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Schopenhauer und das Erkennen der Welt

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Materie, meint er, erscheint uns nur aufgr<strong>und</strong> von Verstand. Erst <strong>der</strong> Verstand<br />

verwandelt die blinden Empfindung <strong>der</strong> Sinnesdaten in Anschauung. Wenn<br />

aber die <strong>Welt</strong> <strong>der</strong> Erscheinungen <strong>das</strong> Resultat eines die Sinnesdaten<br />

organisierenden Verstandes ist, dann führt <strong>der</strong> nächste Gedankenschritt in die<br />

Richtung <strong>der</strong> Erkenntnis, <strong>das</strong>s auch Tiere verstandesbegabt sind. "Sie alle<br />

erkennen Objekte“, sagt <strong>Schopenhauer</strong> "<strong>und</strong> dieses <strong>Erkennen</strong> bestimmt als<br />

Motive ihre Bewegungen. Dieses verstehende <strong>Erkennen</strong> ist in allen Tieren<br />

<strong>und</strong> allen Menschen <strong>der</strong> nämliche, hat überall dieselbe einfache Form:<br />

Erkenntnis <strong>der</strong> Kausalität, Übergang von Wirkung auf Ursachen <strong>und</strong> von<br />

Ursache auf Wirkung, <strong>und</strong> nichts außer dem.“ So lange wir uns lediglich rein<br />

anschauend verhalten, ist alles klar <strong>und</strong> gewiss. Die Anschauung ist sich selbst<br />

genug. Sie benötigt keine Meinung, son<strong>der</strong>n nur die Sache selbst. Erst mit<br />

dem Beginn <strong>der</strong> abstrahierenden Anschauung, mit <strong>der</strong> Vernunft beginnen<br />

Zweifel <strong>und</strong> Irrtum.<br />

Die Abwesenheit <strong>der</strong> Vernunft bei Tieren beschränkt sie auf die unmittelbare<br />

gegenwärtige Anschauung <strong>der</strong> realen Objekte. Der Mensch dagegen vermag<br />

durch seine abstrahierende Vernunft über die aktuelle Gegenwart hinaus in<br />

Vorstellungen von Vergangenheit <strong>und</strong> Zukunft zu denken <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

vorher zu sehen. Was also für die Erkenntnis des Verstandes die Sinne sind,<br />

<strong>das</strong> ist für die Erkenntnis <strong>der</strong> Vernunft die Abstraktion. Und doch: <strong>der</strong> Wert<br />

dieser Vernunft liegt in ihrer Beziehung zum Verstand. Die Erkenntnis in<br />

abstracto bewährt sich erst in Bezug zur Erkenntnis in concreto. "Daher ist es<br />

beachtenswert", sagt <strong>Schopenhauer</strong>, "ja w<strong>und</strong>erbar, wie <strong>der</strong> Mensch, neben<br />

seinem Leben in concreto, immer noch ein zweites in abstracto führt. Im ersten<br />

ist er allen Stürmen <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>und</strong> dem Einfluss <strong>der</strong> Gegenwart preis<br />

gegeben, muss streben, leiden, sterben, wie <strong>das</strong> Tier. Sein Leben in abstracto<br />

aber, wie es vor seinem vernünftigen Besinnen steht, ist die stille<br />

Abspiegelung des ersten <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Welt</strong>, worin er lebt."<br />

Die abstrahierende Vernunft entsteht aus den Mitteln <strong>der</strong> Sprache, die <strong>das</strong><br />

intuitive Anschauen <strong>und</strong> unmittelbare Erfahren <strong>der</strong> <strong>Welt</strong> mit Hilfe eines<br />

Copyright Atelier Edition Hanus, München 2007 18

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