetzen versucht. Weil auch soziale Gemeinschaften<br />

Copyright Atelier Edition Hanus, München 2007 15

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